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Buchbesprechung: John Green „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“

Cover John GreenLesealter 13+(Hanser-Verlag 2012, 288 Seiten)

Vor fünf Jahren ist der Jugendbuchmarkt regelrecht mit Leukämiebüchern überschwemmt worden. Die Hauptfiguren (oder deren Verwandte) in den Büchern von Sally Nichols, Jenny Downham, Jordan Sonnenblick und Anthony McCarten hatten Leukämie. Seltsamerweise war das Thema so plötzlich wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war … Dass nun John Green ein Buch, in dem es um Krebs geht, veröffentlicht, mag sicherlich manchen überraschen. Der amerikanische Autor ist bekannt für temporeiche und philosophisch angehauchte Romane, die durchaus auch tragische Momente kennen, aber insgesamt doch eher von Menschen auf der Sonnenseite des Lebens und ihren Problemen erzählen. Umso gespannter war ich jedoch darauf, wie John Green sich einem schwierigeren Thema nähert.

Inhalt:

Hazel hat eine unheilbare Form von Krebs, die Ärzte können mit Medikamenten nur noch ihr Leben verlängern – und ihr Leben ist nicht gerade ein Pappenstiel. Hazels Lunge ist stark in Mitleidenschaft gezogen, sie muss ständig ein Wägelchen mit Sauerstoffflasche mit sich schleppen, damit über einen Nasenschlauch Sauerstoff in ihre Lungen gepumpt wird.

Bei einer Selbsthilfegruppe, zu der Hazel eigentlich nur ungerne geht, lernt sie Augustus, einen ebenfalls krebskranken Jungen kennen, dessen Prognosen wesentlich besser als ihre eigenen aussehen. Ihm wurde ein Bein amputiert – doch gut 80 % mit dieser Krebsform können nach der Behandlung und Operation als geheilt gelten. Hazel ist von Gus, wie Augustus meist genannt wird, von Beginn an genauso fasziniert wie dieser von ihr. Trotz Krankheit ist Gus, früher ein erfolgreicher Basketballer, noch immer eine beeindruckende Person. Was Hazel aber vor allem an ihm gefällt, ist seine witzige, mitunter auch sperrige Art.

Die beiden lernen sich besser kennen und sind bald unzertrennliche Freunde. Allerdings tut sich Hazel schwer, eine richtige Beziehung mit Gus zu beginnen, denn sie will ihm ersparen, dass sie ihm (wie schon seine frühere Freundin) nach einiger Zeit wegstirbt.

Hazel möchte, dass Gus auch ihr Lieblingsbuch über ein krebskrankes Mädchen liest: „Ein herrschaftliches Leiden“ von Peter van Houten. Auch Gus ist von dem Buch fasziniert, und er will Hazel einen Herzenswunsch erfüllen: Sie sollen gemeinsam nach Amsterdam reisen, wo sich Peter van Houten inzwischen niedergelassen hat, um sich bei ihm nach der Fortsetzung des Buches zu erkundigen.

Bewertung:

Kein einfaches Thema hat sich John Green da vorgenommen – aber ein guter Schriftsteller traut sich eben auch mal etwas. Und da Greens letzte Bücher doch immer wieder eine gewisse Ähnlichkeit in Bezug auf Plot und Figuren hatten, kam der Themenwechsel zur rechten Zeit.

Um es vorwegzunehmen: „Der Tod ist ein mieser Verräter“ (Übersetzung: Sophie Zeitz) ist im Wesentlichen dennoch ein typisches John-Green-Buch, auch wenn der amerikanische Autor darin thematisch anderes aufgreift. Das liegt vor allem daran, dass auch im neuen Buch interessante und ungewöhnliche Dialoge zu finden sind, die trotz ihrer vielleicht anfangs vermuteteten Flapsigkeit wichtige und weitergehende Fragen aufwerfen.

Um ein Beispiel anzuführen: Da sagt eine Krankenschwester zu einem gerade wegen einer Operation erblindeten Jungen z. B. „Du stehst noch ganz am Anfang, junger Mann. Du wirst schon sehen.“ Und dann folgt zwischen Hazel und Isaac, dem blinden Jungen, folgendes Gespräch (S. 73):

„Du wirst schon sehen? Hat sie das wirklich gesagt?“
„Eigenschaften einer guten Krankenschwester – du fängst an“, sagte ich.
„Erstens: Macht keine Wortspiele aus deinen Gebrechen“, sagte Isaac.
„Zweitens: Trifft die Vene beim ersten Versuch“, sagte ich.
„Stimmt, das ist ein Riesenplus. Ich meine, ist das mein Arm oder eine Dartscheibe? Drittens: Keine Mahnung in der Stimme.“
„Viertens: Behandelt einen nicht wie ein Baby. Wie geht’s uns heute, Schatzilein?“, sagte ich. „Ich pikse dich mit einer kleinen Nadel. Das macht vielleicht ein bisschen Aua.“
“Ist unser kleiner Wumpfibumpf krankilein?“, antwortete er. Und dann nach einem Augenblick: „Aber eigentlich sind die meisten echt nett. Ich will nur so schnell wie möglich raus hier.“
„Raus hier, aus dem Krankenhaus?“
„Das auch“, sagte er.

Mal ehrlich: Wer außer John Green kann seine Figuren so sprechen lassen? Unbeschwert und zugleich die Tragik des Lebens erfassend? In „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ stößt man immer wieder auf solche Dialoge, und das Buch hat dafür die richtigen Figuren – auch das zeichnet John Greens Bücher immer aus. Vor allem Gus ist ein Meister ungewöhnlicher Sichtweisen, die er noch dazu wortgewandt und zugespitzt unter die Leute bringt. Mitleid kennt er ebenso wie Hazel so gut wie gar nicht – und letztenlich macht genau das John Greens Buch trotz des schweren Themas leicht: die Abwesenheit von Mitleid. Nein, „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ strotzt stattdessen eher vor Lebensfreude. Das mag komisch klingen, aber funktioniert von der ersten bis zur letzten Seite.

Eine Kleinigkeit habe ich bei John Greens neuem Jugendroman, wenn ich ehrlich bin, trotzdem vermisst: Szenen, wie man sie z. B. aus „Margos Spuren“ (die Hals-über-Kopf-Fahrt zu Margo gegen Ende) oder „Eine wie Alaska“ (das Trinkgelage mit dem Spiel „Schönster / schlimmster Tag“) kennt, Szenen, die einen staunend zurücklassen und die ich an seinen Büchern immer am meisten geliebt habe. Solche dramaturgischen Höhepunkte fehlen in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, doch vielleicht ist das angesichts des Themas auch zu viel verlangt.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Mein bisheriger Favorit bei den Krebsbüchern war Anthony McCartens „Superhero“, und ich würde sagen, dass sich ein zweiter Favorit dazugesellt hat: John Greens „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Die Kunst beider Bücher besteht darin, dass die Schrecklichkeit des Krebsleidens dargestellt wird, ohne dass die Figuren und der Leser in Mitleid ertrinken, weil die Bücher auch Unbeschwertheit und Humor mitbringen. Im Fall von John Green sind es – wie immer – die Gespräche der durchaus schrulligen Figuren miteinander, die etwas Besonderes sind und denen man sich nicht entziehen kann. Ein „Krebsbuch“, das eine gewisse Heiterkeit verbreitet? Das mag fast als Sakrileg erscheinen. Doch das ist es in John Greens Fall nicht. Denn er bringt seinen Figuren die nötige Portion Respekt entgegen.

Mit den skurrilen Einfällen in John Greens Buch könnte man noch viele Zeilen füllen und z. B. die Häkelkisscheneltern von Gus oder die Figur Peter van Houtens anführen. Doch ein bisschen Restfreude sollte man zukünftigen Lesern dieses Buches lassen. John Green schenkt seinem Buch darüber hinaus ein paar unerwartete, aber nicht unbedingt immer freudige Wendungen … Gekonnt gemacht ist das.

Um mit einer kleinen Hommage an das Buch zu schließen: Wer sich gleich über das Ende dieser Buchbesprechung wundern wird, der muss eben „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ lesen – es lohnt sich definitiv! Denn dort wird

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(Ulf Cronenberg, 09.08.2012)

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P. S.: Hübsches Cover übrigens …

Lektüretipp für Lehrer!

Ja, warum nicht? „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ eignet sich durchaus auch für die Schule, und die Begründung dafür wurde in der Buchbesprechung ja schon geliefert. John Greens Roman ist eben nicht nur ein Krebsbuch, es ist außerdem kein vor Mitleid triefendes Problembuch, das vielen Schülerinnen und Schülern auf die Nerven gehen dürfte, sondern ein Buch, das man als Anlass für persönliche und spannende Diskussionen zu vielen Themen nehmen kann. Eine Klasse, die dafür offen ist (ich würde sagen: ab der 9. Jahrgangsstufe), sollte man dafür allerdings als Voraussetzung nennen.


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Kommentare (11)

  1. Britta Kiersch

    Lieber Ulf, freue mich, dass dir das Buch auch gefällt!
    Ich habe allerdings einen Einwand: Im Fazit nennst Du die Protagonisten „schrullig“, was sie in meinen Augen nicht sind. Sie sind ungewöhnlich, originell, witzig, intelligent – alles Mögliche außer schrullig …
    Dann fehlen Dir die skurrilen Szenen, wie man sie aus den älteren Titel kennt. Mir fällt da spontan die Eierwurfaktion mit dem mittlerweile blinden Freund ein, die fand ich schon sehr speziell.
    Schönen Gruß, Britta

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Ja, die Eierwurfaktion war schon klasse – aber selbst die war im Vergleich zu Ähnlichem aus älteren Büchern vergleichsweise sachte erzählt … Und längere Abschnitte mit Tempo fehlen eben doch etwas.

      Antworten
  2. Pingback: Jugendbuchtipps.de» Blogarchiv » Welche Jugendbücher eigenen sich im Jahr 2012 besonders als Geschenke? Ein paar Empfehlungen …

  3. Bee Vreeland

    Ich liebe dieses Buch total!
    In der Bewertung steht an einer Stelle: „Der Tod ist ein mieser Verräter“ ist im Wesentlichen ein typisches John-Green-Buch …

    Antworten
  4. lu

    Einfach nur toll! 6 von 5 Punkten! ;-D

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  5. mi

    Wundertoll – hab geweint, als es so weit war. Will nichts verraten … 🙂 – aber man weiß nie, wie es wirklich zu Ende gehen wird: ob Hazel weiterlebt. Oder „Ein herrschaftliches Leiden“: Das Buch im Buch will man am liebsten auch mal lesen, weil die Hauptfiguren es so gut beschrieben haben.

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  6. Evelyn

    Auch ich war mehr als ergriffen von diesem wunderbaren Buch …

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  8. Anne

    Dieses Buch ist so wundervoll geschrieben (angenehm sarkastisch, aber eines auf keinen Fall: langweilig). Bei den meisten Szenen überlegt man erst und denkt sich: ,,Echt jetzt?”: Doch je intensiver man über dieses Buch nachdenkt, um so mehr erkennt man, welche Wahrheiten in ihm versteckt sind. Ich kann dieses Buch selber sehr empfehlen … Für mich „Das Schicksal ist ein mieser Verräter – ein herrschaftliches Leiden“; ich habe es wie Hazel ihr Buch schon unzählige Male gelesen (Zitat aus DSiV: „Manchmal liest du ein Buch und du denkst, dass diese kaputte Welt nur geheilt werden kann, wenn alle Menschen dieses Buch gelesen haben. Und dann liest du ein Buch, das ist dein Buch, genauso wie dein Körper dein Körper ist.“)

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  9. Der Bücherblog eines Bookgirls

    Tolle Rezension, genauso habe ich das Buch empfunden!

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  10. Bernhard Straßer

    Die Bücher von John Green haben mich schwer beeindruckt. Vor allem dieses. Nicht nur, weil es eine spannende, bewegende Geschichte ist. Sondern, auch wegen seiner literarischen Tiefe und den vielen Metaphern und Verweisen auf die Literaturgeschichte, die man erst beim zweiten Mal lesen begreift.
    Das Buch hat mich so inspiriert, dass auch ich das Thema Krebs für mein Buchprojekt gewählt habe. Das Ergebnis heißt „Sterne sieht man nur bei Nacht“. Ich hoffe, dass es ähnlich unterhaltsam und berührend geworden ist.

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