(Peter-Hammer-Verlag 2013, 183 Seiten)
Ich war ganz darauf geeicht, dass das neue Buch von Hanna Jansen wie ihr letztes Buch „Herzsteine“ in Afrika spielt, und es hat ein wenig gedauert, bis ich gemerkt habe, dass dem gar nicht so ist. „Zeit der Krabben“ spielt vielmehr auf einer Insel in der Karibik (dazu gleich mehr). Und warum hat das Buch diesen seltsamen Titel? Das hat damit zu tun, dass sich das Drama, das in dem Buch seinen Lauf nimmt, zur Zeit der großen Krabbenwanderung (die Weibchen legen Eier im Meer ab, später wandern die jungen Krabben zurück in die Wälder) abspielt. Für das, was sich in dem Buch abspielt, stellt das eine passende Atmosphäre dar …
Inhalt:
Cynthia ist 17 Jahre alt und hat gerade auf einem Internat die Highschool abgeschlossen. Aus diesem Grund ist sie wieder zurück bei ihren Eltern auf einer kleinen Karibikinsel vor Kolumbien und wird dort gleich wie früher im Alltagsleben eingespannt. Cynthias Mutter führt ein Restaurant in Strandnähe, und da ist immer viel zu tun – gerade wenn die Krabben wieder wandern und auf dem Rückweg in den Wald gefangen werden sollen. Sie sind eine Delikatesse …
Der lange Internatsaufenthalt hat jedoch dazu geführt, dass Cynthia sich zu Hause eher unwohl fühlt – ihr scheint alles leicht fremd. Anfangs bekommt sie nicht mit, dass – bildlich gesprochen – ein Sturm heranzieht: Cynthias Eltern haben schon immer viel miteinander gestritten, doch nach und nach merkt Cynthia, dass da noch mehr ist: Ihr Vater – was sie anfangs nichts wahrhaben will – bleibt oft lange von zu Hause weg und ist kaum noch ansprechbar. Cynthia wundert sich darüber, kann sich jedoch keinen Reim darauf machen.
Auch sonst ist auf der Insel einiges in Aufruhr: Guiguito, ein junger Mann, leistet mit Cynthias Bruder John gerade Militärdienst ab, doch er lässt seine Vorgesetzten auflaufen, wo immer es geht – auch hier zeichnet sich eine Katastrophe ab. Die Situation spitzt sich immer mehr zu, und Cynthia merkt, dass sie sich mehr für Guiguito interessiert, als es ihr selbst recht ist.
Bewertung:
„Zeit der Krabben“ erzählt eine raffiniert aufgebaute Geschichte, die vergleichsweise harmlos beginnt. Erst nach und nach entfaltet sich das Familiendrama, das von Cynthia, der Erzählerin, jedoch in Nebensätzen von Beginn an angedeutet wird: „Nicht nur in dieser Hinsicht war ich absolut ahnungslos.“ (S. 17) Doch bis sich alles zuspitzt, lässt sich das Buch erst mal etwas Zeit, den Leser in die Geschichte einzuführen.
Die 17-jährige Cynthia ist nach ihrem Schulabschluss wieder zu Hause und steht auf der Schwelle zwischen Kindheit/Jugend und Erwachsensein. Bei ihren Eltern fühlt das Mädchen sich erst mal wieder in ihre alte Kinderrolle zurückgedrängt: Sie muss ständig in der Küche und im Restaurant ihrer Mutter helfen, hat so gut wie keine Freizeit und wird behandelt, als wäre nichts geschehen. Im Inneren von Cynthia sieht es jedoch anders aus: Sie ist reifer geworden und will auf der einen Seite zwar gerne weiter in der Unbeschwertheit ihrer Kindheit leben, auf der anderen Seite aber nimmt sie (zunächst mit einer gewissen Abwehrhaltung) Dinge wahr, die ihr früher entgangen sind und die sie von ihrem bisherigen Leben entfremden.
Auch wenn auf den ersten 100 Seiten auf der Handlungsseite eher wenig passiert: Mir hat auch die erste Hälfte des Romans sehr gut gefallen. Das liegt daran, dass Hanna Jansen die Geschichte sehr einfühlsam und eindrücklich erzählt. Die Figur Cynthias, obwohl sie einer Welt viele Flugstunden von uns entstammt, ist glaubwürdig und wirkt authentisch. Erst als ich am Ende des Buches das Nachwort gelesen habe, wurde mir klar, dass das kein Zufall ist. Auch wenn die Geschehnisse im Roman fiktiv sind, so hat Hanna Jansen intensiv recherchiert. Sieben Jahre lebte ein Mädchen aus der Karibik in der Familie der Autorin, und über Skype hat sich Hanna Jansen intensiv mit dem Mädchen ausgetauscht.
In der zweiten Hälfte des Buchs spitzt sich dann alles zu, und zwar auf mehreren Ebenen: Cynthia erfährt mehrere Dinge über den bisher so bewunderten Vater, die dann schließlich dazu führen, dass in der Familie das Unheil seinen Lauf nimmt. Doch auch in Bezug auf Guiguito, in den Cynthia verliebt ist, obwohl sie sich auch dagegen wehrt, kommt es zu einem großen Knall. Cynthia wird durch beide Vorfälle – könnte man sagen – endgültig aus ihrer sicheren Kindheit und Jugend verbannt.
Was mich für „Zeit der Krabben“ eingenommen hat, war die Intensität, mit der die Geschichte erzählt wird. Da wirkt nicht nur alles bis ins Detail genau beobachtet, so dass man sich das, was geschieht, gut vorstellen kann, sondern vor allem die Gefühlswelt Cynthias wird eindrücklich in Sätzen wie dem folgenden beschrieben:
Im Nachhinein denke ich, dass es an diesem Tag eine Reihe von Momenten gab, die mich hätten stutzig machen müssen. Doch sie erreichten mich nur unterschwellig, wie ein falscher Ton, den man wahrnimmt, ohne den Zusammenhang zu kennen. (S. 24)
Von Anfang an gibt es in das Buch eingestreut ab und zu serifenlos gedruckte Einschübe, in denen aus der Sicht einer anderen Figur erzählt wird: Perron, einem Drogensüchtigen, der im Restaurant von Cynthias Mutter mithilft und den mit Cynthias Mutter eine längere Geschichte verbindet. Schlaglichtartig wird hier das Drogenthema in den Mittelpunkt gerückt, außerdem die frühe Vergangenheit von Cynthias Familie sowie der Menschen auf der Insel beleuchtet. Manchmal wirken diese Einschübe fast ein wenig wie Fremdkörper, manchmal erweitern sie die Geschichte jedoch gekonnt. Mich haben sie alles in allem nicht gestört.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Hanna Jansens „Zeit der Krabben“ bringt dem Leser eine gänzlich andere Welt nahe, wie das Jugendbüchern nicht selbstverständlich gelingt. Dass das Buch aus der Feder einer deutschen Autorin stammt, würde man – nähme man nur die Geschichte – nicht vermuten. Diese Ursprünglichkeit hat ihren Grund: Ihr liegt eine genaue Recherche zugrunde.
Was Cynthia, die Hauptfigur des Romans, erlebt, ist für den Leser auf verschiedenen Ebenen packend: Die fremde und teilweise gnadenlose Welt auf einer karibischen Insel hat ihren Reiz, das sich nach und nach entwickelnde Familiendrama lässt einen nicht los, und der im Hintergrund sich abspielende Drogenkrieg liefert ein schauriges Szenario. An all dem versucht Cynthia nicht zu verzweifeln – doch eigentlich fühlt sich sich all dem nicht gewachsen. Dass das Buch am Ende ein Fünkchen Hoffnung versprüht, ohne ein plattes Happy End zu liefern, scheint mir folgerichtig, auch wenn die Wirklichkeit häufig düsterere Geschichten zeichnen dürfte. Alles in allem ist „Zeit der Krabben“ ein psychologisch dichter Roman, bringt einem eine andere Welt näher, hat eine authentische Erzählerin und einen gekonnten Spannungsbogen. Ein besonderes Buch!
(Ulf Cronenberg, 11.12.2013)
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