(Frankfurter Verlagsanstalt 2013, 286 Seiten)
Es ist eine Freude, wenn ein Autor mit einem ganz anderen Ton im Jugendbuchbereich auftaucht: Im letzten Jahr war da z. B. der Italiener Christian Frascella, der ein eher in Erwachsenenregalen verstecktes Buch, das man durchaus Jugendlichen in die Hand geben kann, geschrieben hat. „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“, sein erstes ins Deutsche übersetzte Buch, ist mit seiner großmauligen Hauptfigur einfach erfrischend geschrieben, und der Roman wurde dann auch gleich für den diesjährigen Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Nun liegt ein neues Buch von Christian Frascella vor, und ich war mehr als gespannt darauf.
Inhalt:
Billo, Cecconi, Corda, Gorilla, Raccani, Lonica und Fostelli – so heißen sieben 12-jährige Jungen, die in einer kleinen mittelitalienischen Stadt namens Roccella aufwachsen und Freunde sind. Das Leben in Roccella ist nicht gerade aufregend, und große Zukunftsperspektiven haben die Sieben auch nicht – eher Sorgen: Beim einen ist der Vater verschwunden, des anderen Vater hat Krebs im Endstadium, der dritte wird von seinem großen Bruder übel schikaniert – letztendlich stammen sie alle außer Corda, dessen Vater Rechtsanwalt ist, aus ärmlichen Verhältnissen.
Billo hat von all dem die Schnauze voll, und so stellt er seinen Freunden eine Idee vor: Sie könnten die örtliche Bank ausrauben und danach ein besseres Leben führen. Einen groben Plan, wie sie vorgehen könnten, hat Billo auch schon. Die Wachmänner trinken jeden Nachmittag zur gleichen Zeit einen Espresso. Wenn man in ihn Schlafpulver geben könnte, hätte man einen einigermaßen freien Zugang zur Bank.
Allerdings gibt es in dem Plan noch einige Leerstellen. Wie bekommt man z. B. das Schlafmittel in den Espresso? Der Espresso wird jedenfalls von „Speckbacke“, wie die Jungen die dicke und unattraktive Tochter eines Cafébesitzers nennen, täglich serviert. Die Sieben einigen sich darauf, dass jemand die Gunst von Speckbacke gewinnen muss. Da niemand freiwillig hierfür hervortritt, wird beschlossen, dass der Verlierer eines Marathonslaufs Speckbacke gegenübertreten muss. Auch die Frage der Bewaffnung ist noch zu klären. Doch auch hier hat Billo eine Lösung parat: Aus Österreich könnte man täuschend echt aussehende Spielzeugwaffen bestellen, die allerdings nicht gerade günstig sind.
Bewertung:
Die Planung des Bankraubs durch die sieben 12-Jährigen ist der rote Faden in „Sieben kleine Verdächtige“ (Übersetzung: Annette Kopetzki) – doch das Buch erzählt eigentlich viel mehr, und genau das ist auch das Reizvolle daran. Am Anfang überfordert es den Leser manchmal ein wenig, zwischen den sieben Jungen zu unterscheiden: Wer war nun der Junge, dessen Vater Krebs hat? Und welche Familienverhältnisse hat Billo? Es dauert, bis man sich in die Geschichten von Billo, Cecconi, Corda, Gorilla, Raccani, Lonica und Fostelli einfindet, und das macht den Einstieg ein wenig beschwerlich.
Hat man diese kleine Hürde jedoch übersprungen, wird „Sieben kleine Verdächtige“ immer besser, und es eröffnet sich ein kleines Panoptikum, das vom trostlosen Leben mehrerer Jungen auf der Schwelle von der Kindheit zur Jugend erzählt. Jeder dieser Jungen hat sein familiäres Päckchen zu tragen, und Christian Frascella entpackt sie für den Leser Stück für Stück.
Das Buch ist voll von Nebenhandlungen – der Bankraub wird immer wieder zur Nebensache. Man könnte davon genervt sein, doch es ist im Gegenteil genau das, was dieses Buch so reizvoll macht: dass es immer wieder mal den roten Faden verliert und sich Abschweifungen gestattet, die jedoch gekonnt platziert sind. Jeder der sieben Jungen ist hier mal dran, so dass man über seine Familie und seinen Hintergrund mehr erfährt. Und es geht dabei immer auch um die Träume und Sehnsüchte, die Kinder und Jugendliche haben.
Christian Frascellas Roman ist im ironisierenden und liebevoll-distanzierten Ton, den man schon aus „Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe“ kennt, geschrieben. Der Autor bleibt an seinen Figuren dran, blickt jedoch immer wieder auch von außen auf sie – ein Wechselspiel zwischen personaler und auktorialer Erzählweise. Dass Christian Frascella darüber hinaus gewandt und virtuos schreibt, ist nicht zu übersehen. Als die Jungen ihren Marathon laufen (eine der besten Stellen im Buch), wird die Umgebung z. B. so beschrieben (S. 120):
Stattdessen ragten die Skelette von Bauruinen am Straßenrand auf: illegale Bauten, wo die Arbeiten seit Jahren stillstanden. Die Rechtecke nie eingesetzter Türen und Fenster ähnelten leeren Augen, die ins Nichts blickten; halb eingestürzte Treppen waren wie Zahnreihen, in eine Verlassenheit verbissen, die mit der Zeit eher makaber als traurig geworden war. Ein unheimlicher Ort, in den alle Einwohner dieser Gegend ihre Ängste und Gespenster stopften […]
Kann man die Trostlosigkeit mancher mittelitalienischer Dörfer besser beschreiben? Was an dieser Stelle aufblitzt, dass Christian Frascella Landschaften, Szenarien und Stimmungen gekonnt beschreiben kann, gilt auch für die Figuren. Der Autor macht sie lebendig und erfahrbar, er haucht ihnen Leben ein. Und er weiß mit den Genres zu spielen: Die Figur des Mexikaners z. B. könnte einem Quentin-Tarantino-Film entschlüpft sein und erinnert an die Western-Mythen des Kinos. Grandios gemacht ist das!
Fazit:
5 von 5 Punkten. „Sieben kleine Verdächtige“ ist ein mehr als überzeugender Roman – für Erwachsene wie für Jugendiche ab 15 oder 16 Jahren, die sich darauf einlassen können. Es ist nicht nur die Handlung mit dem Bankraub von sieben 12-Jährigen (übrigens mit einigen unerwarteten Wendungen), eine bizarre wie gelungene Idee, die mich für das Buch eingenommen hat – es sind darüber hinaus die vielen Nebenhandlungen, die einen in die Seelen der Figuren führen. All das wirkt so mühelos – schelmenhaft, liebevoll und reflektierend zugleich – erzählt, dass man das als große Kunst ansehen kann.
Auch mit seinem zweiten ins Deutsche übersetzten Buch bleibt Christian Frascella für mich eine der wichtigsten Entdeckungen der letzten beiden Jahre. Der italienische Autor bringt lange vermissten frischen Wind in die Jugendliteratur – da soll es auch nicht stören, dass die Frankfurter Verlagsanstalt kein Jugendbuchverlag ist. Für mich ist „Sieben kleine Verdächtige“ bisher das beste Jugendbuch des Jahres.
(Ulf Cronenberg, 23.08.2013)
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