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Buchbesprechung: Inés Garland „Wie ein unsichtbares Band“

garland_bandLesealter 14+(Fischer-Verlag 2013, 249 Seiten)

Südamerikanische Jugendromane finden eher selten den Weg ins Deutsche – Inés Garlands „Wie ein unsichtbares Band“ ist da die rühmliche Ausnahme … Was der Grund für die geringe Verbreitung von südamerikanischer Jugendliteratur hierzulande ist? Wahrscheinlich – das wäre meine Vermutung – ist das Lebensgefühl in Südamerika eben doch recht anders und damit jugendlichen Lesern im deutschen Sprachraum eher schwer vermittelbar. Ob das auch auf Inés Garlands Buch zutrifft, wird in dieser Besprechung zu beantworten sein …

Inhalt:

Alma lebt mit ihren Eltern in relativ gut situierten Verhältnissen in Buenos Aires. Am Wochenende fahren sie immer in ihr Ferienhaus auf einer Flussinsel, wo Alma vor allem eine gute Freundin hat: Carmen. Viel Zeit verbringt Alma bei Carmen und ihrer Familie, die eher in ärmlichen Verhältnissen leben.

Ein Auge hat Alma auf Carmens Bruder Marito geworfen, der mit finanzieller Unterstützung von Almas Eltern studiert. Es dauert jedoch ziemlich lange, bis Alma und Marito sich näherkommen, weil sie beide eher schüchtern sind. Almas Eltern sind außerdem nicht gerade begeistert davon, dass ihre Tochter mit Marito zusammensein könnte.

Doch dann verscherzt es sich Alma eines Tages mit Carmen: Alma, die sich immer recht einsam und anders als andere fühlt, lädt an ihrem Geburtstag Mitschülerinnen und Mitschüler aus Buenos Aires auf die Insel ein. Ohne dass Alma so recht weiß, was sie da tut, macht sie Carmen vor ihren Mitschülern lächerlich, und das verzeiht Carmen ihrer Freundin nicht. Die beiden gehen sich danach aus dem Weg.

Bewertung:

„Wie ein unsichtbares Band“ (Übersetzung: Ilse Layer) ist ein eher stilles Buch, das keine großen Höhepunkte (außer vielleicht dem Ende) kennt, stattdessen eher Almas Gefühle und Gedanken aus der Ich-Perspektive darstellt. Alma führt ihrerseits ein recht privilegiertes Leben: Ihre Eltern sind recht wohlhabend, das Mädchen geht auf eine katholische Schule, und die Wochenenden verbringt die Familie in ihrem Ferienhaus auf der Insel. Carmens Familie ist viel ärmer – an den Wochenenden wird Alma also mit einer ganz anderen Realität konfrontiert. Ein großes Problem ist das für beide jedoch nicht. Die Insel scheint ein wenig der sonstigen Realität entrückt.

Inés Garlands Buch erzählt auf mehreren Ebenen eine Geschichte: Zum einen handelt das Buch von einem Mädchen, das sich von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern, aber auch von den Erwachsenen entfremdet fühlt. Nur mit Carmen und ihrer Familie macht Alma die Erfahrung, dass Nähe möglich ist – doch auch diese ist brüchig und gefährdet. Zum anderen geht es um ein dunkles Kapitel der argentinischen Geschichte: die Militärdiktatur (Wikipedia-Artikel), die von 1976 bis 1983 dauerte und in der viele Menschen gefoltert und ermordet wurden.

Steht im ersten Teil des Buches vor allem die Freundschaft zwischen Carmen und Alma im Vordergrund und wird die Beziehung zu Marito grundgelegt, so kommen im zweiten Teil zunehmend politische Gesichtspunkte ins Spiel. Alma ist mit Marito befreundet, doch auf die für Alma glückselige Nähe folgen immer wieder Phasen, in denen sich Marito von ihr entfernt und sie fernhält. Alma versteht das alles nicht, und so wie Alma irgendwann zaghaft manches ahnt, macht man sich auch als Leser seine Gedanken: Marito könnte im Untergrund gegen das Militärregime kämpfen. Gewissheit bekommt man hier jedoch erst am Ende des Buches, und selbst hier wird nicht deutlich gesagt, wie Maritos politisches Engagement genau ausgesehen hat.

„Wie ein unsichtbares Band“ ist ein recht poetisch und literarisch geschriebener Roman, der – auch wenn er eigentlich retrospektiv erzählt wird – dennoch recht stringent nur das Erleben der Jugendzeit durch Alma nachzeichnet. Nachträgliche Bewertungen sind extrem selten eingestreut, und das ist einerseits gut so, weil die persönliche Geschichte Almas im Vordergrund bleibt. Andererseits fehlen solche Kommentare und erläuternden Ausführungen gerade jugendlichen deutschen Lesern, vermute ich. Für Argentinier, die mit der Geschichte ihres eigenen Landes vertraut sein dürften, ist Inés Garlands Roman sicher ein sehr viel aufwühlenderes Buch als für deutsche Jugendliche, die viele Andeutungen nicht verstehen dürften.

Und wenn wir schon bei den Kritikpunkten sind: Inés Garlands Roman ist sicher nicht für alle Leser geeignet. Man muss sich auf die Innensicht einer Jugendlichen einlassen können – aber selbst wenn man das tut: 50 Seiten weniger hätten dem Buch nicht geschadet. Nach der guten Hälfte des Romans hatte ich das Gefühl, dass das Buch eine Zeit lang zu sehr auf der Stelle tritt.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Wie ein unsichtbares Band“ ist kein Buch, das man allen Jugendlichen in die Hand geben kann – das sollte nach den obigen Ausführungen klar geworden sein. Man muss sich auf die Beschaulichkeit des Romans, der literarisch jedoch durchaus gelungen ist, einlassen können, und das dürfte tendenziell am ehesten Mädchen ab 14 Jahren oder Erwachsenen gelingen.

Aus meiner Sicht hat Inés Garlands Buch durchaus seine Stärken, aber eben auch kleinere Schwächen – und dazu zählt vor allem der Hänger kurz nach der Hälfte des Buchs. Trotzdem hat mir „Wie ein unsichtbares Band“ gefallen. Es erzählt recht behutsam von der schwierigen Zeit der argentinischen Militärdiktatur, indem es als Hauptfigur ein Mädchen aus einer apolitischen Familie wählt, das jedoch durch eine andere Familie mit den schrecklichen Geschehnissen konfrontiert wird.

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(Ulf Cronenberg, 25.04.2013)

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