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Buchbesprechung: Benedict Wells „Fast genial“

Cover Benedict WellsLesealter 16+(Diogenes-Verlag 2011, 322 Seiten)

Benedict Wells ist ein 1984 geborener, junger Nachwuchsautor, der für seine ersten Romane bereits viel gelobt wurde. Sein dritter Roman mit dem Titel „Fast genial“ ist wie schon die beiden vorherigen Bücher bei Diogenes, also in einem Erwachsenenverlag, erschienen. Doch nicht zuletzt wegen der Hauptfigur Francis, die im Buch 18 Jahre alt wird, kann man „Fast genial“ durchaus auch älteren Jugendlichen zu lesen geben.

Vielleicht ist es euch ja schon aufgefallen, dass es mir in letzter Zeit durchaus ein Anliegen ist, die künstliche Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur weniger zu beachten und auch nach Büchern, die bei Erwachsenenverlagen erschienen sind und die man Jugendlichen empfehlen kann, Ausschau zu halten …

Inhalt:

Francis lebt mit seiner Mutter in einem Trailerpark in Claymont (New Jersey). Nach der Scheidung seiner Mutter von seinem Stiefvater, einem gut situierten Anwalt, ging es mit der Kleinfamilie bergab: Nicht nur, dass Francis und seine Mutter kaum noch Geld haben und deswegen in einem Trailer leben müssen; seine Mutter hat eine manische Depression mit Wahnvorstellungen und ist gerade wieder in eine Klinik eingeliefert worden.

Nach einem Selbstmordversuch der Mutter mit Tabletten, der jedoch misslingt, findet Francis einen Abschiedsbrief seiner Mutter, in dem sie ihn über seinen Vater, den Francis nicht kennt, aufklärt. Francis haben einen hochintelligenten Vater, dem die Mutter jedoch selbst nie begegnet sei. Sie habe an einem genetischen Experiment teilgenommen, bei dem es Ziel war, hochintelligente Kinder zu züchten, indem man Samenspenden von Nobelpreisträgern und erfolgreichen Professoren verwendet hat.

Francis wundert sich nach dem Lesen des Briefs, warum er in der Schule nur mit Mühe durchschnittliche Ergebnisse erzielt. Um seinem insgesamt frustrierenden Leben eine neue Wendung zu geben, beschließt er, seinen Vater zu suchen. Hierfür muss er nach Kalifornien aufbrechen. Es gelingt Francis, Grover, seinen besten Freund, davon zu überzeugen, dass er ihn mit seinem Auto dorthin fährt.

Und dann ist da noch jemand Drittes mit von der Partie: Ann-May, ein Mädchen, das wie seine Mutter wegen eines Selbstmordversuchs in die Klinik aufgenommen wurde und in das sich Francis sofort verliebt hat. Als er Ann-May von der Suche nach seinem Vater erzählt hat, setzt sie alles daran, ebenfalls mitzukommen … Mit Grovers Auto, 5000 Dollar, die Francis seinem früheren Stiefvater abgeluchst hat, geht es los in Richtung Kalifornien.

Bewertung:

Benedict Wells‘ Roman liegt eine reale Begebenheit zu Grunde: 1980 gründete Robert Klark Graham eine Samenbank für Genies, aus der angeblich 217 hochintelligente Kinder hervorgegangen sind (vgl. folgenden Artikel). Inzwischen ist das Projekt nach dem Tod Grahams – in „Fast genial“ heißt der Wissenschaftler hinter dem Projekt anders: Waren P. Monroe – jedoch eingestampft worden.

Benedict Wells‘ Roman ist letztendlich wieder einmal ein Roadmovie in Buchform. Drei Jugendliche machen sich im Auto auf, quer durch die USA zu reisen. Sie kommen u. a. nach Las Vegas, San Francisco und Los Angeles, und am Ende auch noch nach Mexiko. Der Plot der Geschichte, dass ein Junge, der am eigenen Leben oft verzweifelt, seinen Vater sucht und sich dadurch ein neues Leben erhofft, ist nicht unbedingt neu, aber funktioniert auch in diesem Buch. Komische Begebenheiten und Szenen, die Konflikte zwischen Francis, Grover und Ann-May machen das Buch lesenswert und kurzweilig.

Dennoch gibt es ein paar Dinge, die mir weniger gut gefallen haben. Gleich zu Beginn, auf Seite 16, als Francis Ann-May das erste Mal in der Klinik sieht, wird man mit einem großen stilistischen Ausrutscher konfrontiert:

In diesem Moment gab es einen gewaltigen Ruck. Francis erschrak, er wusste nicht, was geschehen war. Jemand hatte seinen Kopf gepackt und mehrmals in klares Wasser getaucht. Jemand hatte ihn auf ein Katapult gelegt und tausend Meter in die Höhe geschossen. Jemand hatte ihm mit voller Wucht gegen die Brust geschlagen, doch seltsamerweise tat es nicht weh. Alles geschah auf einmal. Es war 14.32, als sich für Francis Dean alles änderte.

Was diese Bilder zu bedeuten haben, weiß ich nicht so recht, denn was hier beschrieben wird, ist nichts anderes, als dass Francis Ann-May erblickt hat und sofort Feuer und Flamme für das Mädchen ist. Muss man das in solch klischeehafte, fast pubertäre Sätze kleiden? Das wirkt doch etwas aufgesetzt …

Immerhin bleibt der Ausrutscher in dieser Dimension einmalig. Doch auch später im Buch ist manches für meinen Geschmack zu klischeehaft angelegt: Francis spürt irgendwann seinen Vater auf. Und was ist dieser? Ein … – nein, ich will es nicht vorwegnehmen. Aber irgendwie war zu erwarten, dass Francis‘ Traumbild nicht der Wirklichkeit entspricht.

Das sind die Schattenseiten des Buchs, das manchmal einen etwas seltsamen, nicht immer ganz stimmigen Ton anschlägt. Zu nennen wäre außerdem noch, dass mir das Buch – dafür, dass es in den USA spielt – nicht amerikanisch genug vorkommt. Man merkt, dass es ein Deutscher (der immerhin, wie im Nachwort steht, selbst zur Recherche durch die USA gereist ist) geschrieben hat.

Die genannten Kritikpunkte klingen vielleicht etwas hart, denn nichtsdestotrotz hat mir „Fast genial“ im Großen und Ganzen gefallen. Es sind vor allem die Dialoge zwischen Francis, Grover und Ann-May, in denen es um Träume und Sehnsüchte von Jugendlichen geht, die ihren Reiz haben. Hier werden Fragen aufgeworfen, die sich nicht nur Jugendliche stellen. Dennoch: An Bücher wie die von John Green kommt Benedict Wells eben doch nicht ganz heran. Diese haben einfach noch mehr Situationskomik und Tempo – und wirken authentischer amerikanisch (wenn man das so sagen darf).

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Fast genial“ ist kein geniales, aber ein gutes Buch, wenn man sich nicht in den Details verliert und diese kritisiert, sondern das Gesamtwerk betrachtet. Benedict Wells hat einen eigenen Schreibstil, dass er ab und an mal etwas daneben langt, ist alles in allem zu verschmerzen, denn Francis‘ Suche nach der eigenen Identität ist unterm Strich dennoch ein packendes Buch, das den Leser bei der Stange hält. Nach den vielen positiven Rezensionen zu Benedict Wells bisherigen Büchern und den Vorschusslorbeeren in der Vorberichterstattung zu „Fast genial“ (siehe unten) hatte ich mir jedoch etwas mehr erwartet.

Für Jugendliche ist das Buch ab 16, vielleicht auch schon ab 15 Jahren zu empfehlen, und wahrscheinlich werden sie das Buch nicht so kritisch beäugen, wie ich das getan habe. Francis ist jedenfalls eine interessante Figur, mit der man sich identifizieren kann: Er versucht sein Leben in den Griff zu bekommen, manches gelingt, bei anderem scheitert er – so wie das im Leben eben ist …

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(Ulf Cronenberg, 31.08.2011)

P. S.: Einen interessanten Hintergrundbericht über Benedict Wells und die Entstehung des Buches findet ihr übrigens hier in der ZDF-Mediathek. Man kann daran allerdings auch erkennen, wie die Medienmaschinerie dahinter funktioniert und ein junger Autor gepusht wird …

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Kommentar (1)

  1. Anita Schmitt

    Mich hat das Buch so gefesselt, dass ich es nahezu in einem Stück gelesen habe. Der Schluss allerdings, nicht einmal zu wissen, ob die Kugel ins schwarze oder rote Feld rollt, hat mich ziemlich enttäuscht. Dieser Schluss war mir nun doch zu offen. Am Anfang steht: „NACH EINER WAHREN Geschichte“. Gerne
    hätte ich gewusst, was aus dem Jungen geworden ist. Ich hatte mir vorgenommen, gleich am nächsten Tag das nächste Buch von Benedikt Wells zu kaufen. Davon nehme ich jetzt doch lieber Abstand, da ich mir denke, dass offene Schlüsse sein Markenzeichen sind.

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