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Buchbesprechung: John Corey Whaley „Hier könnte das Ende der Welt sein“

whaley_weltLesealter 14+(Hanser-Verlag 2014, 212 Seiten)

Im März 2014 wurde John Corey Whaleys Buch „Hier könnte das Ende der Welt sein“ gleich nach dem Erscheinen auf die Liste „Die besten 7 Bücher für junge Leser“ gesetzt. 29 Juroren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – vor allem Journalisten und Wissenschaftler im Kinder- und Jugendbuchbereich – ermitteln einmal im Monat die empfehlenswertesten sieben Bücher für junge Leser (am besten erreicht man die monatlichen Listen über diesen Link) – und so bin ich auf John Corey Whaleys Buch aufmerksam geworden. Ich weiß nicht, ob das etwas altmodisch daherkommende und wenig inspirierende Cover mich ansonsten zum Lesen des Romans animiert hätte …

Inhalt:

Cullen ist 17 Jahre alt und lebt mit seinem jüngeren Bruder Gabriel und seinen Eltern in der Kleinstadt Lily in Arkansas. Viel ist in dem Städtchen nicht gerade los – alles ist beschaulich, Leute, die raus in die Welt gehen, kommen meist bald wieder zurück, um in Lily den Rest ihres Lebens ohne Aussicht auf Aufregendes zu verbringen. Irgendwie ist in Lily so einiges trostlos.

Zu seinem Bruder Gabriel hat Cullen eine recht intensive Beziehung, ja, er bewundert seinen ausgeglichenen und in sich ruhenden Bruder. Doch dann ist Gabriel auf einmal verschwunden. Niemand weiß, was passiert ist. Ist Gabriel abgehauen? Doch nichts deutet darauf hin … Ist er entführt oder ermordet worden? Die Suchtrupps, die in den Tagen nach dem Verschwinden losgeschickt werden, finden nichts. Auch die Aufrufe in den Medien verhallen ohne erstzunehmende Hinweise.

Nach mehreren Wochen ist Gabriel noch immer nicht wieder aufgetaucht, und so langsam wird das Leben von Cullen und seinen Eltern ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen. Während Cullens Vater seinen Job vernachlässigt, versucht seine Mutter anfangs so zu tun, als wäre nichts geschehen. Doch nach und nach vernachlässigt auch sie ihre Pflichten. Cullen selbst ist zunehmend genervt davon, dass alle ihm gegenüber so mitleidig auftreten. Lediglich sein Freund Lucas, der auch mit Gabriel befreundet war, ist einigermaßen normal zu ihm und lenkt ihn ein bisschen ab.

Bewertung:

Ehrlich gesagt, fand ich „Hier könnte das Ende der Welt sein“ (Übersetzung: Andreas Jandl) anfangs ein eigenartiges Buch, das mir jedoch immer besser gefallen hat, je länger ich es gelesen habe. Zu Beginn plätschert der Roman etwas dahin, auch wenn mich das Leben, das Cullen als Ich-Erzähler beschreibt, wegen der Intensität der Schilderung auf eine gewisse Art fasziniert hat.

Bereits im zweiten Kapitel wird ein zweiter Handlungsstrang aufgemacht, auf den das Buch immer wieder zurückkommt und der etwas seltsam anmutet. Er handelt von Benton Sage, einem jungen Mann, der als Missionar nach Äthiopien geht und dort die Menschen zum Christentum bringen soll. Benton Sage merkt jedoch bald, dass seine Tätigkeit wenig sinnvoll ist, und kehrt deswegen zum Studieren in die USA zurück. Fast bis zum letzten Drittel des Buchs fragt man sich, was dieser zweite Handlungsstrang eigentlich mit der Geschichte um Cullen, Gabriel und dessen Eltern zu tun hat, und tappt im Dunkeln … Aber es liegt auf der Hand, dass die Figuren und Erzählstränge irgendwann zusammengeführt werden – allerdings auf ziemlich verschlungenen Wegen.

Nicht nur in Bezug auf diesen Erzählstrang, auch sonst ist „Hier könnte das Ende der Welt sein“ nicht immer stromlinienförmig. Eine wichtige Rolle spielt in dem Roman u. a. ein Vogel: Der schon seit längerem vermisste Lazarus-Specht wurde nämlich angeblich von einem Forscher in Lily gesichtet – das Kleinstädtchen spielt seitdem verrückt und reitet auf der Vermarktungswelle des Vogels: Das verschlafene Städtchen wittert seine Chance auf einen Image- und Bedeutungsgewinn. Cullen ist jedoch davon überzeugt, dass die Leute einer Schimäre nachjagen. Irgendwie ist das eine bizarre Hintergrundbegebenheit für das Buch: Etwas angeblich Wiederentdecktes stellt das Leben der Menschen in Lily auf den Kopf, während ein Junge verschwunden ist, was die Menschen (von Cullens Familie abgesehen) nur vordergründig beeindruckt.

Die Ungewissheit von Gabriels Schicksal, die Frage, ob dieser noch lebt, macht Cullens Familie ziemlich zu schaffen. Die Eltern kommen zeitverzögert außer Tritt, Cullen ist von Anfang an durch den Wind, hält sich aber gut über Wasser – auch weil ihn sein Freund Lucas stützt. Was hier abläuft – dieser unerträgliche Schwebezustand für eine Familie –, ist gut und nachvollziehbar, vielleicht ab und zu leicht übertrieben beschrieben.

Doch ist das das einzige Thema in dem Buch? Nein, „Hier könnte das Ende der Welt sein“ erzählt mehr. Letztendlich handelt das Buch von einem 17-Jährigen, der in einer Krise steckt und dem sich dadurch unbewusst immer wieder die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt. Cullen merkt das ganz am Ende des Buchs selbst an:

„Als ich Dr. Webb nach dem Sinn des Lebens fragte, wurde er recht wortkarg und sagte nur, das Leben habe nicht den einen Sinn, sondern bekomme jeweils den, den man ihm verleihe. Ich sage gleich dazu, dass ich den für meines auch nicht kenne.“ (S. 212)

Es ist nicht nur Cullen, der etwas verloren im Leben zu stehen scheint, es sind auch seine Eltern, verschiedene Freunde und Freundinnen von Cullen, die alle angesichts des trostlosen Kleinstadtlebens im Trüben fischen und nicht so recht wissen, was sie auf der Welt tun sollen. Das ist vielleicht auch das, was einem an dem Buch manchmal ein bisschen verstört: dass die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lebens gestellt, aber nicht beantwortet wird.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten.
„Hier könnte das Ende der Welt sein“ hat eine liebenswerte Sperrigkeit, derentwegen allein ich das Buch irgendwann ins Herz geschlossen habe. Manches hat mich anfangs irritiert, Kleinigkeiten haben mich bis zum Schluss genervt (die Buchtitel, die Cullen ständig erfindet – so eine nervige Kreatives-Schreiben-Idee!), aber alles in allem erzählt John Corey Whaleys Debütroman eine gelungene Geschichte, weil sie Ecken und Kanten kennt, aber dennoch liebevoll mit ihren Figuren umgeht. Cullen, dessen verschwundenen Bruder Gabriel (ein Sonnenscheinkind, wie es scheint) sowie Lucas muss man einfach mögen.

Bei der etwas seltsamer anmutenden Missionarsgeschichte, deren Sinn sich erst spät erschließt, dagegen fällt einem ein Eintauchen deutlich schwerer. Doch letztendlich ist es gut, wenn man nicht zu sehr in die Geschichte um Cullen hineingezogen, sondern etwas auf Distanz gehalten wird, weil der Leser dadurch zum Nachdenken angeregt wird. „Hier könnte das Ende der Welt sein“ ist ein besonderes Buch, aber ich tue mich schwer zu sagen, wem man das Buch empfehlen kann. Eher Jungen? Eher Mädchen? Und ab welchen Alter? Ihr werdet am besten selbst wissen, wenn ihr diese Buchbesprechung gelesen habt, ob John Corey Whaleys Roman ein Buch für euch sein könnte …

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(Ulf Cronenberg, 03.05.2014)

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Kommentare (2)

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