(Carlsen-Verlag 2013, 259 Seiten)
2010 war für Südafrika ein ganz besonderes Jahr: weil dort die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen wurde. Die knapp 20 Jahre zuvor aufgehobene Apartheid, die Unterdrückung der farbigen Bevölkerung durch die Weißen, schien endlich fast vorbei. Dass die Folgen davon noch immer in der südafrikanischen Bevölkerung fortleben, wundert einen jedoch nicht. So kam im Jahr 2008 zu ziemlich heftigen und gewalttätigen Ausschreitungen gegen eingereiste Flüchtlinge und Ausländer – das weiß hier in Europa wohl so gut wie niemand. Michael Williams‘ „Der Tag der Krokodile“ erzählt nicht nur davon.
Inhalt:
Der 15-jährige Jabu lebt mit seiner Mutter, seinem 10 Jahre älteren Bruder Innocent sowie seinem geliebten Großvater in einem kleinen Dorf in Simbabwe. Innocent ist zwar 25 Jahre alt, aber seiner epileptischen Anfälle wegen meist eher Kind als Erwachsener. Letztendlich muss Jabu für seinen Bruder sorgen – nicht umgekehrt.
Als eines Tages Soldaten in das Dorf kommen, werden die Dorfbewohner – darunter auch Innocent – von ihnen schikaniert. Die Situation eskaliert, und am Ende werden Jabus Mutter und Großvater getötet. Voller Angst macht Jabu sich mit Innocent auf die Flucht, zunächst in die nächste Stadt, dann weiter nach Südafrika. Mithilfe einer Schlepperin, der sie ihre gesamten Ersparnisse geben, gelangen sie über den Grenzfluss Limpopo, in dem es von Krokodilen nur so wimmelt, unter Lebensgefahr über die Grenze.
Dort arbeiten die beiden zunächst als Tomatenpflücker für einen Betrieb. Weil sie Essen und ein Bett, außerdem einen geringen Lohn bekommen, haben Jabu und Innocent das Gefühl, ein gutes Leben zu führen. Doch nach und nach begegnet ihnen die Feindseligkeit der südafrikanischen Bevölkerung, denen sie als billige Lohnarbeiter die Arbeit wegnehmen. So sind sie bald wieder auf der Flucht – diesmal wollen sie nach Johannesburg. In der Stadt erhoffen sie sich bessere Lebensbedingungen. Doch es kommt anders …
Bewertung:
Michael Williams ist ein weißer südafrikanischer Autor, dem die Idee für dieses Buch von drei Flüchtlingen aus Simbabwe zugetragen wurde. Als er ihre Lebensgeschichte erzählt bekommen hat, beschloss er, ein Buch darüber zu schreiben. „Der Tag der Krokodile“ (Übersetzung: Birgit Schmitz) wirkt also nicht von ungefähr recht authentisch, was die Beschreibung der Flucht angeht.
Jabu und Innocent machen schlimme Dinge mit. Immer wieder sind ihnen Häscher auf der Spur, mehrmals kommt es zu brenzligen Situationen, doch mit knapper Not kommen sie immer wieder davon. Richtig dramatisch wird es jedoch erst in Johannesburg: Sie finden zunächst unter einer Brücke bei einer Gruppe von Flüchtlingen Unterschlupf, geraten dann jedoch in die ausländerfeindlichen Rassenunruhen. Jabu verliert Innocent aus den Augen, irgendwann erfährt er, dass sein Bruder tot ist. Das alles ist kein leichter Stoff für junge Leser, aber Michael Williams gelingt es, die Geschichte jugendgerecht zu erzählen.
„Der Tag der Krokodile“ ist im Original bereits 2009 erschienen, und ein wenig scheint das Buch auf die anstehende Fußballweltmeisterschaft hin geschrieben zu sein. Jabu, der schon früher in seinem Dorf ein begeisterter Kicker war, wird am Ende in eine Street-Soccer-Mannschaft aufgenommen, wo er nach langer Flucht erstmals wieder eine Heimat findet.
Kommt das Buch über weite Strecken ohne Klischees, wie man sie sonst oft in Jugendbüchern über Afrika findet, aus, weil darin sehr gekonnt aus Jabus Sicht erzählt wird, so gilt das nicht so ganz für den Schluss des Romans. Klar ist es für den auf der Couch sitzenden Leser angenehm, wenn ein Happy End angedeutet wird; aber wahrhaftiger wäre wohl ein weniger positiver Schluss. Jugendlichen Lesern hätte Michael Williams durchaus ein anderes Ende zumuten können – der von ihm gewählte Schluss gehört, würde ich sagen, eher in ein Kinder- als in ein Jugendbuch.
Fazit:
4 von 5 Punkten. „Der Tag der Krokodile“ ist ein Buch über Afrika, das vieles richtig macht. Jabu ist eine gekonnt gezeichnete Figur, die trotz der vielen schlimmen Erfahrungen lange den Kopf über Wasser hält, nach Innocents Tod aber am Verzweifeln ist. Man fiebert mit Jabu mit, findet ihn sympathisch und kann sich gut in ihn hineinversetzen. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein Buch über Afrika über weite Teile ohne Klischees auskommt – seien sie romantisierend oder schwarzweiß malend.
Nur das Ende des Buches passt da nicht so ganz dazu. Als hätte der Autor einen schlimmen Ausgang selbst nicht ausgehalten, driftet der Roman am Schluss etwas ab und traut sich nicht fortzuführen, was er vorher war: die Geschichte eines Flüchtlings, der schlimme Erfahrungen macht, in einem anderen Land seine Hoffnungen nicht erfüllt findet und wieder nicht Fuß fassen kann. Als Leser freut man sich natürlich für Jabu, weil er bei der Fußballmannschaft Halt findet. Sympathischer wäre mir aber ein offeneres Ende gewesen.
(Ulf Cronenberg, 31.05.2013)
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