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Buchbesprechung: Finn-Ole Heinrich & Rán Flygenring „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich"

heinrich_maulinaLesealter 10+(Hanser-Verlag 2013, 165 Seiten)

Als Text-/Illustrations-Duo haben Finn-Ole Heinrich & Rán Flygenring einen erstaunlichen Start hingelegt: Für das erfrischende Kinderbuch „Frerk, du Zwerg!“, ihr erstes gemeinsames Projekt, wurden sie gleich mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2012 in der Sparte Kinderbuch ausgezeichnet. Fast zwei Jahre später gibt es nun ein Nachfolge-Werk der beiden, das einen komplizierten langen Titel hat (siehe Überschrift). Auf den ersten Blick sieht das Buch ganz anders aus, weil die Illustrationen in anderen Farben gehalten sind – doch letztendlich (dazu gleich mehr) ist das Konzept des Buches dem von „Frerk, du Zwerg!“ nicht ganz unähnlich …

Inhalt:

Maulina heißt eigentlich Paulina; seinen Spitznamen trägt das Mädchen nicht umsonst: Maulina ist nicht gerade auf die Schnauze gefallen und mault gerne herum. Haus und Garten, wo sie lebt und wo sie sich wohlfühlt, hat sie „Mauldawien“ genannt, doch leider hat das Ganze ein Ende. Mit ihrer Mutter zieht Maulina aus dem Haus aus, während ihr Vater zurückbleibt. Das neue Heim gefällt Maulina überhaupt nicht – sie spricht nur von „Plastikhausen“, weil die neue Wohnung weder eine schöne Wohnlage noch eine heimelige Einrichtung hat.

Enttäuscht ist Maulina von ihrer Mutter, weil diese ihr die neue Wohnung zumutet, richtig sauer ist sie aber auf ihren Vater, der nun alleine in Mauldawien residiert und Maulinas Meinung nach dafür verantwortlich ist, dass sie und ihre Mutter ausziehen mussten. Mit ihrem Vater will sie nichts mehr zu tun haben, nicht mal „Papa“ oder „Vater“ nennt sie ihn mehr, sondern wenn es sich nicht vermeiden lässt, ihn zu erwähnen, ist er nur „der Mann“.

Auch sonst geht Maulina in der neuen Umgebung so gut wie alles auf den Geist: Die neue Schule ist doof, mit den Klassenkameraden will sie sich nicht anfreunden, auch die Wohnungsumgebung gefällt ihr überhaupt nicht. Nach einiger Zeit freundet sich Maulina doch mit einem Jungen an: Paul aus ihrer Klasse ist zwar oft etwas wortkarg, aber ansonsten ganz nett.

Doch dann passiert etwas, was Maulina aus dem Konzept bringt: Ihre Mutter gesteht ihr, dass nicht Maulinas Vater, sondern sie selbst dafür verantwortlich sei, dass sie umziehen mussten. Maulina will das nicht glauben und denkt, dass ihre Mutter nur mal wieder nett sein und ihren Vater schützen will …

Bewertung:

Wie erleben es Kinder, wenn die Eltern sich trennen? Wie verarbeiten sie das? Bücher darüber gibt es einige, und was Finn-Ole Heinrich (Text) und Rán Flygenring (Illustration) mit „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich“ abliefern, könnte man durchaus in die Kategorie Scheidungsbücher einreihen. Aber wer das Buch ausgelesen hat, weiß, dass die Einordnung dann doch zu kurz greift – doch das erkennt man erst kurz vor dem Buchende. Das ist schon mal das Erste, was einen für dieses Kinderbuch einnimmt: dass es nicht so vorhersehbar ist, wie es anfangs scheint, sondern 30 Seiten vor dem Ende eine unerwartete Wendung nimmt.

Paulina alias Maulina ist eine sympathische Figur: Müsste man mit ihr zusammenleben, würde sie einem manchmal wohl gehörig auf den Wecker gehen: Besserwisserisch und vorlaut, altklug und störrisch tritt sie immer wieder auf. Aber für ein Kinderbuch ist eine solche Figur natürlich genau richtig (Pipi Langstrumpf möchte man auch nicht erziehen müssen …). Maulina kann aber ihre scharfe Krallen auch einfahren, und zwar am ehesten bei ihrem Opa (der von ihr meist General genannt wird), manchmal auch bei ihrer Mutter. Ja, die Figuren – sie sind das zweite große Plus an diesem Buch. Der General ist schrullig, aber liebevoll, er ist so etwas wie ein Heimathafen für Maulina, die durch die Trennung ihrer Eltern in Seenot geraten ist. Mit seinen humorvollen lebensweisen Kommentaren unterhält er nicht nur den Leser, sondern bringt vieles auf den Punkt. Ein Beispiel (S. 136):

„Drei von zehn Leuten“, sagt der General plötzlich, hebt sein Kinn und den ausgestreckten Zeigefinger hoch über seinen Kopf, „drei von zehn Leuten hatten in ihrem Leben Würmer, ohne es zu merken, fünf von zehn Leuten träumen wenigstens viermal im Leben von aggressivem Obst und weinen im Schlaf, zwei von hundert Leuten tragen heimlich Schwimmflügel unter der Dusche. Einer von einem stirbt. So ist das mit dem Leben.“

Das ist nicht nur virtuos gesagt, sondern auch kindgerecht verpackt. Schmunzeln muss man zudem immer wieder über so vieles in dem Buch. Was Finn-Ole Heinrich da abliefert, ist nämlich ein sprachgewandter, ein sprachgewaltiger Text, der vor allem wegen seiner Verspieltheit zu überzeugen weiß. Das Buch ist voll von ungewöhnlichen Wörtern, Vergleichen und Wortschöpfungen. Das alles passt zur vorlauten Ich-Erzählerin Maulina.

Bleiben die Illustrationen von Rán Flygenring, die die Geschichte gekonnt ergänzen. Die kindlich gehaltenen Zeichnungen sind in Hellblau, Schwarz und Weiß gehalten (sozusagen ein Zweifarbendruck) und füllen immer wieder ganze Seiten. Ab und zu gibt es auch Doppelseiten, auf denen in einer Art Comic eine Nebengeschichte erzählt wird. Was die Illustrationen auszeichnet, ist, dass sie nicht nur nahtlos zur Geschichte passen, sondern sie immer wieder gekonnt erweitern.

Und zu kritisieren gibt es nichts? Tja, an manchen Stellen hatte ich den Eindruck, dass es Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring vielleicht ein bisschen übertrieben haben. Es sind die eingestreuten Zusatzcomics oder die Kochrezepte, die mich ab und zu ein klein wenig gelangweilt haben. Schlimm ist das jedoch nicht, denn man kann sie getrost auch überfliegen oder gar überblättern, ohne den Faden der Geschichte zu verlieren. Und es wird durchaus Leser geben, die diese kleinen Schlenker zu schätzen wissen.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Fassen wir zusammen: Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring haben es geschafft, nach dem ausgezeichneten „Frerk, du Zwerg!“ mit ihrem zweiten Buch die Erwartungen zu erfüllen – das gelingt nicht allen Autoren. „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich“ ist kein Abklatsch des Vorgängers, sondern eine ganz andere Geschichte, die aber ähnliche Stärken wie „Frerk“ hat. Maulinas Geschichte hat ein ernstes Thema, zugleich ist sie aber immer wieder auch lustig und unterhaltsam (wie man das von „Frerk“ eben schon kennt); man denkt anfangs, dass das Buch nach Schema F aufgebaut sein könnte, doch es kommt alles ganz anders; und nicht nur Maulina ist eine Figur, die man nicht so schnell vergisst.

Mit ein paar Tagen Distanz auf das Buch geschaut, kann ich alles in allem nur staunen, was Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring da für ein Buch geschaffen haben: einzigartig, ungewöhnlich, spektakulär, grenzenlos mirakulös – um die Adjektive aus dem ausführlichen Buchtitel zu klauen.

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(Ulf Cronenberg, 19.08.2013)

Lektüretipp für Lehrer!

Ja, dieses Buch kann man durchaus auch im Deutschunterricht einsetzen – am ehesten wohl Ende der 4. oder Anfang der 5. Klasse. Der Text ist nicht ganz einfach für Schülerinnen und Schüler dieses Alters, aber ich kann mir vorstellen, dass man mit den witzigen Illustrationen und Zusatzcomics einige Lesemuffel mit ins Boot holen kann. Dass der Text außerdem durchaus Gesprächsanlass für ernste Themen bietet, liegt auf der Hand. Ansonsten ist das auch ein Buch zum Vorlesen in der Klasse …

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Kommentare (7)

  1. Britta

    Lieber Ulf, eine absolut treffende Rezension! Mit dem großväterlichen „Heimathafen“ und der in Seenot geratenen Paulina ist Dir tolle Formulierung gelungen, darf ich mir die mal ausleihen?
    Mir hat schon der Einstieg, die Führung durch Mauldawien sehr gefallen, ich fühlte mich so an mein eigenes Kindsein und das Lebensgefühl von damals erinnnert: Und alles, alles meins!
    Liebe Grüße
    Britta

    Antworten
  2. Sabine Rombach

    Ein Tipp: Finn-Ole wird am 19.09.2013 um 19 Uhr aus diesem Buch in Schwäbisch Hall vorlesen. Er hat das Haller Comburg Stipendium erhalten und lebt im Moment in unserer Region.

    Antworten
  3. S. Rombach

    Hurra, der 2. Band der Maulina-Triologie ist erschienen und sicher auch bald in den deutschen StadtBibliotheken ausleihbar.

    Antworten
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