Beate Teresa Hanika hat im Jahr 2009 mit „Rotkäppchen muss weinen“ ihr erstes Jugendbuch veröffentlicht. In dem hochgelobten Buch, das schon vor der Veröffentlichung als Manuskript 2007 den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis bekommen hat, geht es um ein Mädchen, das von ihrem Großvater sexuell missbraucht wird.
Mit der Autorin habe ich per Mail ein Interview über das Thema „Schreiben“ geführt – und das soll hier wiedergegeben werden.
JBT: „Beate, dein erstes Jugendbuch „Rotkäppchen muss weinen“ ist 2009 im Fischer-Verlag erschienen. Im Buch heißt es in den Hintergrundinformationen zu deiner Person, dass du schon seit dem zehnten Lebensjahr Geschichten und Gedichte verfasst. Wie und warum bist du auf die Idee gekommen, nicht mehr nur für dich, sondern ein richtiges Buch zu schreiben und es zu veröffentlichen?“
Beate Teresa Hanika: Für mich gab es keine bewusste Entscheidung, ein Buch zu schreiben, das man dann auch veröffentlichen kann. Irgendwann kam die Idee für „Rotkäppchen“ und schon nach kurzer Zeit war klar, dass diese Thematik den Rahmen einer Kurzgeschichte sprengt. Und natürlich kam mir dann während der Arbeit der Gedanke, dass dieser Text vielleicht die Chance hat, veröffentlicht zu werden. Zunächst aber ist dieses „auf eine Veröffentlichung hinarbeiten“ für mich die falsche Motivation. Ich schreibe in erster Linie für mich selbst, für meinen Mann und meine besten Freunde. Für einen Lektor zu schreiben, würde mich zu sehr unter Druck setzen.
(Foto: privat, © Beate Teresa Hanika)
JBT: Hat sich das jetzt nicht bei den nächsten Büchern etwas geändert? Ich kann mir vorstellen, dass durch den Erfolg und die positiven Reaktionen zu „Rotkäppchen muss weinen“ dein Verlag und die Lektoren auf weitere Bücher warten. Spürst du da einen gewissen Erwartungsdruck? Und wenn ja, wie gehst du damit um?
Beate Teresa Hanika: Vielleicht habe ich Glück, dass mich meine Lektorin und der Verlag nicht drängen, in eine bestimmte Richtung zu schreiben, oder ich hatte Glück, dass ich zufällig das Richtige nachgeliefert habe … Ich weiß es nicht. Jedenfalls fühle ich mich völlig frei, in dem, was ich als Nächstes schreibe. Zudem kann ich es sowieso nicht beeinflussen. Die Geschichten stehen plötzlich vor der Tür und wollen geschrieben werden. Egal, was ein Lektor sagt oder wie lange ich vorher drumherum denke.
JBT: Dass die Geschichten plötzlich vor der Tür stehen, finde ich interessant. Trotzdem ist die Frage, woher sie eigentlich kommen. Wenn man z. B. „Rotkäppchen muss weinen“ nimmt. Das Thema sexueller Missbrauch ist einerseits wichtig und ist in den letzten Jahren in Jugendbüchern kaum oder gar nicht aufgegriffen worden, andererseits aber ist es aber auch kein einfaches, eher ein heikles Thema. Gab es da einen konkreten Anlass, durch den du auf die Geschichte gekommen bist, sei es ein Zeitungsartikel oder das Gespräch mit jemandem?
Beate Teresa Hanika: Von was ich letztendlich beeinflusst wurde, kann ich gar nicht so genau sagen. Es gab keinen Fall im Bekanntenkreis oder Ähnliches. Im Grunde habe ich viele Teilchen zusammengetragen. Reportagen im Fernsehen, Internet, Bücher, die mir in die Hände gerieten. Und zu guter Letzt wollte ich auch etwas schreiben, das Sinn macht. Etwas, das Kindern und Jugendlichen helfen kann. Ich finde, das kommt momentan mit der aktuellen Fantasybewegung zu kurz. Natürlich ist es auch wichtig und schön, dass man abtauchen und sich in fremden Welten verlieren kann, doch unsere Welt ist ja trotzdem mit all ihren Problemen noch existent. Da wollte ich ansetzen.
JBT: Das mit den Fantasybüchern sehe ich ähnlich wie du. Und deinen Satz „Unsere Welt ist ja trotzdem mit all ihren Problemen noch existent“ finde ich richtig und wichtig – wirklich gute Bücher haben meist eben doch auch irgendetwas mit unserer Gegenwart zu tun, ob mit unserem Denken und Fühlen oder mit dem, was um uns herum geschieht. Das ist zumindest meine persönliche Ansicht.
Das ist vielleicht ein etwas gewagter Themensprung, aber es soll in diesem Interview ja vor allem auch über das Thema Schreiben gehen. Gibt es da, wenn du eine Buchidee hast, auch mal richtig große Probleme? Dass du nicht vorwärts kommst, dass du ein Kapitel schreibst, das du dann unzufrieden nach einer Woche wieder streichst …
Beate Teresa Hanika: Wenn ich in der „richtigen“ Geschichte bin, gibt es keine großen Probleme. Bis jetzt gab es einige Geschichten, die ins Leere liefen, von denen nur einige Testkapitel existierten. Wenn ich das Gefühl habe, so, das ist es jetzt, dann läuft die Geschichte auch flüssig bis zum Ende durch. Zumindest bis jetzt war das, Gott sei Dank, so! Ich denke, davor hat doch jeder Autor Angst: dass er eine Schreibblockade bekommt.
JBT: Spannend ist es sicher, wenn man die erste Version eines Buches dann zum ersten Mal an den Verlag schickt. Hast du es schon erlebt, dass du dann noch mal richtig viel überarbeiten musstest?
Beate Teresa Hanika: Zum Glück nicht. Meine Lektorin hat „Rotkäppchen“ bis auf wenige unwichtige Änderungen genauso gelassen, wie es war. Normalerweise hätte ich aber kein Problem mit Änderungen, wenn sie sinnvoll sind und meinen Stil nicht verändern. Spannend ist es immer, wenn ein Buch überarbeitet wird, weil man sich dann noch einmal sehr genau damit auseinandersetzt.
JBT: Mich würde interessieren, wie du ans Schreiben deiner Bücher herangehst. Hast du jeden Tag eine feste Zeit und da sitzt du dann am Schreibtisch (wahrscheinlich am Computer)? Oder schreibst du eher phasenweise und dann aber auch lange Zeit am Stück (vielleicht sogar bis in die tiefe Nacht hinein)?
Beate Teresa Hanika: Leider habe ich keine Zeit, lange am Stück zu schreiben. Meistens bleibt nur abends eine Stunde, die ich dann aber sehr konzentriert arbeite. Ich schreibe am Computer. Komischerweise hemmt es mich total, wenn ich mit der Hand schreiben muss. Ich fertige auch nie Skizzen an und trage ein Notizbuch mit mir herum. Das habe ich alles dann im Kopf.
JBT: Das klingt einerseits fast ein wenig stressig, andererseits aber sehr effektiv. Angenommen, dir würde jemand ein Stipendium schenken, bei dem du dich sechs Monate auf den Bahamas voll auf das Schreiben konzentrieren solltest (vielleicht dürftest du deine Familie ja mitnehmen) – wäre das etwas für dich?
Beate Teresa Hanika: Wenn ich meine Familie dabei hätte, könnte ich mich nicht aufs Schreiben konzentrieren, da hätte ich ja meine Arbeit im Gepäck. Natürlich wäre so ein Stipendium verlockend, aber ich glaube, momentan würde ich dann sechs Monate auf den Bahamas faulenzen und kein einziges Wort schreiben … Und irgendwie brauche ich auch den Alltag, damit ich produktiv sein kann. Also ist alles irgendwie richtig, so wie es ist. Auch wenn es tatsächlich stressig ist.
JBT: Ich sehe schon, mit der Reise auf die Bahamas könnte man dich nicht wirklich zum Schreiben motivieren. Andere Frage: Tauschst du dich mit anderen Autoren aus?
Beate Teresa Hanika: Zum Schreiben vielleicht nicht, aber die Reise würde ich schon nehmen …
Mit anderen Autoren tausche ich mich eigentlich nicht aus. Das heißt, ich bin z. B. nicht in Autorenforen aktiv. Dazu bin ich nicht der Typ. Aber ich habe ja meine Schwester, die auch Autorin ist (ihr erstes Buch erscheint nächstes Jahr), und mit ihr rede ich natürlich sehr viel über das Schreiben und über unsere aktuellen Projekte. Wir lesen auch gegenseitig unsere Texte, was mir sehr hilft.
JBT: Was mich noch interessieren würde: Wie entstehen denn die Personen in deinen Büchern? Nehmen wir z. B. Malvina aus „Rotkäppchen muss weinen“. Da ist ja sicher eine Idee von der Hauptfigur da – aber dann? Entsteht so eine Figur beim Schreiben nach und nach oder setzt du dich da vorher hin und skizzierst, wie du dir das Mädchen vorstellst: von der Haarfarbe bis hin zu den Charaktereigenschaften?
Beate Teresa Hanika: Wie ich vorher schon erzählt habe, entwickle ich vorher alles im Kopf, aber ohne etwas aufzuschreiben. Trotzdem entwickelt sich eine Figur während des Schreibens natürlich weiter. Manchmal muss ich dann das Buch am Schluss noch einmal durchgehen und die Passagen am Anfang des Buches abändern, damit es wieder zur Person passt. Es kann sogar sein, dass eine Person am Anfang blond war und am Schluss dunkelhaarig (um nur ein Merkmal zu nennen) – also eine komplette Veränderung stattfindet.
Malvina allerdings, war von Anfang an stimmig und ihre Veränderung verlief nur innerhalb ihrer Entwicklung während der Geschichte.
JBT: Bevor wir langsam zum Schluss kommen: Hast du denn so etwas wie ein Vorbild? Gibt es Schrifsteller/innen, die du bewunderst?
Beate Teresa Hanika: Es gibt viele Schriftsteller die ich bewundere. Momentan steht Markus Zusak an erster Stelle. Die Bücherdiebin ist wirklich eines der besten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Früher war John Irving mein großes Vorbild, noch früher natürlich Astrid Lindgren.
Aber im Grunde versuche ich nicht mich an anderen Autoren zu orientieren, sondern etwas Eigenes zu schaffen. Deswegen lese ich, während ich schreibe, nur sehr wenig, um meine Gedanken nicht zu stören. Das hört sich vielleicht komisch an, aber ich brauche einen inneren „Leerraum“ um kreativ sein zu können und versuche immer wieder, die ständige Flut an Informationen (Bücher, Zeitungen, Fernsehen, Internet) zu unterbrechen.
JBT: Beate, vielen Dank für das Interview – und für deine nächsten Bücher wünsche ich dir, dass die Freude am Schreiben bleibt und dass sie viele Leser finden.
Die Buchbesprechung von Beate Teresa Hanikas „Rotkäppchen muss weinen“ bei Jugendbuchtipps.de findet ihr hier.
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