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Buchbesprechung: Gayle Forman „Wenn ich bleibe“

Cover Gayle FormanLesealter 14+(Blanvalet-Verlag 2010, 268 Seiten)

Bei Amazon hat jemand in einer Rezension geschrieben, er könne den Eindruck nicht loswerden, dass „Wenn ich bleibe“ ein Jugendbuch sei – und dementsprechend enttäuscht war der wohl erwachsene Leser von dem Roman. Auch wenn Gayle Formans Buch bei Blanvalet, keinem ausdrücklichen Jugendbuch-Verlag, erschienen ist, so muss ich dem Rezensenten letztendlich zustimmen: „Wenn ich bleibe“ kann man Jugendlichen eindeutig als Lektüre empfehlen. Aber die Grenze zwischen Jugend- und Erwachsenenbuch wird sowieso meist überbetont und ist eigentlich eine künstliche Abgrenzung.

Inhalt:

Mia lebt in einer ungewöhnlichen Familie. Ihr Vater war früher Punkmusiker, bevor er ziemlich spät, als ihr deutlich jüngerer Bruder Teddy geboren wurde, beschlossen hat, Lehrer zu werden. Sein Lederoutfit hat er dabei abgelegt und kleidet sich seither eher bieder. Auch Mias Mutter war und ist eine eher unkonventionelle Frau, die Rockmusik liebt und feministische Ansichten hat. Und kochen tut im Haus meist der Vater … Mit diesen ungewöhnlichen Eltern kommt sich Mia selbst, die klassische Musik liebt und sehr gut Cello spielt, immer etwas fremd vor – als wäre sie in die falsche Familie geboren worden.

Als die Familie an einem freien Tag zu Freunden fährt, kommt ein Lastwagen von der Fahrbahn ab und rammt das Auto der Familie. Mias Eltern sind sofort tot, ob Teddy den Unfall überlebt hat, weiß Mia nicht. Sie selbst bekommt mit, dass sie von Sanitätern versorgt wird und schließlich wegen ihrer schweren Verletzungen mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht wird.

Das Seltsame ist, dass die Ärzte um ihr Leben ringen und sie das alles miterlebt, obwohl sie im Koma liegt. Wie eine Art Geist befindet sich ihr Bewusstsein außerhalb des Körpers, sie kann sich an die vielen Schläuchen gehängt auf der Intensivstation liegen sehen und sogar frei im Krankenhaus bewegen. So bekommt Mia mit, dass viele Verwandte und ihr Freund Adam im Krankenhaus sind und mit ihr sprechen – eine Krankenschwester hat das empfohlen, um den Lebenswillen Mias zu stärken.

Für Mia ist es schrecklich, das alles mitzuerleben, denn sie ist nur Zuschauerin, und wenn die Besucher mit ihr sprechen, ist das für sie oft kaum auszuhalten – insbesondere bei Adam. Immer wieder schweifen ihre Gedanken dabei ab und sie geht ihr Leben im Geiste durch: wie es mit ihren Eltern war, wie sie Adam kennen gelernt hat etc.

Bewertung:

„Wenn ich bleibe“ (Übersetzung: Alexandra Ernst) ist ein ergreifendes Buch. Der Autounfall kommt nach knapp 20 Seiten, in denen die Familiensituation kurz angerissen wird, völlig unvermittelt, und ab diesem Moment wird man vollständig in die Geschichte hineingezogen. Mia erzählt, was im Folgenden passiert, immer auf zwei Ebenen: Sie berichtet davon, was im Krankenhaus geschieht, und das ist dann Anlass dafür, dass sie im Rückblick entscheidende Momente ihres Lebens durchgeht.

Durch diese Rückblicke bekommt „Wenn ich bleibe“ eine ungewöhnliche Tiefe, und viele Themen werden angesprochen. Es geht zum einen vor allem darum, dass Mia sich in ihrer Familie immer als etwas abseits stehend empfindet, zugleich aber dennoch geliebt fühlt. Zum anderen ist das zweite Hauptthema des Buches die Beziehung zu Adam. Auch Adam ist Punk-Musiker, noch dazu recht erfolgreich – und Mia fragt sich immer wieder, wie es sein kann, dass Adam und sie ein Paar werden konnten, obwohl sie selbst Cello spielt und klassische Musik liebt. Sehr genau wird diese nicht immer einfache, aber interessante Beziehung beschrieben.

Gayle Formans Roman ist ein sehr gefühlvolles Buch, das davon lebt, dass die Figuren Individualisten sind und sehr genau gezeichnet werden. Wie es Gayle Forman gelingt, die Personen lebendig werden zu lassen, ist etwas ganz Besonderes – es kommt nicht häufig vor, dass das einem Autor oder einer Autorin so gut gelingt. Bei anderen Büchern hätte es mich, glaube ich, gestört, dass Mias Familienleben fast etwas zu heilig beschrieben wird – doch zu Mias Eltern, die in ihrem Leben Umwege gegangen sind und eigene Persönlichkeiten sind, passt das und wirkt nicht wirklich übertrieben.

Am Ende des Buches muss natürlich stehen, ob Mia überlebt oder stirbt – das ist voraussehbar. Wenn ich ehrlich bin, hätte mir die andere Variante des Ausgangs besser gefallen als die, die Gayle Forman gewählt hat. Mehr schreibe ich dazu allerdings nicht, denn sonst nehme ich Lesern dieses faszinierenden Buches jegliche Spannung …

Fazit:

5 von 5 Punkten. Es gibt Bücher, die zwingen einen zum Weiterlesen. Bei „Wenn ich bleibe“ konnte ich jedenfalls mit dem Lesen nicht aufhören. Die Idee, dass Mia ihr Koma von außen wie eine Art Geist miterlebt, dass sie währenddessen ihr Leben an sich vorbeiziehen lässt, hat mir schlicht und einfach gut gefallen – und zwar vor allem, weil das Buch eine große Tiefe hat. Die früheren Lebensereignisse bekommen durch den möglichen bevorstehenden Tod eine Eindrücklichkeit und Vehemenz, die dem Buch gut tun.

„Wenn ich bleibe“ ist ein Buch, das sicher alle Leser von Jenny Downhams „Wenn ich sterbe“ (und das ist derzeit eindeutig die meistgelesene Buchbesprechung bei Jugendbuchtipps.de) mögen und verschlingen werden. Ja, mir persönlich hat Gayle Formans Buch sogar um einiges besser gefallen als das von Jenny Downham … „Wenn ich bleibe“ bekommt von mir jedenfalls eine dicke Leseempfehlung – auch wenn mancher Leser das Buch vielleicht als etwas gefühlsduselig empfinden mag.

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(Ulf Cronenberg, 14.09.2010)

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