(dtv 2013, 397 Seiten)
Mit „Schlafende Geister“ hat Kevin Brooks sich vor zwei Jahren, nachdem er vorher nur Jugendromane geschrieben hat, ein neues Metier erschlossen: den Kriminalroman für Erwachsene. Die Geschichte um Privatdetektiv John Craine ist nichts für zarte Seelen, letztendlich geht es in dem Erwachsenenkrimi noch einen Tick härter als in den Jugendbüchern von Kevin Brooks zu. Wohl von Anfang an war John Craine als Hauptfigur für mehrere Bände angelegt, und seit April 2013 gibt es den zweiten Band der Reihe (Band 3 ist übrigens auf Englisch auch schon erschienen). „Bis es dunkel wird“ ist kein Jugendroman – das gleich vorweg –, aber ich habe beschlossen, den literarischen Weg von Kevin Brooks genau weiterzuverfolgen, und wenn ich das Buch schon gelesen habe, so soll hier auch eine Buchbesprechung erscheinen.
Nach dem letzten Fall, der in der Öffentlichkeit für große Furore gesorgt hat, beschließt John Craine, sich für eine Weile zurückzuziehen. Er kehrt an den Ort zurück, wo er mit seinen Eltern früher oft die Wochenenden verbracht hat und wo die Geliebte seines Vaters noch immer lebt: nach Hale Island. In einem eher schäbigen Hotel kommt er unter. Serina heißt die Geliebte, die sein Vater kurz vor seinem Tod gehabt und die von ihm eine 19-jährige Tochter namens Robyn bekommen hat. Craine beschließt, mit Serina Kontakt aufzunehmen, und erfährt, dass Robyn gar nichts von der Existenz ihres Halbbruders weiß. Robyn, das bekommt John Craine schon bald mit, ist außerdem drogensüchtig und hängt mit zwielichtigen Typen herum.
Wie es so spielt, wird John Craine nicht nur mit seiner familiären Vergangenheit konfrontiert, sondern bekommt mit, dass in Hale Island einige krumme Dinge laufen. Als er eines Abends bei heftigem Regen ziemlich betrunken und von Drogen benebelt an einen Bunker am Strand, den er von früher kommt, kommt und durch eine kleine Luke ins Innere schaut, sieht er ein totes Mädchen dort liegen. Er hat keinen Zweifel, dass das Mädchen, das er aus dem Hotel kennt, ermordet wurde. John Craine ruft die Polizei, doch als diese einige Zeit später mit ihm den Bunker besichtigt, ist das tote Mädchen verschwunden. Die Polizisten zweifeln an Craines Zurechnungsfähigkeit, doch dieser ist sich trotz seines Rausches sicher, dass in dem Bunker ein totes Mädchen gelegen war. Wie das Mädchen verschwinden konnte, kann er sich jedoch auch nicht erklären …
„Bis es dunkel wird“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) ist ein wirklich heftiges Buch, und zwar auf mehreren Ebenen: Es ist nicht nur so, dass Kevin Brooks wie gewohnt keinen Bogen um Gewaltdarstellungen macht, sondern sie detailliert schildert, vielmehr hat es das Buch in sich, weil John Craines Probleme schonungslos beschrieben werden. Kevin Brooks‘ Privatdetektiv hängt ständig an der Whiskey-Flasche, er schnupft Kokain, wirft Schmerztabletten gleich zu mehreren ein und ist auch sonst nicht gerade zimperlich. Das dahinter eine zarte und empfindsame Seele steht, die nach der Vergewaltigung und Ermordung von Craines schwangerer Frau nie mehr so ganz Halt gefunden hat, weiß man schon aus „Schlafende Geister“.
Ich habe mich während des Lesens des Krimis allerdings schon immer wieder gefragt, ob man John Craines Haltlosigkeit dermaßen detailliert schildern muss. Wie oft – und das ist ja das Harmlosere – Craine sich in dem Buch eine Zigarette anzündet, wie oft er Whiskey trinkt … – muss man dem so viel Raum geben? Wollte man allein die angezündeten Kippen zählen, hätte man einiges zu tun und käme schätzungsweise auf über 500. Aber lassen wir diese Bedenken mal beiseite.
„Bis es dunkel wird“ erzählt eine durchaus packende Geschichte, die mich selbst auf den ersten 80 Seiten, wo noch nicht allzu viel passiert, gefangen genommen hat. Es ist mir seltsamerweise schon öfter bei Büchern von Kevin Brooks so gegangen, dass die eher beschreibenden und gemächlicheren für mich die besseren Stellen des Buches sind als die Momente des Showdowns. Wie man als Leser in die Geschichte eingeführt wird, die Charaktere kennenlernt – das ist Kevin Brooks auch diesmal bravourös gelungen. Man riecht förmlich die Provinzseeluft von Hale Island in seiner Nase …
Tja, und dann nimmt die Geschichte natürlich an Fahrt auf. John Craine kommt mehr als einmal in aussichtslose Situationen, irgendwie schafft er es dennoch immer wieder zu überleben … Und hier wird die Geschichte auch etwas austauschbarer. Glücklich war ich jedoch darüber, dass die Story kurz nach der Hälfte des Buchs noch mal eine gänzlich unerwartete Wendung genommen hat, weil eine Person sich als etwas anderes herausstellt, als sie zuvor vorgegeben hat zu sein.
Fazit:
3-einhalb von 5 Punkten. „Bis es dunkel wird“ ist nicht wirklich ein für Jugendliche geeigneter Lesestoff. Das Buch gehört, soweit ich das beurteilen kann, auch im Krimigenre nicht unbedingt zur Crème de la Crème – sondern entspricht eher solidem Handwerk mit einem gewissen Charme, aber auch einer gehörigen Portion Klischee. Hätte das Buch etwas verloren, wenn John Craine nur ein Viertel so oft zur Zigarette gegriffen hätte und vielleicht nicht unbedingt selbst ständig Kokain schnupfen würde? Dass er über die Ermordung seine Frau nicht hinweggekommen ist, mag für einen Detektiv-Antihelden durchaus sinnvoll sein, aber so wie Kevin Brooks John Craine schildert, dürfte er eigentlich längst nicht mehr leben …
Ich mag die Bücher von Kevin Brooks dennoch – sie haben diesen eigenen Ton zwischen Bedrängnis, Wehmut und Ausweglosigkeit, den ich von fast keinem anderen Autoren so gut umgesetzt kenne. Das gilt auch für „Bis es dunkel wird“. Deswegen hat das Buch durchaus seine Stärken, aber daneben eben auch seine Schwächen und Fragwürdigkeiten.
(Ulf Cronenberg, 29.06.2013)
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