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Buchbesprechung: Evan Kuhlman „Der letzte unsichtbare Junge“

Cover Evan KuhlmanLesealter 10+(dtv 2010, 285 Seiten)

dtv war bis zum Mai 2010 ein Verlag, der nur Taschenbücher herausgegeben hat. Mit „Der letzte unsichtbare Junge“ wurde die bisherige Verlagspolitik erstmals geändert: Evan Kuhlmans Kinderbuch hat einen Hardcover-Einband. Ich persönliche mag fest eingebundene Bücher ja meist lieber, weil sie mehr aushalten und nicht so schnell abgenutzt aussehen … Aber das ist natürlich Geschmacksache.

Die Geschichte von einem Jungen, der den Tod seines Vater zu verarbeiten versucht, ist bereits ein halbes Jahr alt – aber bei der Menge an Neuerscheinungen komme ich nicht immer gleich dazu, Bücher zu lesen. Aber besser später als gar nicht – oder?

Inhalt:

Finns Vater ist völlig unerwartet gestorben, und für den Rest der Familie, Finns Mutter und seinen jüngeren Bruder Derek, beginnt eine schwere Zeit. Zur großen Trauer – denn Finns Vater war immer für seine Kinder ansprechbar – kommt jedoch noch etwas anderes, das Finn nicht erklären kann und was ihm Sorgen macht: Finn wird immer blasser. Nach und nach wurden erst die Haare weiß und dann die Haut immer heller – Finn fürchtet, dass er schließlich irgendwann gänzlich unsichtbar sein wird.

Natürlich vermutet jedermann, dass das eine psychosomatische Reaktion auf den Tod des Vaters ist, aber für Finn wird es dadurch nicht leichter. Drei Wochen lang geht er zu Beginn des neuen Schuljahres nicht in die Schule, weil er wegen seiner Blässe von Mitschülern verspottet wird. Nur Melanie, Finns beste Freundin, die er später einmal heiraten will, hält nach wie vor zu ihm.

Um über den Tod des Vaters hinwegzukommen, führt Finn heimlich ein Tagebuch, in dem er sich an alles, was er mit seinem Vater unternommen hat, erinnern will. Finn hält darin auch fest, was sonst alles passiert.

Bewertung:

„Der letzte unsichtbare Junge“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) besteht aus Finns Tagebuchaufzeichnungen – und darin befindet sich nicht Text, sondern auf fast jeder Seite sind auch kleine Illustrationen oder Kurz-Comics (gezeichnet von J. P. Coovert) zu finden. Von der ersten Seite an plaudert Finn munter und unbedarft drauf los, und man hat den Jungen schon nach ein paar Seiten ins Herz geschlossen.

Evan Kuhlmans Kinderbuch ist kein depressives Trauerbuch, wie man es angesichts des Themas vermuten könnte, sondern vielmehr eine sympathische Geschichte über einen Jungen, der nach dem Tod seines geliebten Vaters zwischen vielen Gefühlen hin- und hergeworfen wird. Finn versucht einerseits, sich selbst Mut zu machen, sieht dabei aber oft, dass ihm das nicht so recht gelingt – seiner Mutter und seinem Bruder geht es nicht anders. Andererseits lässt er jedoch auch immer wieder seine Gefühle der Trauer durchblicken, die besonders intensiv sind, wenn er von früheren Unternehmungen mit seinem Vater berichtet.

Die Stärke an Evan Kuhlmans Kinderroman ist eindeutig dessen kindlicher Ton, den der Autor gekonnt umzusetzen wusste. Nach 50 Seiten hatte ich fast die Sorge, dass sich dieser Schreibstil bald totlaufen könnte, zumal das Buch nicht von einer richtigen Handlung, bei der stringent etwas passiert, zusammengehalten wird. Doch letztendlich halten die aneinandergereihten Episoden den Leser auch nach 200 Seiten noch bei der Stange – und das liegt daran, dass Finns Tonlage immer wieder wechselt. Mal fügt Finn als Tagebuchschreiber kurze Comics, mal Friedhof-Geschichten an, dann wieder schreibt er, als würde er ein Raumschiff-Logbuch führen … Für Abwechslung ist also gesorgt.

Vielleicht wüsstet ihr nun gerne, wie die Geschichte ausgeht? Da gibt es natürlich mehrere Varianten, und ich bin mir nicht sicher, ob mir eine andere, als die von Evan Kuhlman gewählte, nicht besser gefallen hätte. Aber Kinderbücher sind eben Kinderbücher … – und das ist schließlich ja auch gut so.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Zum ersten Kinderbuch des amerikanischen Autors Evan Kuhlman fallen mir viele passende Beschreibungen ein: witzig, tiefgründig, sympathisch, humorvoll, kindgerecht, liebenswert, lebensnah, charmant etc. Sie alle beschreiben, dass „Der letzte unsichtbare Junge“ ein Buch ist, das auf ganz besondere Art und Weise jungen Lesern das Thema Tod eines Familienmitglieds nahebringt. Einfühlsam gelingt es Evan Kuhlmann in die Rolle Finns zu schlüpfen und dem Leser erfahrbar zu machen, wie ein Junge mit rührender Naivität und dennoch vielen Gefühlen mit dem Tod des eigenen Vaters umzugehen versucht.

Ein wenig fühlt man sich bei „Der letzte unsichtbare Junge“ an Sally Nicholls‘ „Wie man unsterblich wird“ erinnert. Beide Bücher teilen die gekonnte Balance aus Trauer und Unbeschwertheit, die solch schwere Themen auch Kindern zugänglich machen. Wer Sally Nicholls‘ Buch mochte, dem wird wahrscheinlich auch Evan Kuhlmans Kinderbuch gefallen.

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(Ulf Cronenberg, 09.12.2010)

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Kommentare (0)

  1. Nicola Bürck

    Ich fand das Buch „Der letzte unsichtbare Junge“ wirklich empfehlenswert, es ist so locker und gefühlvoll geschrieben, wie es ein Zwölfjähriger tun würde (und ich muss das wissen, ich werde selber in drei Monaten zwölf). Außerdem habe ich richtig mitgefühlt, als er die Geschichten von seinem Vater erzählt hat.

    Antworten
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