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Buchbesprechung: Nils Mohl „Es war einmal Indianerland“

Cover Nils MohlLesealter 16+(Rowohlt-Verlag 2011, 346 Seiten)

Wäre ich nach dem Buchcover gegangen, hätte ich dieses Buch wohl nicht gelesen. Die in Pastelltönen gehaltene Hochhaus-Silhouette hat am Rande etwas mit dem Buch zu tun, aber sie zeigt einem nicht unbedingt, worum es in dem Buch geht. Und sonderlich hübsch finde ich das Ganze zudem nicht … Sei’s drum. Das Buch hat über den Text im Rowohlt-Prospekt seinen Weg zu mir gefunden – Gott sei Dank! Nils Mohl hat schon einige Literaturpreise gewonnen, ist jedoch bisher als Autor an mir vorbeigegangen. Dabei kann der Mann schreiben!

Übrigens haben wir es bei „Es war einmal Indianerland“ mal wieder mit einem Grenzgänger zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur zu tun – ähnlich wie bei Wolfgang Herrndorfs „Tschick“. Der Vergleich zwischen beiden Büchern drängt sich jedoch auch aus anderen Gründen auf – doch dazu weiter unten mehr …

Inhalt:

„Ich brauche ein Auto, ich brauche Geld, ich brauche Schlaf. Was ich habe, sind eine Mütze, noch fünf Tage Sommerferien, die Bohrmaschine von Edda.“ Das ist die Ausgangssituation des namenlosen Ich-Erzählers, eines 17-jährigen Jungen, der in einer nicht gerade gut situierten Großstadt-Hochhaussiedlung lebt. Und gerade ist einiges passiert, was sein bisheriges Leben gehörig auf dem Kopf stellt.

Zum einen hat er die rothaarige Jackie kennengelernt – ein Mädchen, das ihm den Kopf verdreht. Dass die aus reichem Haus stammende Jackie ihn überhaupt beachtet, ist verwunderlich. Kurz vor Ferienende will Jackie zu einem Festival, dem Powwow, fahren und hätte gerne, dass der Junge mitkommt. Er ist sich jedoch noch nicht schlüssig, ob er Jackie wirklich dorthin begleiten will.

Zum anderen ist da noch Zöllner, in manchen Dingen eine Art Ziehvater für den Erzähler. Doch Zöllner steckt ordentlich in der Scheiße: Er hat seine Frau in einem Streit umgebracht, sie zwei Tage in der Wohnung versteckt und sich dann dem Jungen anvertraut. Dieser hat ihm geraten, die Polizei zu informieren. Als diese in die Wohnung kommt, ist Zöllner jedoch getürmt und auf der Flucht vor der Polizei.

Und schließlich gibt es da noch Edda, ein etwas älteres Mädchen, das dem Jungen ebenfalls gefällt. Edda ist genau der Gegenentwurf zu Jackie: nicht auf ihr Äußeres bedacht, dafür witzig und einfühlsam zugleich. Da Edda ein Auto hat, überlegt der Erzähler, sie zu fragen, ob sie ihn zum Powwow fährt. Schließlich brechen die beiden auf …

Bewertung:

„Es war einmal Indianerland“ ist nicht unbedingt ein Buch, das mir von der ersten Seite an gefallen hat. Ich fand den Einstieg eher etwas schwer – aber mit jeder Seite, die ich weitergelesen hatte, habe ich mich mehr an dem Buch erfreut. Am Ende war ich davon überzeugt, ein wirklich besonderes Buch aus der Hand gelegt zu haben, ein Buch, das zu den besten des bisher eher mageren Bücherfrühlings gehört.

Nils Mohls Roman ist nicht unbedingt leichte Kost – nicht des Inhalts wegen, sondern aufgrund der Erzählstruktur, die nun wirklich nicht als linear bezeichnet werden kann. Der Erzähler springt ständig hin und her und erzählt Begebenheiten der letzten 12 Ferientage. Wie bei einer Bandaufnahme ist das gemacht, und über jedem Kapitelabschnitt wird dann auch mit einem Rückspul- oder Vorspul-Doppelpfeil angegeben, ob der Erzähler nun in der Zeit zurück- oder vorspringt. Was sich daraus ergibt, ist eine ganz besondere Form des Erzählens, die ihren Reiz hat. Die Handlung verliert ihre Kontinuität, verschiedene Stationen greifen stattdessen ständig ineinander. Als Leser braucht man ab und zu Geduld, wenn man wissen will, wie der gerade erzählte Strang weitergeht – da muss man mitunter zwanzig oder dreißig Seiten warten, bis er fortgeführt wird.

Doch das ist nicht alles, was „Es war einmal Indianerland“ zu bieten hat. Wie die Geschichte eines 17-Jährigen, dessen Leben gerade etwas aus den Fugen geraten ist, sprachlich erzählt wird, hat mich ebenso fasziniert: Man findet ungewöhnliche Wörter wie „hirnentkernt“ (S. 105), außergewöhnliche Beschreibungen von Landschaften und Situationen und insbesondere treffende Bilder, wenn es um die Darstellung der Gefühlslage der Hauptfigur geht. Das geht Hand in Hand mit den vielen bizarren und einprägsamen Figuren, die dem Buch Leben einhauchen. Vor allem der Erzähler und Edda, aber auch Ponyhof oder Mauser (welch Namen!) bleiben einem im Gedächtnis haften und lassen einen nicht los.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Es war einmal Indianerland“ ist kein leichtgängiges Buch, aber eines, das es sich zu lesen lohnt – zumindest für ältere Jugendliche, die nicht bei Fantasy-Mainstream und Thrillern stehen bleiben wollen. Nils Mohl hat ein äußerst sympathisches Buch geschrieben, das sich einiges traut, weil es ausgetrampelte Pfade verlässt. Es sind vor allem die Figuren des Buchs, die ungewöhnliche Erzählstruktur sowie die sprachlichen Finessen, die es mir angetan haben.

Nils Mohls Buch ist ein Roman über einen Jugendlichen, der in eine Ausnahmesituation geraten ist und sich neu zu orientieren versucht – und dabei das Glück hat, guten Geistern (wenn wir schon im Indianerland sind) zu begegnen. Und bösen.

Für die manchmal etwas auf der Stelle tretenden deutsche Jugendliteratur ist Nils Mohl jedenfalls genauso wie Wolfgang Herrndorf mit „Tschick“ ein Glücksfall – das empfinde zumindest ich so. Da mögen andere kritisieren, dass beide Bücher nicht explizit in den Jugendbuchsparten von Verlagen erschienen sind – doch diese Form der Kritik ist letztendlich kleinkariert. Herrndorf wie Mohl sind Autoren, die erzählen und mit Sprache umgehen können, auf verschiedenen Ebenen Dinge wagen, bizarre Situationen und Figuren erfinden, ein Gespür für Dramaturgie haben und die Zeit der Jugend in Geschichten zu packen wissen. Kurz gesagt: Ich will mehr davon!

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(Ulf Cronenberg, 16.04.2011)

Ein Interview von Jugendbuchtipps.de mit Nils Mohl findet ihr über diesen Link!

P. S.: Was das Buch mit „Indianerland“ zu tun hat? Tja, das müsst ihr selbst herausfinden, indem ihr das Buch lest. Ein kleiner Tipp am Rande, der den Buchtitel schon einmal ein bisschen erklärt: Hier findet ihr einen passenden Wikipedia-Artikel.

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Kommentare (0)

  1. Heike Lüder-Pahl

    Nils Mohl hat für dieses Buch gerade den Oldenburger KIBUM-Preis gewonnen!
    Die „Kinder- und Jugendbuchmesse KIBUM“ präsentiert jährlich in Oldenburg die Neuererscheinungen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur.

    Antworten
  2. elke hedrich

    Ich habe Nils Mohl kennengelernt und bin ganz neugierig auf „Indianerland“. Ich habe es schon bestellt und freu mich aufs Lesen. Und ich hoffe auf eine Widmung von Nils Mohl … 🙂
    Elke Hedrich (Jana)

    Antworten
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  4. Alice

    Ich fand „Tschick“ unglaublich toll, aber Sie empfehlen das Buch erst ab 16 Jahren, und eigentlich ist es ja auch kein „echtes“ Jugendbuch. Meinen Sie, dass ich es mit 14 trotzdem schon gut lesen kann?
    Alice

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Ich bin, was die Altersangaben angeht, eher immer etwas vorsichtig. „Eragon“ habe ich ab 14 empfohlen, kenne aber viele Jugendliche, die es mit 10 Jahren verschlungen haben.
      Probier es mit „Es war einmal Indianerland“ einfach – es ist ein sehr gutes Buch, das aber ziemlich viel Leseerfahrung voraussetzt. Aber ich würde sagen, dass es schwieriger als „Tschick“ zu lesen ist.

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  6. Christoph Enzinger

    Beginnen wir mit dem Positiven: Es ist ein herausragendes Buch. Ungewöhnlich anders im Vergleich zum Mainstream. Immer wieder Neologismen (Wort-Neuschöpfungen), Ellipsen, eingeklammerte Textpassagen.
    Das war die eine Seite. Andererseits wirkt das Buch gewollt konstruiert, es ist sehr mühsam zu lesen, sowohl vom Inhalt her (skurrile Details, die mitunter 200 Seiten auf Erklärung warten), als auch von der Erzählstruktur her. Ich bin mir fast sicher, dass der Autor das Buch nicht so geschrieben hat, wie wir es jetzt lesen müssen. Ich unterstelle ihm, dass er das Buch linear geschrieben und dann tageweise durcheinander gebracht hat. Ja, das mag ein Symbol sein für die Verwirrung der jungen Erwachsenen, aber nötig wäre es nicht.
    Von der Stimmung des Buchs und der Konstellation der Protagonisten her fühlte ich mich mehrmals an „Zwei Wege in den Sommer“ von Robert Habeck und Andrea Paluch erinnert.
    Es gibt in diesem Buch brutale Gewalt, Drogenkonsum und Sex. Insofern würde ich die Altersangabe 16+ ernst nehmen.
    Mir gefiel das Buch übrigens bei weitem nicht so gut, dass ich 5 Sterne vergeben würde. Maximal 3,5. Nur konfus die Kapitel anordnen ist zu wenig.

    Randbemerkung: Ich wüsste gerne die Verkaufsstatistik dieses Buchs. Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass dieses Buch aufgrund des Covers, des Titels und des Klappentexts von vielen Jugendlichen gekauft wird.

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  7. Ingrid Ruscher

    Lieber Ulf Cronenberg,
    ja, das Buch hat mich auch gepackt, und tatsächlich, genau wie Sie es auch beschrieben haben, nicht von Anfang an. Je länger ich das Buch gselesen haben, desto spannender fand ich es, desto mehr konnte ich es an mich heranlassen. Ich finde im Nachhinein den Kunstgriff des Vor- und Zurückspulend hervorragend. Mir haben die Aha-Effekte gefallen, wenn man kleine Situationen, die man in dem Moment, wenn sie beschrieben wurden, noch nicht verstanden hat, auf einmal verständlich wurden. Klar, manchmal war ich auch genervt, wenn ich lieber sofort gewusst hätte, wie es weitergeht. Ob Jugendliche das Buch mögen, weiß ich nicht. Ich bin inzwischsen 65 Jahre alt und finde es hervorragend.
    Ingrid Ruscher

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