(Ravensburger-Verlag 2011, 256 Seiten)
Von David Almond habe ich bisher noch kein Buch hier besprochen, auch wenn ich schon welche von ihm gelesen habe (genau genommen stimmt das nicht ganz, denn eine Geschichte von ihm war in „Klick!“, einem der interessantesten Buchprojekte der letzten Jahre, enthalten). Viele seiner Bücher sind jedoch für jüngere Kinder und kommen deswegen für Jugendbuchtipps.de eher nicht in Frage. Was ich von David Almond kenne, fand ich jedoch immer interessant. Die Bücher des Engländers sind kreativ, haben Humor und beschäftigen sich zugleich auch immer mit ernsten, oft philosophischen Themen.
Inhalt:
Mina ist ein ganz besonderes Kind, könnte man sagen. Das Mädchen passt nicht in die üblichen Raster, und deswegen eckt sie – insbesondere in der Schule – immer wieder an. Mit ihrer Mutter lebt sie nach dem Tod ihres Vaters alleine in einem Haus. Mina ist viel draußen und sitzt auf einem Baum, schreibt ständig etwas in ihr Notizbuch oder verbringt, weil sie keine gleichaltrigen Freunde und Freundinnen hat, die Zeit mit ihrer Mutter.
In der Schule gibt es zunehmend Probleme. Ihre Lehrerin Mrs Scullery ist genervt davon, dass Mina sich nie an Regeln halten kann und dass sie Arbeitsaufträge immer anders ausführt, als sie gedacht sind – dabei ist Mina ein besonders sprachbegabtes Kind, das sich sehr gut ausdrücken kann und kreativ ist. Sobald sie jedoch etwas etwas ganz Bestimmtes machen soll, verweigert sie sich oft.
Bei einem landesweiten Schultest eskaliert die Situation in der Schule. Mina gibt einen reinen Nonsens-Text mit selbsterfundenen Wörtern ab – ihre Mutter wird daraufhin zum Direktor gerufen. Doch statt in die Klagen der Schule einzustimmen und mit Mina zu schimpfen, meldet Minas Mutter ihre Tochter kurzerhand von der Schule ab. Sie will Mina fortan selbst zu Hause unterrichten …
Bewertung:
Es ist gar nicht so einfach, David Almonds Buch zusammenzufassen, denn eigentlich passiert darin nicht allzu viel an äußerer Handlung. Vielmehr geht es um Minas Gedanken und Eindrücke, die sie selbst als Erzählerin festhält. Nach 50 Seiten habe ich mich deswegen gefragt, ob mich „Mina“ nicht irgendwann langweilen würde. Aber dazu ist es nicht gekommen.
„Mina“ könnte man als eine Charakterstudie bezeichnen. Es geht um ein Mädchen, das in kein Schema hineinpasst, das eine sehr ausgeprägte Gefühlswelt hat, sich sprachlich gut ausdrücken kann, dafür aber Schwierigkeiten hat, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten. Nur einmal im Buch hat Mina so etwas wie eine Freundin in der Schule – aber wegen Minas Weggang aus der Schule sehen sich die beiden bald nicht mehr. Natürlich liegt die Vermutung auf der Hand, dass Minas Anderssein und ihre Kontaktscheu Gleichaltrigen gegenüber etwas mit dem Tod ihres Vaters zu tun hat. Doch das Buch hält sich hier mit Interpretationen zurück, letztendlich ist der Grund für Minas Verhalten aber auch nicht von Bedeutung.
David Almonds Buch handelt jedenfalls von einem Kind, das ganz anders als Kinder gleichen Alters ist, und insgesamt kommt man nicht umhin, für Mina Sympathie zu empfinden und sie zu mögen. Das liegt vor allem daran, dass Mina die vielen kleinen Dinge im Leben zu schätzen weiß, dass sie etwas genießen, gleichzeitig aber auch traurig und nachdenklich sein kann. Natürlich wirkt Mina manchmal etwas altklug, sie verhält sich oft nicht gerade altersgemäß … Aber genau darum geht es schließlich auch: um ein Kind, das sich nicht altersgemäß entwickelt. Sprachlich und gedanklich ist Mina Gleichaltrigen um Längen voraus, im sozialen Bereich hinkt sie deutlich hinterher.
Als Leser muss man über all das immer wieder staunen, manchmal ist man vielleicht auch ein wenig irritiert. David Almond ist es jedenfalls ausgezeichnet gelungen, sich in ein ganz besonderes Kind hineinzuversetzen.
Fazit:
5 von 5 Punkten. David Almonds Buch ist ein Plädoyer für so vieles: dafür, dass man Kinder akzeptieren sollte, die ganz anders als andere sind, oder dafür, dass eine Gesellschaft Kinder nicht zu normieren versuchen sollte. Wie Mina auf sympathische Art und Weise im Schulsystem aneckt, darin nicht zurechtkommt, hat auch etwas Gesellschaftskritisches, fast etwas Anarchistisches (beides ist wohl eher für erwachsene Leser von Interesse).
Wenn man es nicht Erwachsenen, sondern Kindern empfiehlt, ist „Mina“ ganz klar ein Buch für Mädchen, und so wie Mina nicht in irgendwelche Schemata passt, so dürfte dieses Buch auch nur zu Lesern passen, die zumindest in Ansätzen Mina ein wenig ähnlich sind. Das Mädchen spukt einem jedenfalls, auch wenn man das Buch aus der Hand gelegt hat, noch einige Zeit im Kopf herum. „Mina“ ist ein ungewöhnliches Buch über eine Außenseiterin, das man jedenfalls empfehlen kann.
(Ulf Cronenberg, 05.12.2011)
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Ich empfand dieses Buch auch ein wenig als Lehrstunde über den kreativen Umgang mit Texten. Ein Ansporn an junge Leser, selbst literarisch kreativ zu werden.
Beim Lesen der Rezension war mir direkt klar: Mina hat das Asperger-Syndrom! Sie ist sprachbegabt und kreativ, kann sich sehr gut ausdrücken, arbeitet sehr eigenwillig, erfindet Wörter, verhält sich nicht altersgemäß, hat keine Freunde, ist Außenseiterin, hat Schwächen im sozialen Bereich und Schwierigkeiten, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten, eckt immer wieder an – das alles ist haargenau das, was das Asperger-Syndrom ausmacht! Und höchstwahrscheinlich weiß David Almond das nicht einmal, sonst würde er den Leser ja nicht darüber im Dunkeln lassen!
Ich muss das Buch unbedingt lesen!
Interessante These … Vielleicht hat David Almond aber bewusst darüber nichts geschrieben – fände ich jedenfalls mal was anderes und reizvoller als die üblichen „Die Hauptperson ist Autist, und ich will, dass ihr sie durch dieses Buch versteht“-Bücher.
Asperger … Autismus … Hinkebein. Völlig wurscht. Darum geht’s gar nicht in dem Buch. Almond hat keine Geschichte über irgendeine Behinderung geschrieben, die man in eine Schublade stecken soll, sondern über Kreativität und die bewusste Wahrnehmung der Welt. Ich weiß auch gar nicht, ob Mina wirklich so anders ist als andere Kinder. Sie trägt nur ihre Fantasie und ihre Gedankenwelt konsequent nach außen, nicht zuletzt unterstützt durch die Mutter. Was natürlich das soziale Miteinander mit Altersgenossen schwierig macht. Aber so gesehen sind alle Figuren in Almonds Büchern kreative und gleichzeitig äußerst schwierige Typen.
Interessant zu wissen ist noch, dass „Mina“ der (Jahre später geschriebene) Vorläufer zu dem wunderbaren (aber schlecht übersetzten) Roman „Zeit des Mondes“ ist. Wo „Mina“ aufhört, fängt „Zeit des Mondes“ an.
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