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Buchbesprechung: Nora Raleigh Baskin “Jason und PhoenixBird”

Cover BaskinLesealter 12+(Gerstenberg-Verlag 2010, 189 Seiten)

„Welcher ist der wichtigste Körperteil eines Schriftstellers?“ Die Frage stellt ein Literaturworkshopleiter in dem Buch „Jason und PhoenixBird“ den Teilnehmern seines Kurses. Doch „Sein Herz“ oder „Die Hände“ sind nicht die Antworten, die der Leiter ganz richtig findet. Es ist Jason, die autistische Hauptfigur des Romans, der die beste Antwort gibt: „Mein Hintern“. Weil man sich immer und immer wieder hinsetzen müsse, um gute Geschichten zu schreiben … Diese kleine amüsante Episode sei dem Jugendroman der amerikanischen Autorin Nora Raleigh Baskin (die zwar auf Englisch schon einige Jugendbücher veröffentlich hat, von denen – wenn ich richtig informiert bin – jedoch noch keines ins Deutsche übersetzt wurde, vorangestellt.

Inhalt:

Jason ist – kurz gesagt – Autist, auch wenn die Ärzte noch viel mehr Fachbegriffe verwenden, um seine Besonderheit zu beschreiben. Er tut sich schwer, sich in andere hineinzuversetzen, spricht allgemein wenig, wird außerdem schnell wütend und weiß dann nicht mit seiner Wut umzugehen. Nach vielen Jahren, in denen er eine Schulbegleiterin hatte, geht Jason inzwischen probeweise alleine in die Schule, auch wenn das für ihn nicht gerade einfach ist. Am schlimmsten ist es – neben der Hänseleien anderer – für ihn, wenn etwas nicht so abläuft, wie er sich das vorstellt. Das hält Jason nur schlecht aus …

Am besten kann sich Jason ausdrücken, wenn er am Computer sitzt und in seinem Storyboard Geschichten veröffentlicht, die auch andere im Internet lesen können. Eines Tages antwortet ihm eine andere Storyboard-Nutzerin namens PhoenixBird, dass sie seine Geschichten bewundert. Immer wieder tauschen Jason und PhoenixBird, ohne dass sie viel voneinander wissen, Geschichten aus und schreiben sich schließlich irgendwann auch Mails.

Als Jason dann von seinen Eltern eine Reise nach Dallas geschenkt bekommt, weil dort ein Storyboard-Usertreffen stattfindet, träumt der Junge davon, dort PhoenixBird zu begegnen. Doch die Sache hat einen Haken: Eigentlich traut sich Jason das gar nicht zu, weiß PhoenixBird doch gar nichts von seinem Autismus. Als Jason erfährt, dass das Mädchen in Dallas wohnt und auch zu dem Storyboard-Treffen kommen will, überlegt er die ganze Zeit, wie er das Geschenk seiner Eltern ablehnen kann …

Bewertung:

Die Danksagung der Autorin steht seltsamerweise ganz am Anfang des Buches – bevor die Geschichte losgeht. Man erfährt darin, dass Nora Raleigh Baskin sich umfangreich mit Ärzten und Autisten ausgetauscht hat, um mehr über Autismus zu erfahren und das Buch schreiben zu können. Es liegt wohl auch daran, dass in „Jason und PhoenixBird“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) recht authentisch aus der Sicht Jasons die Geschichte eines Autisten erzählt wird.

Als Leser bekommt man einen guten Eindruck davon, was Jason alles mitgemacht hat und mitmacht: wie schwer er sich tut, sich in andere hineinzuversetzen oder mit anderen zu sprechen. Es sind immer wieder kleine Szenen, die schildern, wie es für Jason ist, Autist zu sein: dass seine Großmutter, wenn sie mit ihm spricht, immer so laut redet, als wäre er schwerhörig, dass die Bibliothekarin in der Schule nicht versteht, wenn er unbedingt an einen bestimmten Computer in der Bücherei möchte, etc.

Sehr geschickt werden dabei immer wieder verschiedene Erzählebenen ineinander verschränkt. Da ist zum einen die Gegenwart, in der Jason mit PhoenixBird Kontakt aufnimmt, zum anderen gibt es immer wieder Rückblenden in die Vergangenheit. Man erfährt, wie Jason und seine Eltern bemerkt haben, dass Jason anders als Gleichaltrige ist, man bekommt erzählt, wie schließlich von Ärzten der Autismus diagnostiziert wird u. v. m. Und schließlich denkt Jason auch mehrmals darüber nach, wie man gute Geschichten schreibt – das ist sozusagen die Metaebene des Jugendromans.

„Jason und PhoenixBird“ ist eine äußerst einfühlsame Geschichte, weil darin sehr genau die Gefühle Jasons beschrieben werden: seine Freude, als er PhoenixBird im Internet kennen lernt, seine massive Angst, als das Treffen mit ihr bevorsteht, seine Träume, in denen er sich wünscht, PhoenixBirds Freundin zu sein und weniger schwierig zu sein. Das Buch spiegelt aber auch wider, wie hilflos Erwachsene mit Jasons Autismus umgehen.

Am Ende des Romans steht ein zögerliches Happy End – mehr sei nicht verraten –, das stimmig wirkt, vielleicht jedoch einen kleinen Tick zu wohlgefällig ist. Da „Jason und PhoenixBird“ im Grenzgebiet zwischen Kinder- und Jugendbuch anzusiedeln ist, ist das letztendlich jedoch in Ordnung, um 12- bis 13-jährige Leser nicht zu überfordern.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Nora Raleigh Baskins erstes ins Deutsche übersetzte Buch ist ein intelligenter Jugendroman, der hautnah zu schildern weiß, was in einem autistischen Jungen vorgeht. Dass man trotzdem kaum das Gefühl hat, ein Problembuch zu lesen, sondern vielmehr gut unterhalten wird, ist dem Buch hoch anzurechnen.

Warum also nicht die Höchstpunktzahl? Ein klein wenig holpert das Buch an der ein oder anderen Stelle, wenn die verschiedenen Erzählebenen manchmal etwas unverbunden nebeneinander stehen. Es fehlt, würde ich sagen, der letzte Feinschliff. Das ist nichts wirklich Dramatisches. Außerdem ging es mir so, dass Nora Raleighs Jugendroman bisweilen ein wenig zu gewollt rüberkommt und dann doch auf die Kategorie „Kreatives Schreiben eines Problembuchs“ verweist. Das sind alles Spitzfindigkeiten – aber sie versuchen zu erklären, warum mich das Buch beim Lesen trotz all seiner positiven Seiten doch nicht ganz 100 %-ig gepackt hat.

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(Ulf Cronenberg, 04.04.2010)

Kommentar (1)

  1. Ami

    Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, weil die deutsche Ausgabe leider nicht mehr lieferbar ist. Mir gefällt es sehr gut, vor allem, da ich selbst autistisch bin und viele von Jasons Schwierigkeiten und Besonderheiten auch auf mich zutreffen. Das Erleben eines Autisten ist sehr authentisch beschrieben. Da hat die Autorin sich wirklich gut informiert. Das mit den verschiedenen Erzählebenen finde ich auch sehr gut, und ich würde das Buch auch nicht als Problembuch klassifizieren. Ich finde, es ist einfach eine Geschichte über eine andere Art, die Welt zu erleben.
    Ich hatte mir nur das Treffen mit PhoenixBird ein bisschen anders vorgestellt. Aber so ist es auch okay.

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