(Carlsen-Verlag 2009, 173 Seiten)
Schon wieder ein Buch, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielt? Manchmal wundere ich mich, warum über den Zweiten Weltkrieg und die Judenverfolgung noch immer so viele Kinder- und Jugendbücher erscheinen. Schließlich haben die meisten Autoren, die darüber schreiben, die Zeit nicht selbst erlebt … Das gilt auch für den Engländer Michael Morpurgo, der 1943 geboren wurde und mit „Warten auf Anya“ ein Buch über die Zeit des Zweiten Weltkriegs in einem französischen Dorf geschrieben hat.
Zugleich – das muss natürlich auch gesagt werden – ist es jedoch gut, dass junge Leser auch heute immer wieder an diese schlimme Zeit erinnert werden.
Inhalt:
Jo lebt in einem abgelegenen französischen Pyrenäen-Dorf, ganz in der Nähe der Grenze zu Spanien. Sein Vater ist schon seit Jahren nicht mehr zu Hause, denn er musste als Soldat in den Krieg ziehen und ist inzwischen in deutscher Kriegsgefangenschaft. Für Jo heißt das, dass er viele Aufgaben seines Vaters übernehmen muss: darunter das Hüten der Schafe. Eines Tages begegnet ihm dabei eine große Bärin, die seinen Hund Rouf verletzt. Jo rennt ins Dorf und holt Hilfe, und als die Bärin von den Dorfbewohner erschossen wird, kennt das Feiern im Dorf kein Halten.
Doch Jo kann sich über den Tod der Bärin nicht freuen, vor allem als ihm auffällt, dass Rouf fehlt. Er rennt zu dem Ort zurück, an dem er die Bärin gesehen hat. Jo findet Rouf schließlich in der Nähe eines Bärenjungen. Außerdem trifft er einen geheimnisvollen Mann, der das Bärenjunge schließlich mitnimmt, um es aufziehen – denn es war die Bärenmutter, die von den Dorfbewohner getötet worden war. Der Mann schärft Jo ein, dass er niemand von ihm und dem Bärenjungen erzählen darf.
Doch Jo, der neugierig ist, folgt dem Mann und sieht ihn mit dem Bärenjungen zur Hütte der eigenbrötlerischen alten Witwe Horcada gehen. Dort belauscht er den Mann, als dieser mit der Witwe spricht. Einige Zeit später geht Jo, wieder von Neugierde getrieben, noch einmal zum Haus der Witwe Horcada und bemerkt noch etwas anderes: Im Stall wird ein jüdisches Mädchen versteckt – und der Mann, der sich als der Schwiegersohn der Witwe herausstellt, verlangt erneut etwas von Jo: dass er auch davon niemandem etwas erzählt.
Bewertung:
Wenn man den Klappentext des Buches vorher nicht gelesen hat (so wie ich), stolpert man relativ unbedarft in diese Geschichte hinein, die (wäre da nicht der Zweite Weltkrieg im Hintergrund) fast wie ein idyllischer Kinderroman beginnt. Man muss fast etwas an „Heidi“ denken, wenn Jo zum Schafehüten auf die Almen geht. Doch etwas später schwenkt dann das Buch zu seinem Hauptthema um – und wird immer besser …
Es passiert noch vieles in dem Buch, u. a. auch, dass das abgelegene Dorf in den Pyrenäen von deutschen Soldaten besetzt wird. Mal abgesehen davon, dass Jo dadurch natürlich Angst um Benjamin (wie der Schwiegersohn der Witwe Horcada heißt) und das versteckte jüdische Mädchen hat: Das Dorf wird durch die deutschen Soldaten gespalten. Denn diese sind einerseits nett zu den Dorfbewohnern, andererseits stehen sie jedoch für die verhasste deutsche Besatzung. Es ist eine der Stärken des Buches, dass es eben nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern dass die deutschen Soldaten auf ihre Art und Weise in Teilen auch als sympathisch dargestellt werden. Gleiches gilt auch für die Franzosen …
Michael Morpurgos Buch (Übersetzung: Klaus Fritz) ist still und einfühlsam geschrieben, die Geschichte könnte man „behutsam spannend“ nennen, und das Buch lebt vor allem davon, dass Jo, sein Großvater, aber auch Benjamin und die Witwe Horcada sympathische Menschen sind, die sich für andere aufopfern. Dass am Ende nicht einfach alles nur gut ausgeht, sondern durchaus ein differenzierender Schluss auf den Leser wartet, ist dem Buch ebenfalls hoch anzurechnen.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. Vielleicht ist „Warten auf Anya“ nicht das beste Buch über das Dritte Reich und die Judenverfolgung, aber es ist eine Geschichte, die einen großen Charme versprüht. Interessant finde ich, wie in dem Buch mit der Anwesenheit der deutschen Soldaten umgegangen wird. Sie werden nicht nur als die Bösen dargestellt, sondern durchaus in Teilbereichen als sympathisch – ohne dabei jedoch verherrlicht oder verharmlost zu werden.
Mich hat Michael Morpurgos „Warten auf Anya“ jedenfalls nach 40 Seiten, während derer ich zunächst etwas irritiert war, gefangen genommen und bis zum Ende nicht mehr los gelassen. Die Geschichte ist stilsicher erzählt (auch wenn ich ein paar Mal der Übersetzung wegen über Formulierungen gestolpert bin), mit der richtigen Mischung aus Einfühlsamkeit und Spannung.
(Ulf Cronenberg, 24.01.2010)
P.S.: Das Thema Zweiter Weltkrieg steht auch bei den Erwachsenen-Sachbüchern noch immer hoch im Kurs. Ich habe gerade die Liste der besten zehn Sachbücher im Januar 2010 angeschaut, und dort sind immerhin auch zwei Bücher zu finden, die etwas mit dem Dritten Reich (in dem Fall mit Hitler) zu tun haben.
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Ich finde Ihre Zusammenfassung sehr gelungen, denn ich habe das Buch selber gelesen und war begeistert. Danke schön … 🙂
Die Zusammenfassung ist gut! 🙂 Aber ich finde, es fehlt ziemlich viel, z. B. etwas über Hubert oder den Großvater.