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Buchbesprechung: Marietta Slomka “Kanzler lieben Gummistiefel. So funktioniert Politik”

Cover SlomkaLesealter 14+(cbj-Verlag 2009, 277 Seiten)

Wofür allein dieses Buch schon einmal gut ist? Auf Seite 226 steht es: Um Diplomat zu werden, muss man breites Allgemeinwissen sowie großes Interesse für politische und soziale Sachverhalte nachweisen. Und dafür sollte man die Quittung des Buches aufheben und der Bewerbung für den Diplomatendienst beilegen … Aha.

Marietta Slomka, die das „heute journal“ im ZDF moderiert, ist nicht unbedingt als Jugendbuch-Autorin bekannt. Im Klappentext heißt es wohl deswegen auch nicht umsonst, dass sie sich mit dem Jugendbuchautor und Journalisten Daniel Westland zusammengetan hat, um das Buch zu schreiben. Wer da was und wie viel verfasst hat, bleibt allerdings im Dunkeln (zumal vorne auf dem Cover nur der Name der ZDF-Journalistin steht). Aber nun zum Buch selbst …

Der Aufbau von „Kanzler lieben Gummistiefel“ ist sinnvoll und das Buch behandelt das Thema Politik wirklich umfassend. Nach der Thematisierung einiger Grundfragen zu Demokratie und Wahlrecht im ersten Kapitel geht es in Kapitel 2 um Deutschland. Die Parteien werden ebenso wie die wichtigsten Politiker der letzten Jahrzehnte vorgestellt. Darüber hinaus greift das Buch viele politische Themen, die in Deutschland aktuell diskutiert werden, auf. Kapitel 3 und 4 weiten dann das Themengebiet aus: Es geht um politische Themen, die Europa bzw. die ganze Welt betreffen. Ausführlich werden die wichtigsten politischen Gremien (u. a. EU und UNO) und ihre Organisationsstruktur dargestellt – wiederum erfährt man als Leser aber auch viel über politische Hintergründe oder über Konfliktherde auf der Welt.

Die Kapitel werden immer wieder durch erläuternde Textkästen aufgelockert. Man findet Interviews mit Politikern oder Fachleuten oder Hintergrundberichte und Anekdoten zu bestimmten Sachverhalten. Das alles hinterlässt ein stimmiges Gesamtbild.

In „Kanzler lieben Gummistiefel“ werden sehr viele Themen aufgegriffen – das Buch ist wirklich eine Fleißarbeit. Aber mal abgesehen von einer gewissen Vollständigkeit ist vor allem eine Frage wichtig: Ist das Buch eigentlich für Jugendliche geeignet? Ein leichtes Thema haben sich Marietta Slomka und Daniel Westland da jedenfalls nicht vorgenommen. Politik wird immer eher mit Langeweile, endlosen und unergiebigen Sitzungen in Zusammenhang gebracht. Aber genau dem weiß das Buch etwas entgegenzusetzen: Es zeigt, dass Politik durchaus keine einfache, dafür aber oft eine spannende Sache sein kann.

Was die Sprache des Buches angeht, so ist sie recht stark an Jugendlichen ausgerichtet. Da klingt manches mitunter etwas flapsig. Immer wieder kommt etwas durch, was ich den Sendung-mit-der-Maus-Stil nennen würde – z. B.:

„Um Kriege zu verhindern, ist es außerdem hilfreich, Toleranz und friedliches Miteinander zu fördern. Klingt kitschig, ist aber auch ganz konkret möglich.“ (S. 254)

(Das „zu“ vor „fördern“ fehlt in dem Buch übrigens … – ein Grammatikfehler!). Wahrscheinlich fühlen sich die meisten Jugendlichen, die ja mit der „Sendung mit der Maus“ aufgewachsen sind, sofort heimisch, während Erwachsene einen solchen Stil vielleicht auf Dauer etwas nervig finden. Aber der Leser-Zielgruppe dürfte das Autorenduo damit gerecht werden …

Natürlich finden sich in dem Buch auch Schwächen und Ungenauigkeiten. Nicht immer sind alle Bilder gut gewählt – manchmal, aber selten passen sie nicht so ganz zum Text (z. B. auf Seite 16, wo Mahatma Gandhi im Text zu „Warum soll ich wählen gehen?“ abgebildet ist). Und ein paar Fehler sind ebenfalls enthalten: 14 Millionen Tabaksteuer pro Jahr in Deutschland? Das soll wohl Milliarden heißen … In der Grafik auf der Folgeseite ist dann auch der Milliarden-Betrag zu finden. Einige solcher Fehler könnte man aufzählen – und ich habe sicher nicht alle gefunden. Was für meine Begriffe außerdem fehlt, ist ein Glossar am Ende, in dem die im Buch verwendeten Fachwörter erläutert werden.

Dennoch: Was Marietta Slomkas und Daniel Westlands Buch leistet, ist enorm. Es ist eine umfassende Einführung in das Thema Politik, die weder belehrend noch langweilig daherkommt. Im Gegenteil: Letztendlich macht das Buch richtig Lust auf Politik, weil man beim Lesen feststellt, dass es immer ein Für und ein Wider gibt, dass viele Dinge nicht einfach zu entscheiden sind, dass sich Politiker eben auch oft wie normale Menschen verhalten und mit Tricks, Wendemanövern und Intrigen ihre Interessen durchsetzen. Alles wie im richtigen Leben …

Fazit:

5 von 5 Punkten. Auch wenn das Buch kleinere Ungenauigkeiten und Fehler enthält und ein Glossar fehlt: Daniel Westland und Marietta Slomka haben gute Arbeit geleistet. Jugendlichen wird mit „Kanzler lieben Gummistiefel“ ein Buch präsentiert, das als fachkundige Einführung in das Thema Politik gelten kann – das darüber hinaus aber vor allem eines zu leisten vermag: Interesse an Politik zu wecken.

„Kanzler lieben Gummistiefel“ ist nicht das einzige Sachbuch, das ich in diesem Jahr über Politik gelesen habe. Aber im Vergleich zu Martin Baltscheits “Jasmin Behringer. Ich und die Kanzlerin” oder Peter Zollings „Das Grundgesetz“ gefällt mir Marietta Slomkas Buch deutlich besser, weil es zwei wichtige Dinge verbindet: Es ist sachkundig und es ist für Jugendliche interessant und gut zu lesen. Die beiden anderen genannten Bücher erfüllen dagegen immer nur eines dieser beiden Kriterien …

So stelle ich meine kleinen Bedenken hintenan und kann nur noch einmal sagen: Jugendliche sollten dieses Buch lesen. 12-Jährige (ab diesem Alter empfiehlt cbj das Buch) müssen schon einiges an Vorwissen und Interesse mitbringen, wenn sie zu diesem Buch greifen. Ich würde zu dem Buch jedenfalls eher ab 14 Jahren raten. Wer in diesem Alter nach dem Lesen des Buches nicht wenigstens ein bisschen Interesse an Politik gefunden hat, bei dem wird es vermutlich schwer, das auf anderem Wege zu schaffen.

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(Ulf Cronenberg, 03.12.2009)

Kommentare (0)

  1. Gina

    Sehr schöne Buchbesprechung, vielen Dank. Aber was hat der eigenartige Titel mit dem Inhalt zu tun? Muss man das verstehen?
    Liebe Grüße
    Gina

    Antworten
    1. Ulf Cronenberg

      Klar, muss man das verstehen, Gina … 🙂 Im Ernst:
      Das bezieht sich auf einen Textkasten, in dem es darum geht, dass Politiker sich gerne als Macher präsentieren. Beim Oder-Hochwasser z. B.hat Gerhard Schröder sich dann in Gummistiefeln und Regenjacke gezeigt – und sein Auftreten war wohl mit dafür verantwortlich, dass er dann die kurz darauf stattfindende Wahl doch noch gewonnen hat.
      Tja, der Titel ist halt so gewählt, dass man neugierig wird. Ob das gelingt, darüber kann man natürlich streiten. Ich finde ihn eher leicht irreführend – und mich hat er das Buch eher erst mal zur Seite legen lassen.
      Viele Grüße, Ulf

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  2. Gina

    Aha! Oder-Hochwasser, Schröder in Gummistiefeln, Kanzlerwahl, die Verbindung ist echt plausibel. Du hast recht, da hätt ich wirklich selbst draufkommen können.
    Erhellte Grüße
    Gina

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  3. Ina

    Danke für diese Besprechung. Hatte das Buch vor einigen Wochen selbst ausgeliehen und fand es sehr anschaulich und interessant, bspw. das Kapitel über Milchquoten und EU. Frau Slomka fungiert hier natürlich als Zugpferd, nicht in erster Linie der Titel, bei mir hat das jedenfalls gewirkt. 😉

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