(Mare-Buchverlag 2009, 220 Seiten)
Mit „Weiße Geister“ der in Schottland lebenden Amerikanerin Alice Greenway gibt es mal wieder einen Ausflug in die Welt der Bücher für Erwachsene. Das Erstlingswerk der Autorin ist im Mare-Buchverlag erschienen, und dass der Roman in Hongkong spielt, ist wohl kein Zufall, denn die Autorin ist dort teilweise selbst aufgewachsen.
Warum „Weiße Geister“ trotzdem ein Buch für Jugendliche sein könnte? Weil es vor allem von zwei Mädchen handelt …
Inhalt:
Mit ihren Eltern leben die dreizehnjährige Kate und ihre etwas ältere Schwester Frankie in Hongkong. Ihr Vater ist Kriegsfotograf im Vietnam-Krieg – ein gefährlicher Beruf, den er dennoch liebt – und von daher viel unterwegs. Die beiden Schwestern, ihre Mutter sowie die chinesische Haushaltshilfe Ah Bing sind dagegen in Hongkong untergebracht, weil es dort sicherer ist – auch wenn es selbst in Hongkong zu dieser Zeit im Zuge der chinesischen Kulturrevolution mit Mao Zedong ebenfalls hoch hergeht.
Die beiden Mädchen verbringen viel Zeit am Meer, wo sie tauchen und baden. Und überhaupt hängen die beiden viel zusammen, obwohl sie ganz unterschiedliche Wesensarten haben. Kate ist eher still und vorsichtig, während Frankie immer mit Mittelpunkt zu stehen versucht, Streit vom Zaun bricht und Grenzen auslotet. So fühlt sich Kate oft verpflichtet, obwohl sie die Jüngere ist, auf Frankie aufzupassen.
Und dann passiert etwas, was diese Rollenverteilung der beiden Schwester noch weiter auf die Spitze treibt …
Bewertung:
Dass es in dem Buch irgendwann tragisch wird, ahnt man wohl nicht erst nach dieser eher vorsichtigen Inhaltszusammenfassung, die nicht zu viel vorwegnehmen will – als aufmerksamer Leser wird man eigentlich schon auf der zweiten Buchseite darauf gestoßen, wenn es dort heißt: „Der Sommer, von dem ich erzählen will, ist die einzige Zeit von Bedeutung. Es ist die Zeit, an die ich denken werde, wenn ich sterbe, so wie sich andere vielleicht einen verlorenen Liebhaber ins Gedächtnis rufen oder einer Liebe nachtrauern, die nie zustande kam. Für mich gibt es nur eine Geschichte. Es ist die meiner Schwester – Frankies Geschichte.“
Solche Worte stellt man nicht an den Anfang eines Buches, wenn da nicht noch Schreckliches passiert … Doch mehr wird an dieser Stelle in wehmütigem Ton nicht verraten – die Geschichte nimmt danach Stück für Stück ihren Lauf, wobei sie aus der Sicht Kates zunächst eher harmlos davon berichtet, wie die beiden Schwestern ihre Zeit miteinander verbringen.
So ganz einfach wird einem jugendlichen Leser der Einstieg hier nicht gemacht. Denn „Weiße Geister“ (Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn) erzählt sehr behutsam und assoziativ, so dass man sich die Lebenswelt und die Umstände erst nach und nach zusammenreimen muss. Letztendlich dauert dieser Einstieg für meinen Begriff etwas zu lange – hier wird dem Leser einige Ausdauer abverlangt.
Die zweite Hälfte des Buches dagegen zeigt sich dann deutlich interessanter und bietet auch auf der Handlungsebene mehr. Zum einen passieren Dinge, die Kate und Frankie noch enger zusammenschweißen, zum anderen merkt man, dass es dem tragischen Höhepunkt der Geschichte zugeht. Aber auch von psychologischer Seite kann man dem Buch hier zunehmend mehr abgewinnen: Denn Frankie, die ja der Hauptanlass für das Erzählen der Geschichte ist, gerät zunehmend außer Rand und Band, provoziert alle Menschen um sie herum, während Kate sich verpflichtet fühlt, sie zu beschützen. In diesem Buchteil zeigt Alice Greenway auch ihre Stärken: Dass sie einfühlsam und psychologisch folgerichtig Stück für Stück ihr Buch zum Höhepunkt führt und außerdem knapp, aber treffsicher Stimmungen und Gefühle in Worte und Sätze packen kann.
Fazit:
4 von 5 Punkten. Eine klare Empfehlung für Jugendliche kann man in Bezug auf Alice Greenways Buch nicht aussprechen – denn „Weiße Geister“ hat eher handlungsarme Teile (vor allem in der ersten Hälfte), die man mit Ausdauer und Interesse an behutsamen Personen- und Umgebungsschilderung erlesen muss. Mit zunehmender Lesedauer hat mich das Buch, das selbst mir anfangs etwas langatmig schien, jedoch doch noch aus den oben genannten Gründen irgendwann zu fesseln begonnen.
Empfehlen kann man „Weiße Geister“ also nur Jugendlichen, die sich mit Texten auseinandersetzen wollen und die keine Action und packende Handlung von vorne bis hinten brauchen, um ein Buch gut zu finden. Und das könnten meiner Meinung nach am ehesten (aber natürlich nicht nur) Mädchen ab 16 Jahren sein, die einiges an Leseerfahrung mitbringen.
(Ulf Cronenberg, 06.08.2008)
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