(Sauerländer-Verlag 2009, 193 Seiten)
Nach diesem Buch – das habe ich mir vorgenommen – werde ich die literarische Thematisierung der Zeit des Zweiten Weltkrieges mal eine Zeit lang hinter mir lassen und mich anderen Themen zuwenden. Es waren etwas viele Bücher, die ich über das Thema in letzter Zeit gelesen habe – darunter zuletzt Gina Mayers „Die verlorenen Schuhe„.
Manfred Theisen Buch „Der Koffer der Adele Kurzweil“ thematisiert die Judenverfolgung in Frankreich und geht auf einen authentischen Fall zurück. Allerdings ist das Thema in eine Rahmenhandlung eingebettet, die zur heutigen Zeit spielt.
Inhalt:
15 Jahre ist Mara alt und lebt mit ihren Eltern in Leipzig. Das hochbegabte Mädchen fährt in den Ferien mit ihren Eltern nach Frankreich in das kleine Dorf Auvillar, das ca. 150 km südöstlich von Bordeaux liegt. Dort wollen Maras Eltern ein verfallenes Haus kaufen und herrichten. Mara ist davon nur mäßig begeistert, doch als die Familie das Haus besichtigt, entdeckt Mara in einer Schublade ein altes Tagebuch. Wie sich herausstellt, enthält es die Aufzeichnungen eines Jungen aus dem Jahr 1942, der über seine Liebe zu Adele Kurzweil schreibt.
Adele war ein jüdisches Mädchen, das mit seinen Eltern auf der Flucht in Auvillar untergekommen ist – doch auch hier sind sie von der Verfolgung durch die Nazis bedroht. Adeles Vater – die Familie kommt eigentlich aus Graz in Österreich – versucht für seine Familie eine Überfahrt nach Amerika zu bekommen, doch bevor ihm das glückt, werden die Kurzweils verhaftet. Sie werden nach Auschwitz verschleppt und sterben dort in den Gaskammern.
Mara ist fasziniert von dem Tagebuch, und zusammen mit Philippe, dem Sohn des Maklers, der Maras Eltern das Haus verkaufen will, liest sie immer wieder in dem Tagebuch. Es dauert nicht lange, da verliebt sich Mara in Philippe.
Doch passieren kurz darauf merkwürdige Dinge – darunter, dass in die Ferienwohnung von Mara und ihren Eltern eingebrochen wird. Mara hat den Eindruck, dass jemand hinter dem Tagebuch her ist, in dem eine geheimnisvolle „Akte Isaak“ erwähnt wird. Mit Philippe versucht sie einerseits, der Akte auf die Spur zu kommen, andererseits wollen die beiden wissen, ob ihr Verdacht, dass jemand das Tagebuch an sich bringen will, stimmt.
Bewertung:
Dass „Der Koffer der Adele Kurzweil“ in einen Rahmenhandlung eingebettet ist, hat mir zunächst einmal gefallen. Die Tagebuchaufzeichnungen und die Geschichte um Mara greifen immer wieder ineinander und sorgen so für Abwechslung. Geschickt verschränken und ergänzen sich dabei die beiden Erzählstränge. Auch sprachlich hat mir das Buch am Anfang gut gefallen. Manfred Theisen versteht es immer wieder, sprachlich sehr treffend Stimmungen und Gefühle zu beschreiben. Dies geschieht manchmal mit sprachlichen Bildern, dann jedoch auch wieder mit sehr knapp gehaltenen Sätzen.
In der Mitte des Buches ging es mir jedoch so, dass mir die Lust am Weiterlesen etwas verloren ging. Ich habe mich lange gefragt, woran das liegt. Meiner Meinung nach hat die Rahmengeschichte um Mara und Philippe in der Mitte des Romans einen deutlichen Hänger, weil nicht allzu viel passiert. Das Verliebtsein zwischen Mara und Philippe steht im Vordergrund – aber eine richtige Kraft entfaltet die Darstellung der Liebe zwischen den beiden leider nicht. Auch im sprachlichen Bereich hat sich in der Mitte des Buches die stilistische Dichte des Buches ein wenig verloren.
Die letzten 50 Seiten entwickelt sich dann „Der Koffer der Adele Kurzweil“ fast zu so etwas wie einem Kriminalroman. Doch leider bleibt auch der ein wenig blass, und so richtig kommt auch hier keine Spannung auf – und das, obwohl man die Auflösung der Geschichte nicht ahnt.
Es gab noch eine andere Sache, die mich an dem Buch gestört hat: Die gesetzte Schreibschrift, in der die Tagebuchaufzeichnungen abgedruckt sind, ist nicht gerade leserfreundlich. Das hat natürlich nichts mit dem Inhalt des Buches zu tun, sondern mit der Umsetzung durch den Verlag – aber das wirkt nicht nur typografisch etwas hausbacken, sondern lässt sich vor allem schlecht lesen.
Fazit:
3 von 5 Punkten. So richtig zufrieden habe ich Manfred Theisens „Der Koffer der Adele Kurzweil“ nicht aus der Hand gelegt. Das Schicksal des jüdischen Mädchens ist ergreifend, die Tagebuchaufzeichnungen von André sind eindrücklich – aber die Rahmenhandlung bleibt deutlich dahinter zurück. Das liegt einerseits an der nicht immer ganz ausgereiften Sprache, andererseits an der fehlenden psychologischen Tiefe bei der Beschreibung von Mara und Philippe sowie der anderen Personen im Buch. Schade. Denn die Grundidee des Buches ist durchaus interessant.
Alles in allem ist mir beim Lesen des Buchs immer wieder das Wort „unausgegoren“ in den Sinn gekommen – und das Adjektiv passt auf fast allen Ebenen des Buchs: Man kann über manche Formulierungen im Buch staunen, über andere stolpert man dagegen. Die Geschichte hat in Teilen ihren Reiz, wirkt an anderen Stellen jedoch etwas flach. Und die Figuren schließlich werden manchmal plastisch (am ehesten bei André), dann wieder sind sie zu oberflächlich und blass gezeichnet (z. B. Maras Eltern).
(Ulf Cronenberg, 05.01.2010)
(Übrigens gibt es die Koffer der Familie Kurzweil wirklich. Auf der folgenden Internetseite könnte ihr in YouTube-Videos bei der Öffnung der Koffer zusehen:
http://www.sfa-auvillar.com/pont-de-memoire/kurzweil/D_AKurzweil_Videos.php)
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Hei Ulf, ich finde es gut, daß Du doch recht deutlich auch die negativen oder schwachen Seiten des Romans benennst.
Dir ein schönes Wochenende …
Britta
Das ist schon merkwürdig. Meine Mutter hat mir gesagt, ich soll mal die Kritik zu meinem momentanen Lieblingsbuch bei Ihnen lesen und bin ein bisschen entsetzt. Dass Mara ein Klischee von ihren Eltern im Kopf hat, ist doch klar. Es ist doch ihre Sichtweise. Und die anderen Dinge kann ich nicht nachempfinden. Ich habe bei dem Buch von vorne bis hinten mitempfunden. Aber vielleicht liegt es daran, dass ich selbst nicht viel älter bin als Mara. Naja. Gut, dass ich sonst keine Kritiken lese, denn manchmal sind diese Kritiken halt sehr subjektiv. Meine subjektive Meinung ist vollkommen anders. Ich würde das Buch jedem Jugendlichen – zumindest den Mädchen – empfehlen … 🙂
Bloß weil Kritiken subjektiv sind, ist das doch kein Grund, sie nicht zu lesen … Im Gegenteil. Daran kann man seinen eigenen Standpunkt schärfen, sich noch mal bewusst machen, warum man selbst ein Buch gut findet, sich damit auseinandersetzen, wie das jemand anderes sieht.
Ich freue mich jedenfalls immer, wenn jemand hier seine Meinung wiedergibt – und da ist es egal, ob die Meinung anders als meine lautet. Wichtig ist, dass man Bücher diskutiert. Und dass „Adele“ dein Lieblingsbuch ist, sei dir unbenommen.
Das ist eine nette Reaktion von Ihnen. Ich glaube halt, dass viele Jugendliche das Buch sehr gut finden und wollte es Ihnen daher schreiben.
Und es ist ja auch kein schlechtes Buch … Ich finde nur, dass es bessere zu dem Thema gibt. Aber das ist meine persönliche Meinung, die ich allerdings zu begründen versucht habe.
Meine „erwachsene“ Sicht auf Bücher ist in vielem sicher oft kritischer als die von Jugendlichen.
Ich freue mich außerdem immer, wenn Jugendliche schreiben, dass sie ein Buch gut finden und es weiterempfehlen.