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Buchbesprechung: Hanna Jansen „Herzsteine“

Cover Hanna JansenLesealter 15+(Peter-Hammer-Verlag 2012, 195 Seiten)

Letztes Wochenende war ich bei dem Symposium „Wie schön fern ich bin – Afrikabilder in der Kinder- und Jugendliteratur“ an der Universität Oldenburg. Mit Fachleuten wurde hier diskutiert, wie der Kontinent Afrika in Kinder- und Jugendbüchern dargestellt wird, und als Vorbereitung habe ich mir verschiedene Jugendbücher, die von Afrika handeln, in Afrika spielen oder von afrikanischen Autoren geschrieben wurden, angeschaut. Hanna Jansens Jugendroman „Herzsteine“, ein recht neues Buch zum Thema, war darunter.

Inhalt:

Samuels Mutter kommt aus Ruanda, der Vater ist Deutscher, und die Familie lebt in Hamburg. Doch dort hält es seine Mutter nicht mehr aus – wegen der traumatischen Erlebnisse während des Völkermords in Ruanda, bei dem ihre gesamte Familie getötet wurde, kommt sie mit den vielen Menschen nicht zurecht und wird immer depressiver. So beschließt die Familie für ein Jahr nach Sylt zu ziehen, wo Sams Vater, der Arzt ist, für ein Jahr die Praxis eines Kollegen führen kann.

Für Sam ist der Umzug nach Sylt zunächst ein Schlag ins Gesicht, weil er seine Freunde verliert. In der neuen Klasse interessieren sich viele Mädchen für ihn, jedoch will er mit ihnen nichts zu tun haben. Seltsamerweise freundet es sich dagegen mit Enna an, die niemand in der Klasse sonst mag – auch, weil ihre Mutter als Wunderheilerin einen zwielichtigen Ruf hat. Sam und Enna kommen sich näher und sind bald ein unzertrennliches Paar.

Als im Herbst die heftigen Nordsee-Stürme beginnen, ist Sams Mutter eines Abends verschwunden. Weil sie sich große Sorgen machen, rufen Sam und sein Vater die Polizei, die sich des Verschwindens der Frau jedoch nicht groß annimmt. Spät am Abend ruft Ennas Mutter an und teilt mit, dass Sams Mutter bei ihr sei. Von der Begegnung mit Ennas Mutter kehrt Sams Mutter völlig verwandelt zurück. Sie teilt ihrem Mann und ihrem Sohn mit, dass sie beschlossen habe, nach Ruanda zurückzugehen – und zwar sofort. Sam und sein Vater besuchen sie dort schließlich in den nächsten Ferien für zwei Wochen.

Bewertung:

„Herzsteine“ ist ein vielschichtiges Buch, das zahlreiche Themen aufgreift. Es geht nicht nur um Ruanda und Afrika, sondern auch um Themen wie Beziehung und Ausgrenzung. Selbst das Thema Ruanda wird aufgrund des Aufbaus des Buches recht mannigfaltig dargestellt. Der Grund dafür liegt in der geschickten Anlage des Buches: Die Geschichte beginnt in Deutschland und stellt dar, welche Folgen die traumatischen Erlebnisse von Sams Mutter nicht nur für sie, sondern für die ganze Familie haben. Sams Mutter kommt mit ihrer Vergangenheit nicht zurecht, sie zieht sich zurück, kann über ihre Erlebnisse nicht sprechen und lässt letztendlich weder Sohn noch Ehemann an sich heran. Anstatt dass das besser wird, verschlimmert sich ihr Zustand von Jahr zu Jahr.

Hanna Jansens Buch ist in zwei Teile unterteilt: Die erste Hälfte trägt sich in Deutschland zu und thematisiert den Umzug der Familie und Sams Orientierungslosigkeit auf Sylt, die erst durch Enna gestoppt wird. Von Beginn an sind im ersten Teil kursiv gedruckte Passagen zu finden, in denen Sams Mutter von ihrem früheren Leben in Ruanda und in Großbritannien, wohin sie ausgewandert war, berichtet. Wie man später erfährt, entstammen diese Passagen einem Gespräch, das Sams Mutter kurz vor dessen Abreise aus Ruanda mit ihrem Sohn führt.

Die zweite Hälfte des Romans erzählt dann von der Reise Sams und seines Vater nach Ruanda. Für Sam ist die fremde Welt des afrikanischen Landes zunächst verwirrend, doch nach und nach findet er sich dort zurecht. Auch in diesem Teil des Buches gibt es kursive Einschübe – doch hier sind es Tagebuchaufzeichnungen für Enna, in denen Sam seine Erlebnisse in Ruanda reflektiert. Auch hier wird also nicht einfach nur linear die Handlung wiedergegeben, sondern es wird einerseits die Vergangenheit von Sams Mutter thematisiert, andererseits ist Platz fürs Sams Reflexionen.

All das macht das Buch für europäische Jugendliche gut zugänglich. Sam ist – das spürt man – ein typischer Junge, der in Deutschland aufgewachsen ist, und Stück für Stück mehr über das Herkunftsland seiner Mutter und die Gräueltaten dort erfährt. Als Leser wird man geschickt auf diese Entdeckungsreise mitgenommen, ohne überfordert oder überfahren zu werden.

Der Schreibstil von Hanna Jansens Roman ist vielleicht manchmal ein wenig sperrig, was vor allem daran liegt, dass Sams Passagen als Erzähler im Präsens abgefasst sind. Mich hat das anfangs ein wenig irritiert, mit zunehmender Lesedauer jedoch nicht mehr gestört.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Bücher über Afrika gibt es im deutschen Sprachraum nicht unbedingt viele, und oft stecken sie voller Klischees. „Herzsteine“ ist ein Buch über Afrika, das hier positiv auffällt. Man merkt, dass Hanna Jansen mit der Thematik vertraut ist: Mit ihrem Mann hat sie viele afrikanische Kinder aufgenommen und ihnen ein Zuhause gegeben (wie sie auf ihrer Webseite schreibt). Sie kennt also einerseits durchaus die Probleme von Menschen, die in Afrika geboren, aber hier aufgewachsen sind, weiß andererseits aber auch von eigenen Reisen viel über Afrika. Dass sie diese, ihre Erfahrungen in einem Jugendroman unterbringt, macht das Buch glaubwürdig.

„Herzsteine“ ist ein empfehlenswertes Buch, das nicht eindimensional ist, nicht mit Klischees auf Afrika schaut, sondern ein komplexes Thema gekonnt und virtuos aufgreift. Nicht vielen Büchern über den uns in vielem fremden Kontinent gelingt dies auf so anschauliche Art und Weise.

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(Ulf Cronenberg, 26.11.2012)

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Lektüretipp für Lehrer!

Wer als Lehrkraft das Thema Afrika thematisieren will, ist mit Hanna Jansens Buch gut beraten. Es findet die richtige Balance zwischen den Problemen Jugendlicher in der heutigen Zeit und einem Blick auf die schwierigen Verhältnisse in einem afrikanischen Land. Zurückhaltend und deutlich zugleich werden der Bürgerkrieg in Ruanda sowie dessen Folgen thematisiert und zugleich weitere Themen, die man mit Schülern besprechen kann, angesprochen. Der Aufbau des Buches ist außerdem literarisch gelungen.

„Herzsteine“ ist kein Buch, das Schülern vielleicht gleich auf den ersten Blick zusagt, aber um geschichtliche und geografisch-politische Themen erweitert kann daraus durchaus eine für Klassen ab Jahrgangsstufe 9 spannende und Horizont erweiternde Lektüre werden.


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Kommentare (3)

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