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Buchbesprechung: Anne-Laure Bondoux „Der Mörder weinte“

bondoux_moerderLesealter 15+(Carlsen-Verlag 2014, 173 Seiten)

„Der Mörder weinte“ ist der zweiter Jugendroman der Französin Anne-Laure Bondoux, der auf Deutsch bei Carlsen erschienen ist. Ihr erstes Buch (wenn man von einem früheren Kinderbuch absieht) mit dem Titel „Die Zeit der Wunder“ war 2012 gleich für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert worden – und das zu Recht. Der Roman behandelt sehr eindrücklich und literarisch gekonnt die Geschichte eines Jungen, der aus dem Kaukasus nach Frankreich flieht, um dort ein neues Leben zu beginnen. „Der Mörder weinte“ – das vorweg – erzählt zumindest vordergründig eine ganz andere Geschichte …

Inhalt:

Der ca. 10-jährige Paolo (sein Alter kennt niemand so genau) lebt mit seinen Eltern einsam in der chilenischen Wildnis – ganz im Süden in einem kargen und kalten Landstrich, wo sich nur selten Menschen hin verirren. Als eines Tages ein ziemlich düster wirkender Mann auftaucht, sind Paolos Eltern wie sonst auch gastfreundlich, obwohl seine Mutter schon kurze Zeit, nachdem der Mann am Tisch Platz genommen hat, ein ungutes Gefühl bekommt.

Der Mann namens Angel Alegría ist ein Auftragsmörder, der auf der Flucht vor der Polizei ist. Und seinem bisherigen Leben folgend, bringt er schließlich vor Paolos Augen dessen Eltern um, ohne selbst genau zu wissen, warum. Mit dem Jungen dagegen hat er seltsamerweise Mitleid und so verschont er ihn.

Angel und Paolo beäugen sich anfangs misstrauisch, werden mit der Zeit jedoch etwas vertrauter miteinander. Ja, Angel beginnt sich nach und nach um Paolo zu kümmern und sich zu sorgen, wenn er länger wegbleibt. Irgendwann sieht Paolo Angel sogar weinen – das ist etwas, was er dem Mörder nicht zugetraut hätte.

Ihre Zweisamkeit wird gestört, als ein junger reicher Mann, der vor seiner Familie flieht, auftaucht: Angel überlegt, ob er Luis nicht auch töten soll, doch er tut es letztendlich Paolo zuliebe nicht. Dennoch mag Angel Luis überhaupt nicht – und bald ist klar, dass dahinter auch ein Stückchen Eifersucht auf Paolo steckt. Irgendwann müssen Paolo und Angel, um Tiere zu kaufen, in die nächstgelegene, aber weit entfernte Stadt. Luis will mitkommen, Angel will das jedoch verhindern, muss sich aber schließlich doch drauf einlassen, weil Luis Geld hat und die Tiere bezahlen kann.

Bewertung:

„Der Mörder weinte“ (Übersetzung: Maja von Vogel) ist eine seltsam entrückte Geschichte, bei der man sich schwertut, sie einer Zeit zuzuordnen. Es gibt Anzeichen dafür, dass das Buch zumindest in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts spielt, aber so ganz genau erfährt man das nicht. Ja, man könnte Anne-Laure Bondoux‘ neues Buch fast zeitlos nennen, denn die Geschichte ist recht allgemein und universell gehalten – anfangs hat mich das auch etwas irritiert.

Ist das nicht eine seltsame Begebenheit, die da erzählt wird? Ein Mörder tötet ein Ehepaar und lebt dann mehrere Jahre in häuslicher Gemeinschaft mit dem Sohn der beiden in einem völlig verlassenen und kargen Landstrich. Etwas verwundert dürfte angesichts dieser Handlung nicht nur ich sein – und letztendlich geht die Geschichte auch so weiter: Luis kommt hinzu, die Drei reisen dann nach Punta Arenas, um die gestorbenen Schafe zu ersetzen …

Man ahnt, dass Angel irgendwann seine Vergangenheit als Mörder einholen wird, und so kommt es natürlich auch. Vorher erlebt man jedoch, dass Angel von einem Auftragsmörder zu fast so etwas wie einem fürsorglichen Menschen wird – eine seltsame Verwandlung. Es dauert ziemlich lange, bis man ein wenig versteht, warum Anne-Laure Bondoux eigentlich diese Geschichte erzählt haben könnte.

Es ist ein Nachsatz zur Geschichte, der mich auf die Fährte gesetzt hat, um was es in „Der Mörder weinte“ gehen könnte: „In Chile fanden 1985 die letzten Hinrichtungen statt. 2001 wurde die Todesstrafe offiziell abgeschafft.” (S. 174) Hat Anne-Laure Bondoux am Ende ein gar nicht so unpolitisches Buch geschrieben, wie es den Anschein hat? Ich bin mir nicht so ganz sicher … Aber vielleicht soll der Roman zeigen, dass sich Menschen verändern können (in dem Fall sind es Paolo und die Verantwortung für diesen, die Angel zu einem anderen Menschen werden lassen). Seltsam auch, dass der Auftragsmörder „Engel“ mit Vornamen heißt …

Aber um die Intention des Buchs noch einmal zur Seite zu legen: „Der Mörder weinte“ ist eine eigenwillig, ja, man könnte sagen, altmodisch erzählte Geschichte, zu der nicht alle Zugang haben dürften. Das liegt daran, dass die Geschichte eher eine psychologische als eine äußere Spannung hat. Der Mord an Paolos Eltern wird z. B. fast beiläufig erzählt – spannend wird das Buch nur für den, der sich auf die Figuren einlässt und mit ihnen mitfiebert. Anfangs funktioniert das nur bei Paolo, später aber auch beim geläuterten Angel.

Gegen Ende wird das Buch, um den Figuren weiter zu folgen, fast in Zeitraffer erzählt. Was bizarr anmutet, ist jedoch folgerichtig, denn die Geschichte um Paolo, Angel und Luis will zu Ende geführt werden – auch wenn hier der etwas eigentümliche Eindruck, den das Buch hinterlässt, bestehen bleibt.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Der Mörder weinte“ ist kein Buch, zu dem man sich sofort hingezogen fühlt, sondern ein Roman, der seine Wirkung erst nach und nach entfaltet. Ich war anfangs ziemlich irritiert von der Geschichte: weil sie mich an einen verlassenen Winkel der Welt geführt hat und eine seltsame Geschichte erzählt. Aber all das fügt sich, das merkt man gegen Ende des Romans, gut zusammen. Das karge Ambiente Südchiles, die Wortkargheit zwischen Paolo und Angel, die zarte Pflanze ihrer anfangs misstrauischen Beziehung, später vertrauter werdenden Bindung – all das ergibt ein stimmiges Bild.

Ein typischer Jugendroman ist Anne-Laure Bondoux‘ Buch jedoch nicht – gerade wegen dieser Bizarrheit setzt es Leser voraus, die geduldig sind, die Geschichten mögen, die nicht von der ersten Seite an zugänglich sind. Und somit ist „Der Mörder weinte“ vielleicht eher ein Erwachsenenbuch als ein Roman für Jugendliche … Alles in allem ist Anne-Laure Bondoux’ Buch dennoch ein gelungenes, ein besonderes Werk – sperrig, aber intessant und lesenswert.

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(Ulf Cronenberg, 18.05.2014)

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