(Beltz & Gelberg-Verlag 2011, 142 Seiten)
Vor zwei Wochen hat Salah Naouras Kinderbuch „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ einen begehrten deutschen Kinder- und Jugendbuchpreis bekommen: den Luchs des Jahres von der Wochenzeitung „Die Zeit“ und Radio Bremen. Davon, ob der Preis verdient an den Autor ging, wollte ich mir natürlich selbst ein Bild machen.
In Salah Naouras Buch spielt Finnland übrigens eine wichtige Rolle. Nun könnte man meinen, dass Naoura selbst aus Finnland stammt – doch das stimmt nicht. Salah Naoura hat syrische Wurzeln, ist aber in Deutschland aufgewachsen, hat aber immerhin neben Germanistik auch Skandinavistik studiert.
Inhalt:
Das Schlamassel ist groß: Der 11-jährige Matti, sein jüngerer Bruder Sami und seine beiden Eltern stehen mit viel Gepäck und ohne Auto mitten in der finnischen Pampa an einem See. Die Eltern zetern und schimpfen vor allem auf Matti ein, der ihrer Meinung nach daran Schuld ist, dass sie in einer so misslichen Lage stecken. Wie es dazu kommen konnte, ist eine längere Geschichte, und sie wird in „Matti und Sami“ erzählt.
Komfortabel hat es die Familie in Deutschland nicht. Sie lebt beengt in einer Hochhauswohnung und Geld ist nur wenig vorhanden. Mattis Vater, der Finne ist, arbeitet als Busfahrer und vergräbt sich gerne in seinem Arbeitszimmer, um Handyspiele zu programmieren. Der Traum, damit Geld zu verdienen, liegt jedoch in weiter Ferne. Mattis Mutter ist auch nicht gerade glücklich: Sie jobbt in einer Arztpraxis und kommt mit ihrem Chef überhaupt nicht aus.
Als der Bruder von Mattis Vater nach Deutschland kommt, gibt es ein feuchtfröhliches Fest. Mattis sonst eher wortkarger Vater wird nach der dritten Schnapsrunde redselig und verrät, nachdem sein Bruder damit angegeben hat, dass er bald eine Holzfirma übernehmen wird, der Familie ein bis dahin gut gehütetes Geheimnis: Eine Schweizer Firma will ihn wegen seiner Handyspiele anstellen, ein Haus am See wird der Familie gestellt. Für Matti und Sami geht ein Traum in Erfüllung: endlich Platz in der Bude, jeder ein eigenes Zimmer, ein eigenes Boot am See … Doch der Traum vom schönen Leben hat nicht lange Bestand.
Bewertung:
Ich nehme es mal gleich vorweg: „Matti und Sami“ ist wirklich ein unterhaltsames Buch, das 9- oder 10-Jährige, aber auch Erwachsene ziemlich schnell ausgelesen haben dürften. Die Geschichte hat einfach alles, was ein packendes Buch für Kinder ausmacht.
Das geht schon los mit dem wahnwitzigen Einstieg: Mit Koffern steht die Familie in der finnischen Landschaft und weiß nicht, wie sie wegkommen soll. Salah Noura hat nach diesem Beginn gleich alle Sympathien des Lesers auf seiner Seite, und es ist geschickt, dass er die Auflösung, wie es dazu kommen konnte, erst recht spät in dem Buch präsentiert. Bis dahin wird die Geschichte von vorne aufgerollt.
Man könnte einen Abfall des Spannungsbogens zwischen dem Anfang und dem Ende befürchten – aber wegen der liebenswürdigen Erzählweise kommt eigentlich nie Langeweile auf, und das liegt vor allem auch an den Figuren des Buches. Sie alle haben eine ordentliche Portion Gefühle in ihrem Bauch: Mattis Mutter Wut auf alles Mögliche, sein Vater, der sich hinter seiner Sprachlosigkeit verschanzt, versteckte Träume, Matti und Sami selbst schlingern hin und her gerissen zwischen Enttäuschung und Begeisterung mehr oder weniger unbeschwert durchs Leben. Die Figurenzeichnung stimmt – bis zu den Randfiguren hin: Mattis Onkel Kurt, ein Taxifahrer, z. B. ist ein herzensguter Mensch, für Matti so etwas wie ein Sorgenonkel in der Not. Und der finnische Onkel und seine Frau, die Mattis Familie besuchen, sind auch nicht unbedingt von schlechten Eltern.
Das Buch lebt außerdem von vielen skurrilen Ideen, die Salah Naoura geschickt an den Mann bringt. Wer sich da über den Delphin auf dem Buchcover wundert, der muss das Buch schon selbst lesen. Denn das ist auch eine gelungene Episode, deren Auflösung dem Leser ein längeres Schmunzeln auf die Lippen zaubert.
Fazit:
5 von 5 Punkten. Wahrscheinlich kann man von Salah Naouras Buch nur begeistert sein, denn „Matti und Sami“ bietet einen erfrischenden und wohlschmeckenden Cocktail, der trotz Irrungen und Wirrungen gute Laune verbreitet und dem man selbst das zu schmalzige Happy End (auf das man auch verzichten hätte können) nicht übelnimmt. Hinter allem Spitzbübischen, das das Buch enthält, steht darüber hinaus immer auch eine gewisse Tiefe: Das Leben ist eben nicht immer einfach – auch nicht für Erwachsene. Wie diese in „Matti und Sami“ liebevoll überzeichnet und mit all ihren Träumen und Schwächen dargestellt werden, ist jedenfalls amüsant und ernsthaft zugleich.
Den Luchs des Jahres hat dieses Buch jedenfalls meiner Meinung nach zu recht bekommen, denn eine vergleichbare Frische und Lebendigkeit findet man in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur nicht allzu oft. Das letzte Buch, das Ähnliches bietet, war meiner Meinung nach Andreas Steinhöfels „Rico, Oskar und die Tieferschatten“.
(Ulf Cronenberg, 14.12.2011)
Lektüretipp für Lehrer!
„Matti und Sami” kann man auch gut im Unterricht einsetzen – allerdings eher am Ende der Grundschule als in weiterführenden Schule (dort höchstens noch zu Beginn der fünften Klasse). Lesespaß bietet das Buch allemal. Es ist zudem nicht zu dick, und zum kreativen Umgang mit Kinderliteratur vermag das Buch ebenfalls zu verleiten. Man lese z. B. nur das Eingangskapitel vor, in dem Matti und Familie mit Koffern und ohne Auto in der finnischen Pampa stehen, und lasse die Schülerinnen und Schüler selbst in einer Geschichte überlegen, was passiert sein könnte.
Dass man darüber hinaus einiges zum Lachen hat, ist immerhin auch schon mal ein großer Pluspunkt für Salah Naouras Kinderbuch. Es müssen ja nicht immer Problembücher sein, die man im Unterricht behandelt.
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Mein neunjähriger Sohn hat es genauso geliebt wie ich! Cool!
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Habe für eine 5. Klasse ein passendes Buch gefunden und war ebenso begeistert von dieser Lektüre (schön der Hauch von Salinger, der zu spüren ist). Habe beim Verlag nachgefragt, eine Taschenbuchausgabe ist ab 2013 geplant (vorher ist das bei einem Preis über 10 Euro nicht vermittelbar). Gutes Weiterlesen!
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Ich habe meiner Familie die Geschichte auf der Rückfahrt aus dem Urlaub vorgelesen. Unser sechsjähriger Sohn war genau so begeistert wie wir Erwachsenen. Nach Ankunft blieben wir in der Tiefgarage noch 10 Minuten im Auto sitzen, weil wir unbedingt und sofort das Ende hören wollten. Eine großartige Geschichte!