(rororo rotfuchs 2014, 331 Seiten)
Was sich hinter diesem Titel wohl verbergen mag? Ich werde hier natürlich kein Rezeptebuch vorstellen … Nein, in dem Debütroman der Amerikanerin Erin Jade Lange, die bisher als Nachrichtenredakteurin gearbeitet hat, werden einige heiße Themen angesprochen: Das Buch handelt von einem Jungen, der dick ist und nicht gerade nett von seinen Mitschülern behandelt wird – um es etwas euphemistisch auszudrücken. Es geht also um Mobbing, und das Internet spielt dabei auch eine gewisse Rolle. Ein spannendes Thema also.
Inhalt:
Butter wiegt 423 Pfund und hat seinen Spitznamen bekommen, als er von mehreren Jugendlichen gezwungen wurde, eine Butter ganz zu essen. Das war einer der schlimmsten Tage in Butters Leben, richtig gute Tage kennt er allerdings gar nicht, denn in der Schule wird er von allen gemieden: Er sitzt alleine in der Mensa, hat auch im Unterricht keine Kontakte zu anderen und wird bestensfalls toleriert, schlimmstenfalls gemobbt. Außer seiner Mutter (auch Butters Vater redet nicht mit ihm) gibt es eigentlich nur zwei Personen, die ihn achten.
Da ist zum einen der Musiklehrer der Schule, von allen nur „Der Professor“ genannt, der Butter dazu überreden möchte, im Schulorchester mitzuspielen. Mal davon abgesehen, dass Butter ein recht guter Schüler ist, er ist außerdem ein begnadeter Saxophonist, was jedoch kaum jemand weiß, denn er scheut sich angesichts seiner Körperfülle, vor anderen zu spielen. Der Professor wirbt trotzdem um ihn.
Zum anderen ist da Anna, doch der Kontakt zu ihr ist deutlich komplizierter. Das hübsche und schlanke Mädchen geht auf Butters Schule und er verehrt es. Dass Butter zu Anna intensiv Kontakt hält, weiß jedoch nur er. Täglich chattet Butter unter anderem Namen nämlich mit Anna, und sie haben fast so etwas wie eine Online-Liebesbeziehung. Butter ist sich jedoch im Klaren darüber, dass nie mehr daraus werden wird, und als Anna auf ein Treffen drängt, ist das eine weitere Situation, die Butter in die Enge treibt und ihn etwas Heftiges tun lässt.
Auf einer Webseite, die er neu einrichtet, verkündet er, dass er sich am Silvesterabend vor laufender Bildschirmkamera zu Tode fressen wird. Was eher unüberlegt zustande kam, zieht bald große Kreise: Die halbe Schule bekommt von der Webseite Wind, Butter erzielt damit so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor und ist auf einmal bei Mitschülern beliebt …
Bewertung:
Eine bizarre Geschichte erzählt Erin Jade Lange in „Butter“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn), und die Handlung lebt natürlich von der Grundidee: dass ein dicker Junge in einem großen Frustmoment über eine Webseite ankündigt, dass er sich tot fressen will. Um zu erfahren, wie es zu diesem Plan kommt, liest man jedoch erst einmal 50 Seiten der Vorgeschichte. Man erfährt von Butters Online-Liebe zu Anna, in der sein Aussehen keine Rolle spielt, von der Einsamkeit und dem Schikanieren, das ihm als Dicken widerfährt, und von Butters auch nicht gerade toller Familiensituation.
Butter ist ein tragischer, aber auch ein sympathischer Held. Es ist zu befürchten, dass man dem Ich-Erzähler als Leser jedoch deutlich positiver gegenüberstehen kann, als das in der Realität, wäre man mit ihm konfrontiert, der Fall wäre: 423 Pfund Gewicht – das hört sich gewaltig an, und wohl nur wenige Menschen schaffen es, gänzlich darüber hinwegzusehen – als Leser gelingt einem das leichter.
Ja, man leidet mit Butter mit: wenn seine Mutter ihn „Baby“ nennt und seltsamerweise mit Essen vor dem Unbill der Welt zu schützen versucht; wenn er mit Anna ohne Aussicht auf Erfolg, jemals in Wirklichkeit von ihr geliebt zu werden, chattet und sich rührend um das Mädchen kümmert; wenn man die Schmach erzählt bekommt, wie Jeremy und dessen Freunde ihn zwingen, blanke Butter zu essen …
Richtig spannend fand ich das Buch aber dennoch erst, als sich durch Butters Webseite http://www.butterslastmeal.com (die Adresse gibt es wirklich, sie verweist auf die Webseite der Autorin) auf einmal dessen Stand in der Schule verändert. Es sind vor allem zwei Jungen (Trent und Parker), die ihn plötzlich in der Mensa an sich heranwinken und fortab zunehmend in ihre Freizeitaktivitäten einbinden. Butter weiß, dass er wegen der Ankündigung des Selbstmords interessant geworden ist, er durchschaut sein plötzliches Umgarntsein, und dennoch kommt er nicht darum herum, sich darin zu sonnen. Das erste Mal in seinem Leben bekommt er richtig Aufmerksamkeit, und wie Erin Jade Lange hier Butters zwiespältige Gefühle beschreibt, gehört zu den Stärken des Buchs.
Deutlich schwächer fand ich die Beschreibung der Online-Liebe zwischen Anna und Butter, weil sie überkonstruiert wirkt. Nicht nur, dass die Anlage etwas unglaubwürdig ist (Anna ist lange zufrieden, ihren „J. P.“, wie Butter sich nennt, nicht zu sehen – weder auf einem Bild noch in Natur), auch das Geseusel, das ab und an zwischen beiden hin und her geht, ist etwas übertrieben:
“Hallo, du Schöner, bleibt es bei Silvester?
[…]
Na klar, ich zähl schon die Tage.” (S. 178)
Sehr jugendlich und glaubwürdig wirken diese Chatnachrichten jedenfalls nicht – doch sie kommen in dem Buch glücklicherweise nicht allzu oft vor.
Dass „Butter“ allein durch die Anlage der Geschichte natürlich seinen Drive erhält, ist klar. Als Leser fiebert man – wie Butters (vermeintliche) Freunde – darauf hin, was an Silvester passieren wird. Als Leser spekuliert man natürlich auch, was geschehen könnte. Erin Jade Lange hat das Ende aber so gut vorbereitet und konstruiert, dass man am Schluss nicht gelangweilt sagt: „Na, das musste ja so kommen.“
Fazit:
4 von 5 Punkten. „Butter“ ist ein über weite Teile packendes Buch, das ab und zu ein bisschen zu klischeehaft daherkommt, aber vor allem in der Personenbeschreibung Butters recht glaubwürdig bleibt. Das ist eindeutig die Stärke des Romans: Butters Persönlichkeit, seine Veränderungen im Laufe der Handlung sind vielschichtig und nachvollziehbar gehalten. Man schaut in die Welt eines Jungen hinein, der gehänselt, missachtet und schikaniert wird.
Das Buch thematisiert vieles, was Jugendliche durchaus beschäftigt: Wie ist es, dick zu sein? Welche Folgen haben die ständigen Ausgrenzungen, die jemand erfährt? Was heißt es, einen Teil seines Lebens im Internet zu führen? Und welche seltsame Dynamik können unbedachte Äußerungen im Internet zur Folge haben? Weil diese Fragen in dem Roman behandelt werden, dürfte „Butter“ ein Buch sein, das Jugendlichen zusagt. Und sympathisch ist, dass Erin Jade Lange all das erzählt, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, sondern eine vielschichtige Geschichte geschrieben hat.
(Ulf Cronenberg, 08.05.2014)
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