(Wunderlich-Verlag 2012, 422 Seiten)
Von Holly-Jane Rahlens habe ich schon einige Bücher gelesen, und als mir die Autorin vor einiger Zeit geschrieben hat, dass sie ein neues, ganz anderes Buch – diesmal auch nicht in einem Jugendbuchverlag herausgegeben – veröffentlichen wird, war ich natürlich neugierig. Ich habe versprochen, das Buch zu lesen; und ja, es ist wirklich diesmal etwas ganz anderes … Es geht nicht um Amerikaner in Deutschland, nicht um eine jüdische Familie, nicht um den Mauerfall, sondern … Lest einfach weiter.
Inhalt:
Finn lebt im Jahr 2264, und auf der Erde hat sich einiges verändert. Im Jahr 2018 kam es zu einer viele Jahrzehnte dauernden Katastrophe, die später Dark Winter genannt wurde. In der Krisenzeit, ausgelöst durch einen Biogas-Angriff, sind nicht nur Millionen von Menschen gestorben, sondern es wurde auch ein Großteil der Kultur zerstört.
Doch die Erde und die Menschheit haben sich erholt: Die Menschen leben wieder komfortabler, man kann ohne Probleme zwischen den Kontinenten hin- und herreisen und man bekommt, wenn man vorher keine Partnerin gefunden hat, im Alter von 30 Jahren eine zugeteilt. Doch Probleme gibt es auch: Die Bevölkerung schwindet einer viel zu geringen Geburtenrate wegen dramatisch.
Finn, der in Amerika aufgewachsen ist, hat eine schwere Zeit hinter sich. Seine gesamte Familie (Eltern und zwei Geschwister) sind vor kurzem bei einem Weltraumflug ums Leben gekommen. Als Finn – er ist Historiker mit dem Spezialgebiet europäische Geschichte vor und nach dem Dark Winter – einen neuen Arbeitsauftrag bekommt, ist ihm die Abwechslung willkommen. Doch enttäuscht ist er, als er erfährt, dass er das auf einem Ostsee-Bodden gefundene Tagebuch eines dreizehnjährigen Mädchens, das um die Jahrtausendwende gelebt hat, übersetzen soll.
Der Auftrag entpuppt sich dann entgegen seinen Erwartungen jedoch als recht interessant. Finn beginnt die Tagebuchaufzeichnungen des Mädchens nach und nach sympathisch zu finden, richtig spannend wird es jedoch, als er ein Computerspiel – das wird ihm zumindest gesagt – testen soll, das ihn in die damalige Zeit versetzt. Später stellt sich allerdings heraus, dass es nicht um ein Computerspiel ging, sondern dass Finn mit seiner Freundin Rouge durch eine Zeitreise wirklich in die damalige Zeit versetzt wurde. Auf weiteren Reisen in die Vergangenheit trifft er schließlich auch das Mädchen, dessen Tagebuch er übersetzt …
Bewertung:
Holly-Jane Rahlens hat nicht übertrieben: „Everlasting“ (Übersetzung: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann) ist wirklich etwas ganz anderes als ihre bisherigen Bücher – und letztendlich finde ich es schon einmal grundsätzlich gut, wenn ein Autor oder eine Autorin etwas wagt und neue Wege geht. Dass mir „Everlasting“ sehr gut gefallen hat, lang jedoch nicht daran, sondern hat vielfältigere Gründe.
Zeitreiseromane sind im Science-Fiction-Genre ganz bestimmt nichts Neues, aber wie Holly-Jane Rahlens das angeht, ist dennoch etwas Besonderes. Das Buch sprüht nur so vor Ideen, die mich beim Lesen immer wieder schmunzeln haben lassen. Der Effekt kommt vor allem dadurch zustande, dass Finn als Mensch des 23. Jahrhunderts quasi aus seiner Wahrnehmung heraus und damit völlig unbedarft unsere heutige Zeit, wie er sie in den Zeitreisen erlebt, beschreibt. Das führt immer wieder zu Situationskomik.
Das geht schon damit los, dass man im 23. Jahrhundert nicht mehr in der Ich-Form spricht (welch genialer Einfall!). Statt „Ich weiß nicht, was ich machen soll.“ sagt man „Dieser Mann weiß nicht, was er machen soll.“ Dass Finn – ins 20. Jahrhundert versetzt – anfangs dementsprechend geschwollen spricht, dürfte klar sein. Dass Finn und seine Partnerin Rouge sich immer in öffentlichen Toiletten in Berlin materialisieren, dass sie sich anfangs nicht gerade passend anziehen, dass sie mit einem patentgefalteten Falk-Stadtplan von Berlin kämpfen … – all das sind Ideen, die einen beim Lesen von „Everlasting“ wiederholt zum Lachen bringen.
Vielleicht fragt sich mancher, wo der Buchtitel „Everlasting“ eigentlich herrührt. Das Buchcover mit dem Parfümflakon vorne drauf verrät es indirekt schon. „Everlasting“ heißt das Parfüm, das Eliana (so heißt das Berliner Mädchen des 20. Jahrhunderts) verwendet und mit dem sie auch ihr kitschiges rosa Tagebuch, das so nach Plastik stinkt, eingesprüht hat. Finn meint, ein wenig davon auch noch gut 250 Jahre später zu riechen, und verliebt sich gleich in das Parfüm, als er es das erste Mal in Wirklichkeit riecht.
Und um was geht es nun in „Everlasting“? Letztendlich – das gibt der Text auf der Buchrückseite schon preis – um das alte Thema Liebe. Im 23. Jahrhundert spricht man nicht nur nicht mehr in der 1. Person, sondern richtige Liebesgefühle kennt man auch nicht mehr. Finn jedoch lernt sie bei seinen Zeitreisen kennen.
Am Ende wartet das Buch mit einigen Überraschungen auf: Finn macht die Entdeckung (mehr sei aber wirklich nicht verraten), dass das, was ihm mit dem Tagebuch und den Zeitreisen geschehen ist, kein Zufall ist, sondern dass er im Namen der Wissenschaft instrumentalisiert wurde. Man hat es fast geahnt. Doch das ist nicht die einzige Überraschung …
Fazit:
5 von 5 Punkten. „Everlasting“ ist ein erfrischendes, ein erheiterndes Buch, das zwar in einem „Erwachsenen-Verlag“ erschienen ist, aber durchaus auch etwas für Jugendliche ab 14 oder 15 Jahren ist. Viel jünger sollte man nicht sein, denn manche der humorvollen Anspielungen erschließen sich einem nur, wenn man selbst etwas von außen auf unsere Gesellschaft und Welt blicken kann, außerdem ein wenig Hintergrundwissen mitbringt.
Ich habe bei Holly-Jane Rahlens‘ neuem Buch viel geschmunzelt, immer wieder gelacht, kurz gesagt, mich bestens unterhalten gefühlt. Es ist schlichtweg komisch, mit dem Blickwinkel eines Menschen aus dem 23. Jahrhundert auf unser heutiges Leben zu gucken. Man kann Finns Gedanken und Gefühle dabei durchaus nachvollziehen: Sei es seine Verwunderung über gewisse Konventionen und ungeschriebene Gesetze des 20. Jahrhunderts, sei es weiter hinten im Buch auch in Bezug auf seine Begeisterung für die Liebe (und deren Tragik), die es so in seiner Welt nicht gibt.
(Ulf Cronenberg, 28.03.2012)
[flattr uid=’28988′ btn=’compact‘ lng=’DE‘ /]
Entdecke mehr von Jugendbuchtipps.de
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Dieser Leser ist begeistert.
Wo anfangen? Grandiose Geschichte, großartige Figurenzeichnung, spannend, witzig, lehrreich, mit Botschaft. Herz, was willst du mehr? Holly-Jane Rahlens hat hiermit ihr opus magnum vorgelegt.
Schon die Vorbemerkung des Buchs lockte ein breites Grinsen auf mein Gesicht und weckte Assoziationen zu Umberto Ecos „Der Name der Rose“. Wem „Das Jesus-Video“ von Andreas Eschbach, „Geschichte machen“ von Stephen Fry und „Der Fall Jane Eyre“ von Jasper Fforde gefallen hat, der wird von „Everlasting“ ebenso angetan sein.
Was mich an Harry Potter störte, ist hier vermieden worden: Es wird nicht alles erklärt. Man taucht ein in ein skurriles Universum neuer Begriffe („Brain Button“, „Skyze“, „Tru-Copy“, „Slapback“, „Zing“, u. s. w.). Herrlich kultig. Der Zing ist mindestens so cool wie der Pangalaktische Donnergurgler.
Das Buch lässt einige Fragen offen, sodass eine Fortsetzung wahrscheinlich erscheint.
Wie so oft irritiert das Cover (nein, es ist kein Buch für 13-jährige Mädchen), und Untertitel und Klappentext spoilern. Ich habe dem Buch einen neutralen Umschlag verpasst, bevor ich es weiterborgte.
Hat dieser Leser es schon erwähnt? ICH bin begeistert.
6 von 5 möglichen Punkten.
Gerade habe ich dieses Buch für meine Nichte zum 15. Geburtstag gekauft. Auf diese Besprechung hin. Hoffen wir mal, dass es ihr gefällt. Wer hat nur immer diese schrecklichen Cover-Ideen? Hat die Marketing-Abteilung da nix zu sagen? Sicher würde das Buch einen weiteren Leserkreis bekommen, wenn das Cover besser wäre. Oh well.
Pingback: Buchbesprechung: Holly-Jane Rahlens „Blätterrauschen“ | Jugendbuchtipps.de