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Buchbesprechung: Frank M. Reifenberg „Unsichtbare Blicke“

Cover Frank M. ReifenbergLesealter 15+(rororo 2012, 394 Seiten)

Landeplatz der Engel“ von Frank Maria Reifenberg war – auch wenn es (leider) kein richtiger Verkaufsschlager war – eines der Jugendbücher der letzten Jahre, die mir mit am besten gefallen haben. Aus diesem Grund habe ich es auch bedauert, dass von dem in Köln lebenden Autor in den letzten Jahren kein neuer Jugendroman veröffentlicht wurde … Doch nun ist das Warten vorbei. „Unsichtbare Blicke” heißt der neue Roman von Frank M. Reifenberg, und hinter dem einfachen, aber eindrücklichen Cover verbirgt sich ein eine Mischung aus Krimi und Thriller.

Inhalt:

Josie wird von ihren Eltern ziemlich kurz gehalten, woran vor allem ihr Vater Schuld ist. Er hat sich einer Art Sekte zugewandt und will seine Tochter vor den Verlockungen der modernen Zeit bewahren. Immerhin hat das Mädchen inzwischen einen Computer, der aber – wie der Vater betont – extra sicher eingerichtet wurde. Josie chattet – was die Eltern jedoch nicht wissen – regelmäßig mit einem Jungen namens Geronimo. Auch wenn sie keine Details aus dem Leben des Jungen kennt, außer dass er in einem Internat lebt, vertraut sie sich ihm immer wieder an.

Doch so harmlos, wie Josie denkt, ist Geronimo leider nicht. Mit einem Trojaner hat er ihren Laptop so manipuliert, dass er mit der Kamera zum Videochatten in ihr Zimmer blicken kann, auch wenn Josie den Computer ausgeschaltet hat. Das Mädchen weiß davon jedoch nichts.

Zur gleichen Zeit ist Stella von Wahden, eine Sonderermittlerin, mit ihrem Kollegen japanischer Herkunft namens Miki Saito einem Serienmörder auf der Spur, der inzwischen zwei Mädchen getötet hat. Das letzte Opfer, das vorher längere Zeit vermisst worden war, wurde ertränkt aufgefunden. Doch leider tappt das Ermittlungsteam bisher ziemlich im Dunkeln. Sehr geschickt hat der Täter seine Spur verwischt. Es scheint so, als habe der Täter seine Opfer vor der Tötung längere Zeit gefangen gehalten.

Die einzige heiße Spur führt Stella von Wahden schließlich nach Berlin, da beide Opfer Adoptivkinder waren und dort geboren und vermittelt worden waren. In der Adoptivbehörde werden sie fündig: Stella von Wahden befürchtet, dass der Täter sein nächstes Opfer aus einem Kreis von Adoptivmädchen wählen könnte, deren Akten zwischenzeitlich verschwunden waren. Eines dieser Mädchen ist Josie …

Bewertung:

„Unsichtbare Blicke“ ist etwas ganz anderes als „Landeplatz der Engel“ – das war mir schon bald klar. Entgegen dem Trend der letzten Jahre hat man es hier zumindest mit einem Buch zu tun, das dem Prädikat „Thriller“ gerecht wird, auch wenn man es durchaus auch als Kriminalroman bezeichnen hätte können. Denn das Buch kennt zwei Ermittler, denen man etwa ein Drittel des Buches auf Schritt und Tritt folgt.

Ansonsten wird das Buch im Wesentlich aus zwei weiteren Perspektiven erzählt: Josie berichtet in Ich-Form davon, was sie erlebt, und der restliche Teil der Geschichte wird aus der Sicht des Täters personal in Er-Form erzählt wird. Die drei Erzählebenen greifen ständig ineinander – und das allein sorgt schon einmal für eine gewisse Grundspannung …

Diese Erzählstruktur hat mich an Krimis, die ich früher oft gelesen habe, erinnert – gerade auch an die Wallander-Romane von Henning Mankell. Letztendlich macht Frank M. Reifenberg da vieles sehr ähnlich. Der Täter wird als Psychopath dargestellt, der sich für vergangene Dinge, die ihm zugefügt wurde, rächt, und als Leser darf man in seine Seele gucken. Die Rückblenden in die Vergangenheit des Täters – auch hier gibt es die Nähe zu Mankell –, die den Leser in einen Jugendwerkhof der DDR führen, sind jeweils kursiv gedruckt.

Gekonnt aufgebaut ist „Unsichtbare Blicke“ auf jeden Fall – und ebenso gut erzählt. Das merkt man gerade daran, dass man sich gut in die Figuren des Buches hineinversetzen kann. Letztendlich gilt das sogar fast für den Täter – mit einer Mischung aus Mitleid, Verständnis und Abscheu blickt man auf ihn. Dass man nebenbei auch etwas – aber eher am Rande – über Republikflüchtlinge und Jugendwerkhöfe in der DDR erfährt, sorgt jedoch für einen gewissen Unterschied zu schwedischen Krimis. Das Buch wird dadurch gerade für deutsche Leser interessant.

Wie das für gute Krimis wichtig ist, hat „Unsichtbare Blicke“ in Stella von Wahden eine interessante Ermittlerin, die vielschichtig angelegt ist. Sie selbst hat schwierige Lebenssituationen hinter sich, ist ein gebranntes Kind, sitzt nicht immer sattelfest im Leben, kennt auch das Gefühl von Scheitern und Versagen. Genau das macht sie auch so sympathisch. Letztendlich waren für mich die Abschnitte, wo Stella von Wahden im Mittelpunkt stand, auch die interessantesten Passagen des Buches – vielleicht auch, weil sie mich an andere Krimis mit starken Ermittlerpersönlichkeiten erinnert haben.

Bleibt die Frage, ob das eigentlich ein Jugendbuch ist – und die muss man ziemlich eindeutig mit „Nein“ beantworten. Das Einzige, was dafür spricht, ist letztendlich die Figur der Ich-Erzählerin Josie, die eine Jugendliche ist. Aber sowohl die Gedanken- und Gefühlswelt des Täters als auch der Ermittlerin, die im Vergleich zu Josies Ich-Erzählung überwiegen, sind ganz klar ziemlich erwachsen angelegt.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Sagen wir es so: Frank M. Reifenbergs „Unsichtbare Blicke“ ist ein gelungener Kriminalroman mit Thrillerelementen, den man erwachsenen Krimi-Fans empfehlen kann und der sich durchaus mit den guten Vorbildern des Genres messen kann. Das Buch bietet durch seine ständigen Perspektivenwechsel Spannung und Abwechslung, der Plot ist plausibel und gekonnt aufgebaut, und die Figuren werden nachvollziehbar beschrieben. Als kleinen Kritikpunkt kann man hier höchstens anführen, dass das Buch auf den ersten 200 Seiten vielleicht 50 Seiten zu lang ist und erst danach so packend und spannend wird, dass man es nicht mehr aus der Hand legen will.

Warum also der eine Punkt Abzug? „Unsichtbare Blicke“ ist eben kein richtiges Jugendbuch, und bei Jugendbuchtipps.de sollen ja Jugendlichen Leseempfehlungen gegeben werden. 15- oder 16-Jährige, die schon ein wenig Krimi-Leseerfahrung haben, kann man das Buch sicher in die Hand geben und sie werden das Buch auch mögen. Für Kriminovizen ist Frank M. Reifenbergs Buch dagegen nicht unbedingt leichte Kost, aber ein Buch, das man sich erlesen kann. Die Einordnung als Kinder- und Jugendbuch, die Rowohlt vorgenommen hat, ist jedoch nur begrenzt passend.

Dennoch: Ich würde Stella von Wahden und Miki Saito als Ermittlern gerne wieder begegnen – und als Kriminalroman für Erwachsene kann man dem Buch durchaus fünf Punkte geben.

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(Ulf Cronenberg, 26.02.2012)

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