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Buchbesprechung: Marlene Röder „Melvin, mein Hund und die russischen Gurken“

Cover Marlene RöderLesealter 14+(Ravensburger-Verlag 2011, 126 Seiten)

Kurzgeschichten? Damit quälen Deutschlehrer doch immer ihre Schüler – sei es, um Inhaltsangaben und Textzusammenfassungen oder das Interpretieren von literarischen Texten einzuüben. Schuld daran ist wohl vor allem das praktische Textformat: Kurzgeschichten lassen sich hervorragend kopieren und im Lesebuch unterbringen, man kann sie in einer Schulstunde lesen und besprechen … Und so haben viele Jugendliche wohl eine Aversion gegen Kurzgeschichten. Leider. Dabei sind Kurzgeschichten – finde ich – wirklich etwas Besonderes. Sehr verdichtet schildern sie außergewöhnliche Situationen von Personen, oft Wendepunkte in ihrem Leben …

Marlene Röder, die junge deutsche Autorin, die bald ihr Studium beendet, hat es sich jedenfalls getraut: Kurzgeschichten für Jugendliche zu schreiben und zu veröffentlichen. Es sind Geschichten über denkwürdige Momente im Leben von Jugendlichen: die Wiederbegegnung mit dem ehemaligen Freund in einem Laden, die Verarbeitung von Opas Tod, das Mobbing einer dicken Schülerin im Schwimmunterricht u. v. m.

In jeder Geschichte wechselt der Erzähler – nur eine Erzählerin taucht, wenn ich gründlich genug gelesen habe, zweimal auf: Josefine, deren Mutter nicht damit zurecht kommt, dass ihr Mann sie verlassen hat. Das Mädchen ist davon genervt, dass seine Mutter sich eines Abends im Urlaub an der Bar gehen lässt (Geschichte 1), und tut sich schwer, die Nähe von Stefan, der in Josefine verliebt ist und den sie mag, zuzulassen (Geschichte 2).

Spannend werden die Geschichten dadurch, dass Randfiguren früherer Geschichten später ab und zu als Hauptfigur auftreten. Die mobbende Janine aus „Germany’s next Seekuh“ (was für ein gelungener Titel!) wird später als Mädchen aus armen Elternhaus, das klauen geht, um an schicke Klamotten zu kommen, geschildert. Fast etwas klischeehaft, könnte man sagen … Aber eigentlich kam mir der Gedanke beim Lesen nicht.

Marlene Röder ist eine gute Beobachterin, und das kommt ihren Geschichten zugute. Es sind die kleinen Gesten ihrer Figuren, mit denen die Autorin Gefühle und Stimmungen ausdrückt. Es sind Metaphern und Leitmotive, mit denen sie Dinge verdichtet und Deutungen über die Handlung hinaus zulässt. Die Geschichten funktionieren oft auch auf Ebenen, die über den Text hinaus gehen. Beeindruckt hat mich dabei immer auch die Sprache. Sehr dicht, wie das zu guten Kurzgeschichten gehört, sind die Texte geschrieben, da sitzt jedes Wort.

Die einzige Schwäche der Kurzgeschichtensammlung ist vielleicht, dass man bei der ein oder anderen Geschichte das Gefühl hat, thematisch schon einmal Ähnliches gelesen zu haben – allerdings nicht unbedingt im Jugendbuchbereich. Das betrifft vor allem Erzählungen, wo es um das Thema Verliebtsein geht. Doch wirklich gestört hat mich das nicht.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Marlene Röder ist ein wunderbarer Kurzgeschichtenband gelungen, den man Jugendlichen vorlegen kann. Sicher wird man die ein oder andere Geschichte in ein paar Jahren in Deutschbüchern wiederfinden. Das ist einerseits gut so, denn die Texte sind thematisch jugendnah und können die üblichen Kurzgeschichten von Heinrich Böll oder Gabriele Wohmann, die inzwischen etwas in die Tage gekommen sind, ersetzen. Andererseits ist es eigentlich das Gesamtpaket des Buches, das den Reiz ausmacht, da die Geschichten immer wieder ineinander verzahnt sind. Und das geht beim Abdruck von Einzelgeschichten verloren.

„Melvin, mein Hund und die russischen Gurken“ ist ein Kurzgeschichten-Band zum Wiederlesen. Beim zweiten Durchschmökern werden die Geschichten sicher noch einmal interessanter, da man die Bezüge zwischen den Figuren dann besser kennt.

Schön, dass sich mal wieder ein Autor / eine Autorin an Kurzgeschichten herangewagt hat. Und dass Ravensburger das gewagte Vorhaben unterstützt (denn der Band dürfte zunächst einmal nur eine eher kleine Zielgruppe unter den Jugendlichen ansprechen), ist außerdem hervorzuheben.

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(Ulf Cronenberg, 22.10.2011)

Lektüretipp für Lehrer!

Dass man Marlene Röders Buch – in Einzelgeschichten oder als Gesamtpaket – durchaus im Deutschunterricht einsetzen kann, dürfte bereits deutlich geworden sein. Der Reiz liegt darin, dass neben der hohen sprachlichen Qualität auch viele Themen, die Jugendliche beschäftigen, thematisiert werden. Man findet im Deutschunterricht von den Kurzgeschichten ausgehend sicher viele Gesprächanlässe.

Auch für die kreativen Anteile im Deutschunterricht lassen sich die Texte hervorragend nutzen: Da können Geschichten fortgeschrieben werden, Randfiguren (wie die Autorin das ja auch gemacht hat) aufgegriffen werden, um über sie eine neue Geschichte zu schreiben – um nur zwei Beispiele zu nennen.

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Kommentare (0)

  1. Christoph Enzinger

    Zusatzinformation für Deutschlehrer:
    Sehr, sehr schöne Kurzgeschichten für junge Leser gibt es in Nava Semel, „Liebe für Anfänger“, übersetzt von Mirjam Pressler – die besten Kurzgeschichten, die ich je gelesen habe. Ich habe das Buch meiner Frau vorgelesen und wir waren beide fasziniert von der dichten, schönen Sprache und den originellen Szenen.

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    1. Ulf Cronenberg
  2. Christoph Enzinger

    Kurzgeschichten für Jugendliche. Gibt es diese literarische Gattung überhaupt? Nun, wenn ein Autor Kurzgeschichten schreiben kann, dann zeigt sich die wahre Meisterschaft. Und Marlene Röder kann es. Sehr bemerkenswert. Trotzdem: Mich sprachen diese Geschichten nicht an. Nur eine, „Schwarzfahren für Anfänger“. Eine Liebesgeschichte. Vielleicht bin ich einfach ein Romantiker? Siehe Nava Semel.

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  3. Pingback: Buchbesprechung: Marlene Röder „Cache“ | Jugendbuchtipps.de

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