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Buchbesprechung: Anna Kuschnarowa „Kinshasa Dreams“

Cover Anna KuschnarowaLesealter 14+(Beltz & Gelberg-Verlag 2012, 389 Seiten)

Anna Kuschnarowa hat mehrere Standbeine in ihrem Leben: Sie arbeitet als Dozentin, sie fotografiert, und mit „Kinshasa Dreams“ hat sie ihren dritten Jugendroman bei Beltz & Gelberg veröffentlicht. Nach der Drogen-Geschichte „Junkgirl“ handelt ihr neues Buch von etwas ganz anderem: Es spielt zunächst in Afrika und erzählt die Geschichte einer Flucht nach Europa. Auch bei ihren Buchthemen lässt sich Anna Kuschnarowa anscheinend nicht festlegen, und es ist schön, wenn jemand für Überraschungen gut ist.

Inhalt:

Jengo lebt als ältester Sohn mit seiner Mutter, den Großeltern und drei Geschwistern in Kinshasa (Kongo). Sein Vater arbeitet im Norden des Landes – niemand weiß so ganz genau, was er da eigentlich macht – und kommt immer nur mal flüchtig vorbei, um die Familie zu besuchen. Mit seiner Großmutter kommt Jengo ziemlich schlecht aus: Sie denkt seit seiner Geburt, dass der Junge verhext sei, während sein Großvater sich gut mit dem Jungen versteht und von dem Hexenzeug überhaupt nichts hält.

Jengos Leben wird völlig aus der Bahn geworfen, als zunächst sein Vater nach einem großen Streit mit seiner Frau nicht mehr zurückkommt und schließlich die Nachricht überbracht wird, dass er von Rebellen bei einem Überfall getötet wurde. Zunehmend zieht sich Jengos Mutter danach zurück und ist depressiv, bis sie eines Tages ohne Vorankündigung verschwindet. Erst sehr viel später erfährt Jengo, dass sie nach Europa geflüchtet ist.

Jengo lebt fortan mit seinen Geschwistern bei seinem Onkel und dessen Frau, und das geht nicht gut. Zunächst verbieten sie Jengo, weiter zum Boxtraining zu gehen. Dabei ist es schon von Kindesbeinen an Jengos Traum, wie Muhammed Ali Boxchampion zu werden, und dafür hat er viel getan. Dann beginnen auch Jengos Onkel und seine Frau davon zu reden, dass der Junge verhext sei und der böse Geist von einem Priester ausgetrieben werden müsse. Das ist für Jengo der Tropfen auf dem heißen Stein, um sich davonzumachen. Sein Ziel ist Europa, wo er weiter an seiner Karriere als Boxer arbeiten will.

Bewertung:

„Kinshasa Dreams“ thematisiert letztendlich ein Flüchtlingsschicksal mit Vor- und Nachgeschichte. Das Buch beginnt damit, dass zunächst Jengos Geburt während eines schlimmen Sturms geschildert wird, um Jengo nach einem großen Zeitsprung als Erwachsenen vor einem entscheidenden Boxkampf zu beschreiben. Erst dann wird Jengos Geschichte chronologisch von der Kindheit bis zur Flucht nach Europa dargestellt. Eingeleitet werden manche Kapitel durch fett gedruckte Ausschnitte aus einem Interview, das ein Reporter mit dem angehenden Boxstar führt. Man weiß also schon von Beginn an, dass Jengo es nach Europa schaffen wird und dort weiterhin boxt.

Im ersten Drittel des Romans geht es vor allem um Jengos Leben in Kinshasa. Die Verhältnisse in denen der Junge aufwächst, sind nicht gerade einfach. Die Mutter kümmert sich wenig um ihn, bevor sie schließlich ganz abhaut, die Großmutter zeigt offen ihre Abneigung, lediglich Jengos Großvater, sein sporadisch anwesender Vater sowie seine Schwester Ameli geben Jengo ein wenig Halt. Das ist alles einerseits gut und nachvollziehbar beschrieben, aber ein wenig blass bleibt die Beschreibung des Lebens in Kinshasa dann doch. Man merkt hier – das ist mein Eindruck –, dass Anna Kuschnarowa (wie sie in einem Interview bekannt hat) selbst nie in der kongolesischen Hauptstadt war.

Noch dramatischer wird das Buch, als Jengo beschließt, vor seinen Zieheltern (Onkel und Tante) zu fliehen, um einer Dämonenaustreibung zu entgehen. Jengos Ziel ist Paris, wo seine Mutter lebt, und die Flucht wird sehr detailliert mit ihren vielen Stationen beschrieben. Von einem gradlinigen Weg nach Europa kann man da wirklich nicht sprechen: Lange hält sich Jengo in Kairo auf und schlägt sich dort durch, er kommt in die Fahrwasser radikaler Islamisten, bekommt von unerwarteter Seite jedoch Hilfe, um die gefährliche Überfahrt nach Sizilien zu finanzieren. Doch das ist noch nicht alles … Selbst als Jengo schließlich in Paris ankommt, ist vieles im Argen – als illegal in Frankreich Lebender muss er sich durchschlagen.

Anna Kuschnarowa gelingt es sehr gut, Jengos Flüchtlingsschicksal zu beschreiben. Ja, man wird richtig in die Geschichte hineingezogen, bekommt einen Eindruck, was es heißt, als Afrikaner nach Europa zu flüchten, welchen Schikanen und welcher Willkür man dort ausgesetzt ist – und das alles geht einem als Leser unter die Haut. Dennoch hält Anna Kuschnarowa den Leser auf einer angemessenen Distanz, die das Buch für Jugendliche geeignet macht. Dafür verantwortlich ist vor allem der Kunstgriff, dass man von Anfang an weiß, dass Jengo am Ende in einem großen Boxkampf die Chance bekommt, zum Champion, wie er es sich immer erträumt hat, zu werden. Mancher Leser mag vom Ende des Romans allerdings enttäuscht sein: denn das Ende des Kampfes bleibt offen. Aber: Zumindest ein klares Happy End hätte dem Buch meiner Meinung nach eher geschadet. Da ist der offene Schluss doch die bessere Option.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Kinshasa Dreams“ ist ein sympathisches Buch über ein zeitgemäßes Thema: die gefährliche Flucht afrikanischer Menschen nach Europa. Der Aufbau des Romans ist durchdacht und gelungen, die Figuren sind lebensnah und man kann sich gut in sie (vor allem in Jengo) hineinversetzen. Der Jugendroman schwächelt am ehesten darin, wie die Lebensumstände in Afrika beschrieben werden. Hier sind vor meinem geistigen Auge keine richtigen Bilder entstanden, und das liegt wahrscheinlich daran, dass die Autorin sie selbst nur in einem begrenzten Maße hatte.

Dennoch: Dem Buch wünscht man viele Leser, denn was in Afrika passiert, wie es Flüchtlingen ergeht, die in Europa Fuß fassen wollen, wie beschwerlich das alles ist – das wird in dem Buch gekonnt dargestellt. Dass Anna Kuschnarowa sich an ein ganz anderes Thema als in „Junkgirl“ herangewagt hat, finde ich positiv, und alles in allem ist das Vorhaben geglückt. Das Buchcover – das soll auch noch erwähnt sein – gefällt mir darüber hinaus auch ausgesprochen gut!

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(Ulf Cronenberg, 25.12.2012)

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