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Buchbesprechung: Tobias Elsäßer “Abspringen”

Cover ElsäßerLesealter 14+(Sauerländer-Verlag 2009, 270 Seiten)

Sind die Wirren der Pubertät bei Jungen gerade ein Thema, das besonders „in“ ist? Es ist nicht lange her, dass ich „Doktorspiele“ von Jaromir Konecny gelesen habe, und darin geht es um ein ähnliches Thema wie in Tobias Elsäßers neuem Buch „Abspringen“: um die neu erwachenden sexuellen Gefühle von Jungen, die damit überfordert sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen …

Ganz neu ist das Thema in der Jugendliteratur natürlich nicht – aber in den letzten vier, fünf Jahren gab es eher wenige solcher Bücher. Und der Ton, wie da nun über Sex geschrieben wird, ist außerdem (das ist mein Eindruck) deutlich offener geworden.

Inhalt:

Paul ist fast 14 Jahre alt, und als er sich eines Tage im Sportunterricht auf der Kletterstange nach oben quält, scheint auf einmal, vielleicht durch die Reibung an der Metallstange, sein sexueller Trieb zu erwachen – zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte das nicht passieren können. Als er oben kurz vor der Turnhallendecke hängt und bemerkt, dass seine Hose vorne einen deutlichen Fleck hat, weiß er nicht, was er tun soll – bloß, dass es zu peinlich wäre, mit diesem Fleck vor den Klassenkameraden zu stehen. So lässt er sich kurzerhand von der Kletterstange fallen und hofft, dass er durch den Sturz der Peinlichkeit des verräterischen Flecks auf der Hose entgehen kann …

Paul bekommt nach dem Absturz nichts von den Reaktionen seiner Mitschüler mit, denn er wird bewusstlos und wacht erst im Krankenhaus wieder auf – doch anscheinend hat wirklich niemand dem Fleck auf seiner Hose Aufmerksamkeit geschenkt. Auch nach dem Krankenhausaufenthalt wird das Leben für ihn jedoch nicht leichter: Ständig muss er an nackte Frauen und an Sex denken, und so langsam fragt sich Paul, ob er eigentlich noch normal ist. Aber mit wem soll er schon darüber reden? Sein Freund Noel scheint jedenfalls auch nur noch das Eine im Kopf zu haben und scheidet damit als ernstzunehmender Gesprächspartner aus.

Als dann auch noch Pauls Schulnoten gefährlich absinken, werden Pauls Eltern hellhörig. Seine Mutter schleppt ihn zu einen Kinder- und Jugendpsychiater, der ihn auf ADHS überprüfen soll. Paul hofft letztendlich, nachdem er sich im Internet ein bisschen informiert hat, dass ihm die Medikamente, die ihm der Arzt verschreiben könnte, gegen seine vermeintliche „Sexsucht“ helfen könnten – und so spielt er vor dem Arzt den völlig Unkonzentrierten, um schließlich wirklich mit einem Rezept aus der Praxis zu gehen.

Im Wartezimmer vorher hat er Kira, ein hübsches, aber seltsames Mädchen, das am Tourette-Syndrom leidet, kennen gelernt. Und ihr wird er bald wieder begegnen …

Bewertung:

„Abspringen“ beginnt mit einem Paukenschlag! Die Szene, wie Paul an der Kletterstange hängt und seine erwachende Sexualität entdeckt, ist jedenfalls an Komik (mit einem Schuss Tragik) kaum zu überbieten. Mehr zum Weiterlesen motivieren kann ein Romananfang wohl kaum … Und eigentlich geht die Geschichte mit leicht vermindertem Tempo, aber trotzdem witzig und fulminant weiter. Pauls gut zwei Jahre ältere Schwester Jana sorgt auf den nächsten Seiten mit ihrer Art, sich gegen ihre Eltern zu wehren, für Erheiterung, bevor die Geschichte sich wieder Paul und seinem Problem zuwendet.

Ja, man wird insgesamt gut unterhalten bei Tobias Elsäßers Buch – und zwar auf eine niveauvolle Art. Denn die Fragen, die Paul sich in dem Buch stellt, sind nicht ganz ohne und dürften sicher auch anderen Jungen in dem Alter auf der Zunge liegen. „Abspringen“ ist jedenfalls nicht nur ein Buch, das auf Heiterkeit aus ist – nein, das Tobias Elsäßer behandelt nebenbei so einige Themen, die im schulischen Aufklärungsunterricht sicherlich meist zu kurz kommen. Denn wer redet schon anderen gegenüber über Themen wie Selbstbefriedigung, die ständigen sexuellen Gefühle und Träume etc.?

Einen kleinen Hänger hat das Buch meiner Meinung jedoch trotzdem kurz nach der Mitte: als Paul sich für den Tod des Familienhundes verantwortlich macht (was das mit dem Thema Sexualität zu tun hat, verrate ich jetzt mal nicht). Hier zerfließt Paul in Mitleid, und leider übertreibt Tobias Elsäßer an dieser Stelle etwas und reitet zu sehr auf dem Selbstmitleid herum. Glücklicherweise bekommt das Buch nach dem kurzen Schlingern dann aber doch noch die Kurve, und Tobias Elsäßer findet am Ende zur anfänglichen Stärke zurück, um das Buch mit einem runden Schluss zu beenden.

Fazit:

4-einhalb von 5 Punkten. Hat man sich so wie Paul in „Abspringen“ wirklich den typischen Jungen im Alter von 14 Jahren vorzustellen? Tobias Elsäßer wagt mit seinem Buch eine Gratwanderung zwischen Klischee und Wirklichkeit – doch diese ist ihm gelungen, weil er in seinem Buch neben der ein oder anderen Übertreibung, die der Unterhaltung geschuldet ist, auch wichtige Fragen stellt. Die Klischees, die in „Abspringen“ schon auch zu finden ist, bleiben jedenfalls immer liebevoll und werden dem Leser mit einem zwinkernden Auge präsentiert, das sagt, dass man nicht alles so ernst nehmen solle.

Tobias Elsäßers neues Buch ist unterhaltsam, es greift ein eigentlich ernstes Thema auf, ohne im Ernst unterzugehen … Wäre da nicht der oben erwähnte leicht langatmige Mittelteil, so wären fünf Punkte für dieses Buch drin gewesen. Vielleicht hätten es einfach 50 Seiten weniger getan? Klar, das sind Spitzfindigkeiten … – aber Kritiken sind ja auch – wie das Wort schon sagt – dazu da, kritisch zu sein.

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(Ulf Cronenberg, 18.06.2009)

Übrigens, zu Tobias Elsäßers Buch „Abspringen“ gibt es ein witziges You Tube-Filmchen, im dem der gekürzte Text der ersten Seiten vorgelesen und mit Bildern unterlegt wird. Das Filmschnipselchen solltet ihr euch nicht entgehen lassen:

Kommentare (0)

  1. Christoph Enzinger

    Ich habe mich sehr wiedergefunden in dem Protagonisten. Bei mir war’s ähnlich, bis auf die Drogen-Experimente. Dieses Buch ist lehrreich für Erwachsene: Bleibt immer im Gespräch mit euren Kindern, seid ehrlich und nehmt nicht sofort das Schlimmste an.
    Aber dieses Buch ist wohl für manchen 14-jährigen Burschen genau das Richtige: Es gibt Antworten auf sensible Fragen, die man sich nicht aussprechen traut.
    Ja, Pauls Hund-Depression ist sehr massiv, und ich dachte die ganze Zeit: Wann kommt er endlich drauf, dass das nicht so schlimm ist. Hunde sind keine Menschen, sie sind halt mehr instinktgesteuert und werden eben manchmal von Autos überfahren.

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