(Hanser-Verlag 2010, 201 Seiten)
Sally Nicholls‘ „Wie man unsterblich wird“ war im Jahr 2008 eine der großen Überraschungen auf dem Kinderbuchmarkt. Von der traurigen wie erfrischenden Geschichte über den leukämie-kranken Sam waren wirklich alle begeistert.
Zwei Jahre später ist nun das zweite Buch der 1983 geborenen Engländerin herausgekommen: „Zeit der Geheimnisse“. Und wie immer nach hochgelobten Erstlingswerken ist es auch diesmal spannend, ob Sally Nicholls an den großen Erfolg ihres ersten Werkes anknüpfen kann.
Molly und Hanna sind eher ungleiche Schwestern. Das wird besonders deutlich, seit sie nach dem Tod ihrer Mutter bei den Großeltern auf dem Land untergekommen sind – für wie lange, das weiß niemand. Während Molly insbesondere ihren Großvater liebt und mit der schwierigen Situation zumindest vordergründig ganz gut zurechtkommt, provoziert Hanna, die ältere Schwester, einen Konflikt nach dem anderen.
Eigentlich würden die beiden lieber wieder in Newcastle bei ihrem Vater wohnen, doch der hat zum einen als Journalist sehr unregelmäßige Arbeitszeiten, ist zum anderen mit der Situation heillos überfordert. Seinen beiden Kindern kann er keinerlei Halt geben …
Als Hanna und Molly sich in einer regnerischen Herbstnacht von ihren Großeltern davonstehlen wollen, um dennoch zu ihren Vater zurückzukehren, beobachtet Molly im Dunkeln eine seltsame Treibjagd. Der Stechpalmenkönig (seinen Namen erfährt Molly später in der Schule) verfolgt mit seinen Hunden einen jungen Mann: den Eichenkönig, der auch Grüner Mann genannt wird. Doch dieser kann entkommen. Molly will dem Eichenkönig helfen und trifft ihn später immer wieder. Das Mädchen erzählt von diesen Begegnungen unter anderem auch ihren Großeltern – doch nicht nur sie tun Mollys Erzählen als Hirngespinst ab.
Irgendwie ist „Zeit der Geheimnisse“ ein seltsames Buch – so richtig warm geworden bin ich damit nicht. Das Buch ist gut geschrieben und übersetzt (von Birgitt Kollmann) – das ist mir vor allem auf den ersten 50 Seiten aufgefallen –, aber mit der Geschichte konnte ich nie so richtig etwas anfangen.
Klar, die zweite Erzählebene mit dem Eichen- und dem Stechpalmenkönig spiegelt metaphorisch Mollys Lebenssituation wider: Das 10-jährige Mädchen durchlebt darin, dass seine eigene Lebendigkeit von etwas anderem bedroht ist – aber gepackt hat mich dieses Mysterienspiel, von dem man nicht weiß, ob das Mädchen sich das alles einbildet, so gut wie gar nicht. Diese Erzählebene ist eher nerviges Beiwerk, als das sie dem Buch wirklich etwas Packendes zu geben weiß.
Die stärkeren Stellen des Buches sind für mich diejenigen, wenn es um Mollys wirkliches Leben geht: wie der Vater in seiner Hilflosigkeit beschrieben wird, wie Hanna sich gegen alles wehrt, wie die Großeltern den beiden Schwestern Halt zu geben versuchen oder wie Molly in der Schule neue Freunde findet. Allerdings ist dieser Teil der Geschichte auch nicht unbedingt etwas bahnbrechend Neues und Besonderes – und er bleibt außerdem manchmal etwas blass –, zumal er immer wieder von dem Spiel mit der Legende um den Eichenkönig unterbrochen wird. (In der Legende, die es wirklich gibt, löst der Stechpalmenkönig an Mittwinter den Eichenkönig, der für den Sommer steht, ab.)
Fazit:
2 von 5 Punkten. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob mir der Feinsinn fehlt, um das neue Buch von Sally Nicholls zu verstehen und gut zu finden. Letztendlich habe ich die Frage für mich jedoch so beantwortet, dass „Zeit der Geheimnisse“ ein eher schleppendes Buch ist. Es zeigt eine ganz andere Seite der jungen englischen Autorin, leider jedoch eher eine Seite, die mich nicht sonderlich begeistern konnte.
Was die Geschichte angeht, fand ich Sally Nicholls‘ Kinderroman unzugänglich – oder um es drastischer auszudrücken: langweilig. Da ist nicht allzu viel von dem zu spüren, was „Wie man unsterblich wird“ zu einem tollen Buch gemacht hat: Dessen Spontanität und Unbekümmertheit blitzt in „Zeit der Geheimnisse“ nur selten auf – stattdessen findet man sich über weite Buchteile in der neoromantischen Innenwelt eines 10-jähigen Mädchens wieder – und die ist nicht gerade fesselnd.
Manch 11- oder 12-jährigem Mädchen wird das Buch sicher trotzdem gefallen, doch ich musste mich zum Weiterlesen eher zwingen. Letztendlich war ich somit von Sally Nicholls‘ zweitem Buch ziemlich enttäuscht …
(Ulf Cronenberg, 01.04.2010)
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