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Buchbesprechung: Kathrin Schrocke “Freak City”

Cover SchrockeLesealter 14+(Sauerländer-Verlag 2010, 204 Seiten)

Schon immer hat mich die Gebärdensprache fasziniert – nicht erst, seit ich den Film „Jenseits der Stille“ von Charlotte Link (sehr empfehlenswert!) gesehen habe. Doch leider bin ich nie dazu gekommen, sie zu lernen, und im Gegensatz zu Mika, der Hauptfigur in Kathrin Schrockes neuem Jugendroman „Freak City“, hatte ich auch nie einen Anlass dazu.

„Freak City“ ist Kathrin Schrockes drittes Jugendbuch. Ihr Debütroman „Finding Alex“ aus dem Jahr 2006 hatte mir sehr gut gefallen, während ich von „Dorfpinzessinnen“ weniger begeistert war. Mit „Freak City“ würde die Augsburger Autorin hoffentlich zur alten Stärke zurückfinden …

Inhalt:

Mikas Freundin Sandra hat erst kürzlich mit ihm Schluss gemacht. Im Schwimmbecken des Freibads hat sie ihm verkündet, dass sie die Beziehung nicht mehr weiterführen wolle – und das kam für Mika völlig unerwartet. Dementsprechend lustlos hängt er in den Tagen danach herum und muss ständig nur an Sandra denken. Doch die wirft ihm vor, dass er sich zu sehr gehen lasse und zu wenig aus seinem Leben machen würde. Das ist einer der Gründe, warum sie die Beziehung beendet hat.

Als Mika mit seinen Freunden Basti und Calimero in der Stadt unterwegs ist, rufen und pfeifen sie einem hübschen Mädchen im Minirock hinterher. Doch das Mädchen reagiert seltsamerweise überhaupt nicht auf sie, obwohl sie ziemlich blöde Sprüche klopfen. Den Grund dafür erfährt Mika, als er das Mädchen kurz darauf wiedersieht: In einem alternativen Café namens „Freak City“ begegnet er dem Mädchen mit den tollen schwarzen Locken am Billardtisch. Und der Zivi des Cafés verrät ihm, dass Lea, wie das Mädchen heißt, gehörlos ist.

Trotz seiner Scheu wegen Leas Gehörlosigkeit geht Mika auf das Mädchen zu, das ihn ziemlich direkt anschaut. Doch das Kommunizieren mit Lea ist nicht gerade einfach, weil Mika und sie entweder einen Dolmetscher brauchen oder sich nur mit Hilfe eines Zettels austauschen können. Mika will jedoch in den bevorstehenden Sommerferien einen Gehörlosenkurs besuchen, um die Gebärdensprache zu lernen. So richtig weiß er auch nicht, warum er das tut. Denn eigentlich trauert er noch immer um Sandra, auch wenn er Lea interessant findet. Lea ist außerdem ein komplizierter Mensch: Sie ist schnell eingeschnappt und reagiert dann aufbrausend und voller Wut.

Bewertung:

„Dorfprinzessinnen“, Kathrin Schrockes zweites Jugendbuch, das mich eher gelangweilt hat, war schnell vergessen. Schon nach 20 Seiten hatte mich „Freak City“ gepackt und eigentlich bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Das Buch ist kurzweilig, hat eine interessante Story und mit dem Thema Gehörlosigkeit auch etwas Besonderes zu bieten.

Letztendlich stehen in dem Buch drei Personen im Mittelpunkt: Neben Mika sind das Lea und Sandra, und alle drei werden gut und plausibel beschrieben. Was Mika angeht, wird vor allem dessen Zwiespalt, in dem er zwischen Sandra und Lea steht, thematisiert. Einerseits kann er Sandra, die in allem immer sehr erfolgreich ist (sie singt unter anderem in zwei Bands), nicht vergessen, andererseits merkt er schon bald, dass Lea ein besonderer, aber nicht gerade einfacher Mensch ist. Immer wieder geraten Lea und er in Streit, und so richtig nachvollziehen kann Mika nicht, was dann eigentlich los ist.

Wie Lea beschrieben wird, zählt zu den Stärken des Buches. Man ahnt, dass das Mädchen, das in ihrer Familie als Einzige gehörlos ist, eine nicht ganz einfache Kindheit hatte – man bekommt jedoch auch mit, dass der Rest ihrer Familie es auch nicht leicht hatte, weil Leas Gehörlosigkeit dazu geführt hat, dass sich im Familienleben immer alles um sie gedreht hat. Es ist diese Vielschichtigkeit, die an vielen Stellen durchscheint und mit der Kathrin Schrocke das Leben einer Gehörlosen beschreibt, die das Buch auch jenseits der Handlung lesenswert macht.

Vielleicht steckt hinter all dem manchmal ein klein wenig zu viel an pädagogischer Haltung (der Leser soll ja was über Gehörlosigkeit lernen!), denn Lea scheint manchmal leicht überzeichnet: als wäre in die Figur alles an Problemen und Besonderheiten hineingepackt, was man über Gehörlose wissen und lesen kann. Das ist jedoch auch schon der einzige kleine Kritikpunkt, den man dem Buch anlasten kann.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. „Freak City“ ist ein Buch, das auf mich eine große Sogwirkung hatte. Es hat nicht lange gedauert, bis ich mit den gut 200 Seiten durch war – ich wollte einfach wissen, wie die Geschichte weitergeht. Kathrin Schrockes drittes Jugendbuch ist sprachlich nicht fulminant, aber gut geschrieben, und mitunter schimmern an einigen Stellen Spuren von Witz und Ironie durch. Die Figuren scheinen im Leben zu stehen – auch wenn sie, wie schon gesagt, ein klein wenig überzeichnet sind (das gilt nicht nur für Lea).

Dass in einem Jugendroman, der kurzweilig ist, das Thema Gehörlosigkeit aufgegriffen wird (und zwar – das merkt man – sachkundig), hat mich für dieses Buch eingenommen, und ich kann es jugendlichen Lesern ab 14 Jahren (nicht ab 12 Jahren, wie der Sauerländer-Verlag auf seiner Webseite schreibt) nur ans Herz legen.

Wer sich dann noch ein bisschen mehr mit dem Thema Gehörlosigkeit auseinandersetzen will, der sollte den Film „Jenseits der Stille“ anschauen, der übrigens eine zu der im Buch entgegengesetzte Familienkonstellation aufweist: Hier sind, anders als bei Lea, die Eltern gehörlos und nicht das Mädchen namens Lara. Film und Kathrin Schrockes Buch passen jedenfalls gut zusammen und haben viel gemeinsam. Dass Kathrin Schrocke den Film kannte, ist klar (schließlich wird er im Buch erwähnt), aber „Freak City“ ist nicht abgeschrieben, sondern erweitert das, was man im Film erfährt.

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(Ulf Cronenberg, 07.04.2010)

Kommentare (0)

  1. Thies

    Auf der Leipziger Buchmesse habe ich Kathrin Schrocke gehört, wie sie aus dem Buch „Freak City“ vorlas. Schon da fand ich das Buch superklasse. Kurz danach habe ich es dann gelesen und mich hat das Buch einfach umgehauen. Ich habe es an einem Tag verschlungen und würde es jedem weiterempfehlen.
    5 von 5 Punkten von mir!

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  2. Tabea

    Ich habe heute auf MDR oder 3sat die Sendung „SEHEN STATT HÖREN“ gesehen. Dort wurde dieses Buch auch von Gehörlosen empfohlen, und irgendwie hat mich das so neugierig gemacht (obwohl ich vorher auch hier davon gelessen habe), dass ich es mir jetzt kaufe. Danke!
    Tabea (12)

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  3. Sandra

    Habe in der letzten Woche eine Autorenlesung mit Kathrin Schrocke erlebt und es war absolut empfehlenswert! Hier geht es nicht um eine weitere „normale“ Liebesgeschichte! Als Leser lernt man mit der Hauptfigur Mika die Welt der Gehörlosen kennen. Natürlich gibt es einige Unterschiede zwischen der hörenden und der nicht-hörenden Welt, da prallen praktisch zwei Welten aufeinander! Aber in Liebesdingen ist das ja oft ganz ähnlich und so verfolgt man gespannt, wie sich die Geschichte zwischen Mika und Lea weiterentwickelt und wie sich besonders Mika dabei verändert.
    Die Autorin hat uns mit verschiedenen Textpassagen diese Geschichte näher gebracht und in einem Quiz unser Wissen über die Welt der Gehörlosen getestet, was sehr spannend war! In vielen Dingen sind Gehörlose in Deutschland benachteiligt, aber eine besondere Nachricht entdeckten wir in diesem Zusammenhang: Seit Mitte April 2012 wird auf der Internetseite der „Sendung mit der Maus“ die jeweils aktuelle Ausgabe mit Gebärden gezeigt!

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  4. Julia

    Ich habe das Buch „Freak City“ innerhalb eines Tages gelesen Und es ist echt toll, der Stil war echt gut … einfach und verständlich. Wäre toll, wenn es einen zweiten Band gäbe, was aber eher unwahrscheinlich ist. Zum Schluss tanzen Lea und Mika zu dem Lied „Nur ein Wort von Helden von Morgen“. Ich finde das Lied passt perfekt zum Buch! Ich liebe das Buch einfach, es ist sehr cool und
    empfehlenswert …;-)

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  5. Christoph Enzinger

    Ja. Unbedingt. Die Parallelen zu „Wie Licht schmeckt“ von Friedrich Ani sind unverkennbar, auch die beiden Filme „Gottes vergessene Kinder“ (der Titel wird sogar mehrmals erwähnt) und „Jenseits der Stille“ (der Name der Schauspielerin der Mutter, Emanuelle Laborit, wird im Buch erwähnt) sind Ideenquellen. Dennoch ein sehr interessantes und auch realistisch-romantisches Buch. Mich stört aber die unterschwellige Botschaft, dass man mit 15 Jahren unbedingt das erste Mal Sex haben muss.

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  6. Janine

    Ich hab dieses Buch mit meiner Klasse zusammen gelesen und wir fanden es alle richtig cool … (: Es macht total Spaß, es zu lesen. Einfach nur Hammer … ♥

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