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Buchbesprechung: Ruta Sepetys „Und in mir der unbesiegbare Sommer“

Cover Ruta SepetysLesealter 14+(Carlsen-Verlag 2011, 296 Seiten)

Bücher über die Zeit des Zweiten Weltkriegs gibt es zuhauf. Doch im Gegensatz zu vielen Jugendromanen, die sich dabei mit dem Thema Judenverfolgung oder den Gräueltaten der Deutschen beschäftigen, handeln wenige von den schlimmen Geschehnissen in der Sowjetunion. Im Vergleich zur Judenverfolgung ist das Schicksal, das z. B. viele Litauer zwischen 1939 und 1945 erleiden mussten, in Deutschland ziemlich unbekannt. Was mit ihnen passiert ist, davon handelt „Und in mir der unbesiegbare Sommer“. Unter Stalin war Litauen von der Sowjetunion besetzt worden und infolgedessen wurden lange Listen mit Namen von Menschen erstellt, die angeblich nicht stalintreu seien und die man dann in Arbeitslager steckte.

Inhalt:

Linas Vater ist noch nicht von seiner Arbeit zurückgekehrt, als es so laut an der Tür der Familienwohnung klopft, als wollte jemand die Tür einschlagen. Nachdem Linas Mutter die Tür geöffnet hat, ahnt die Familie Schlimmes, und so kommt es auch: Lina, ihre Mutter und ihr Bruder werden vom sowjetischen Geheimdienst NKWD abgeholt. 20 Minuten haben sie Zeit zu packen, bevor sie zum Bahnhof gebracht werden, um schließlich deportiert zu werden. Die Gründe für das Verschleppen kennen Lina und ihre Familie nicht. Linas Mutter schärft ihren beiden Kindern ein, dass sie auf jeden Fall zusammenbleiben müssen.

Wie Vieh werden die 15-jährige Lina, ihre Mutter sowie ihr 10-jähriger Bruder Jonas mit anderen in Waggons gesperrt und schließlich auf einer qualvollen 40-tägigen Reise in ein Arbeitslager am Fuße des Altai-Gebirges gebracht. Schon unterwegs sterben die Ersten, im Arbeitslager finden sie unsägliche Bedingungen vor. Es gibt kaum zu etwas zu essen, die Gefangenen werden von den NKWD-Soldaten schikaniert, und die Arbeit ist hart.

Neben ihrer Mutter, die sich bemüht, für ihre beiden Kinder stark zu sein, sind es vor allem zwei Dinge, die Lina am Leben halten: Sie freundet sich mit Andrius, einem Jungen, der ihr, wenn es geht, hilft, an. Außerdem hält Lina – sie ist eine begnadete Zeichnerin –, wann immer es geht, das Schicksal der Verschleppten in Zeichnungen fest. Doch würden diese vom NKWD entdeckt, wäre das ihr sicherer Tod.

Fast ein Jahr werden Lina und die anderen Deportierten in dem Lager am Altai-Gebirge festgehalten. Viele überleben die Strapazen nicht – doch damit ist ihr Schicksal noch nicht zu Ende. Sie werden wieder in Züge gepackt und weiter in Richtung Polarkreis transportiert – wohin genau, das wissen sie nicht …

Bewertung:

Das Gute an (Jugend-)Büchern ist, dass man durch sie von Dingen erfährt, von denen man bisher nichts oder wenig wusste. Dass in der Sowjetunion Hunderttausende bis Millionen von Menschen in Arbeitslager verschleppt wurden und dort ihr Leben verloren haben, ist vielleicht nichts ganz Neues – aber dass es Bücher wie Ruta Sepetys’ „Und in mir der unbesiegbare Sommer“ (Übersetzung: Henning Ahrens) gibt, die die schrecklichen Vorkommnisse im Nachhinein festhalten, dafür muss man dankbar sein.

Stalin, der russische Gewaltherrscher, hatte 1939 die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland besetzt, und damit begann in den drei Ländern für viele Menschen ein düsteres Kapitel. Etwa 35.000 Letten wurden zwischen 1940 und 1941 ohne Gerichtsverfahren in russische Arbeitslager nach Sibirien deportiert. Von dem Schicksal einer dieser Familie berichtet Ruta Sepetys. Auch wenn die Figuren fiktiv sind, so hat sich die in Amerika lebende Autorin litauischer Abstammung zuvor umfassend über die damalige Zeit informiert, um diese schreckliche Zeit festzuhalten.

„Und in mir der unbesiegbare Sommer“ ist ein ziemlich gnadenloses Buch, Zugeständnisse an das junge Lesepublikum findet man nur begrenzt. Die Gräueltaten in den Arbeitslagern werden zwar nicht wirklich explizit geschildert, aber ansonsten wird nichts beschönigt. Viele Menschen sterben im Laufe des Buches, und Ruta Sepetys macht hier auch bei Linas Familie nicht halt. Das ist für den Leser nicht unbedingt harmlos, aber es entspricht eben dem, was damals wirklich passiert ist.

Ruta Sepetys’ Buch ist jedenfalls ein gelungenes Zeugnis dieser furchtbaren Zeit von Stalins Willkürherrschaft. Eindrücklich wird das Schicksal von Linas Familie aus der Sicht des Mädchens erzählt, und die Autorin (und ihr Übersetzer) finden dabei genau den richtigen Ton. Die Sprache des Buchs ist eindringlich, klar und dicht – und zugleich literarisch gelungen. Am meisten beeindruckt hat mich jedoch, dass Ruta Sepetys so authentisch schreibt: als würde es sich bei Linas Schicksal um eine wahre Begebenheit handeln.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Der Titel und das ansprechend gestaltete Buchcover lassen einen eher etwas Harmloseres erwarten. Doch „Und in mir der unbesiegbare Sommer“ ist ein heftiges, fast gnadenloses Buch über das Schicksal einer litauischen Familie während des Zweiten Weltkriegs. Allerdings macht genau das Ruta Sepetys‘ Jugendbuch (das durchaus auch Erwachsenen empfohlen sei) zu einem so glaubwürdigen historischen Roman. Es wird kaum etwas verharmlost oder beschönigt.

Durch die weibliche Hauptfigur spricht das Buch (sofern man überhaupt in solchen Kategorien denken mag) sicherlich insbesondere Mädchen an – Lina ist eine Figur mit hohem Identifikationspotenzial. Allerdings finde ich, dass dieses Buch ebenso Jungen und Erwachsene lesen sollten. Ruta Sepetys ist in jedem Fall ein Jugendroman gelungen, der einen als Leser nicht kalt lässt, der einem unter die Haut geht und immer wieder schockiert und ungläubig, was Menschen sich gegenseitig antun können, zurücklässt. Dass Menschen sich in solch dunklen Zeiten aber auch unter Lebensgefahr beizustehen versuchen, ist der kleine Hoffnungsschimmer, der in diesem Buch – Gott sei Dank – ebenso beschrieben wird.

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(Ulf Cronenberg, 29.08.2011)

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