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Buchbesprechung: Thomas Fuchs “Leben 2.0”

Cover FuchsLesealter 14+(Thienemann-Verlag 2009, 301 Seiten)

Ein toller Titel (und ein gut gemachter Buchumschlag dazu) ist das schon: “Leben 2.0”. Mich hat das jedenfalls gleich neugierig gemacht … Wer allerdings denkt, dass das Buch irgendwas (abgleitet von „Web 2.0“) mit Computern und Internet zu tun hat, der liegt ziemlich daneben. In Thomas Fuchs’ Buch geht es vielmehr um eine eher ungewöhnliche Freundschaft zwischen zwei Jungen und um die Veränderung eines Jungen, der Gewalt erfahren hat.

Inhalt:

Max geht in die 11. Klasse eines Gymnasiums und lebt in München. Mit seinen Freunden aus der Klasse ist es im Herbst Pflicht, aufs Oktoberfest zu gehen – und zwar die Jungen in Lederhosen und die Mädchen in Dirndl, auch wenn die Jugendlichen sonst eher wenig mit der bayerischen Kultur im Sinn haben. Auf dem Weg zum Oktoberfest kommen der Gruppe jedoch ein paar Besoffene entgegen, und völlig unerwartet geht einer von ihnen auf Max los, schlägt ihn nieder und tritt ihn mehrfach brutal ins Gesicht und in den Bauch.

Bis die Freunde von Max, die vor ihm gegangen waren, überhaupt reagieren, liegt Max schon bewusstlos am Boden. Kurz darauf sind Polizei und Krankenwagen da: Max hat es ziemlich schlimm erwischt. Mehrere Brüche sind die Folge der Tätlichkeit, und Max stirbt fast an einer inneren Blutung, weil die Leber einen Riss hat. Außerdem stellen die Ärzte fest, dass ein Nerv im Rücken durchtrennt ist, und es ist fraglich, ob Max jemals wieder richtig gehen können wird.

Auch wenn Max langsam durch einen längeren Krankenhaus- und Reha-Aufenthalt gesund wird, ganz der Alte ist er seit dem Vorfall nicht mehr. Der Junge scheint Freunden wie Eltern gegenüber zunehmend eine Rolle zu spielen, er lässt niemanden (auch seine Freundin Lisa Marie) nicht an sich heran und kann nachts nicht schlafen. So langsam lassen ihn entsprechend auch alle Freunde nacheinander fallen – nur David, selbst eher ein Außenseiter und bisher nicht unbedingt ein guter Freund von Max, versucht sich um diesen zu kümmern. Doch Max macht ihm das alles andere als leicht …

Bewertung:

Irgendwie fängt “Leben 2.0“ nicht gerade fulminant an. Das Buch hat auf den ersten 50 bis 100 Seiten einen seltsamen Ton: David erzählt die Geschichte von Max rückblickend ein Jahr später und macht dabei auf den ersten beiden Seiten ein paar Andeutungen, was mit Max passiert ist, um dann chronologisch die Geschichte von Max aufzurollen.

Dieser Einstieg passt zwar zum Ende des Buches – doch die brav von vorne nach hinten erzählte Geschichte hat anfangs überhaupt keine erzählerische Kraft. Sie wirkt eher wie ein Schulaufsatz, als dass das ein packender Romaneinstieg wäre. Dabei bietet das Buch inhaltlich zu Beginn ja einiges, was man besser hätte aufbereiten können: Wie Max ohne Grund zusammengeschlagen wird, wie groß der Schock der Mitschüler ist, wie Max sich durch den Vorfall verändert, etc. Doch das alles ist eindimensional und eher kraftlos erzählt.

Packend wird das Buch eigentlich erst in der zweiten Hälfte – und auch hier ist es weniger die Erzählweise als der Inhalt, der den Leser zu fesseln beginnt. Denn die Veränderung von Max, der ein halbes Jahr nach dem Zusammengeschlagenwerden zunehmend haltlos, erst depressiv, dann fast manisch und aggressiv wird, bewirkt, dass sich auf einmal auch beim Erzähler David etwas tut. Der stille und schüchterne Außenseiter David gewinnt durch das Sich-Auseinandersetzen mit Max zunehmend an Kontur und wird endlich so etwas wie eine eigenständige Figur. „Leben 2.0“ erlangt dadurch dann doch noch so etwas wie psychologische Spannung, weil Max’ Verhalten nicht nur David, sondern auch seine Freundin Lisa Marie zur Verzweiflung treibt und sie zwingt, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.

Fazit:

3 von 5 Punkten. Während der ersten Hälfte bin ich an “Leben 2.0” fast etwas verzweifelt und habe damit gehadert, dass ein so toller Buchtitel so wenig Brillanz in seiner Erzählweise zeigt. Doch, Gott sei Dank, hat das Buch auch noch einen zweiten Teil – und der ist inhaltlich und psychologisch deutlich interessanter, ja in Teilbereichen sogar spannend, weil die Figuren sich miteinander auseinandersetzen und verschiedene Ansichten und Welten aufeinandertreffen.

Dennoch: Alles in allem hätte man aus der Geschichte mehr machen können – “Leben 2.0” hätte einer gründlichen Überarbeitung (vor allem der ersten Hälfte) bedurft. Meiner Meinung nach z. B. hätte Thomas Fuchs gut daran getan, die eindimensionale Erzählweise (rückblickend aus der Sicht von David) aufzubrechen und das Buch mehrperspektivisch anzugehen. Lisa Marie hätte aus ihrer Sicht manches erzählen können oder auch noch eine weitere Figur, nicht jedoch Max. Denn dass dieser allen ein Rätsel bleibt, dem man nachzuforschen versucht, muss auf erzählerischer Ebene seine Entsprechung behalten – das hat Thomas Fuchs schon richtig gesehen.

Schade, unter Strich habe ich “Leben 2.0” mit dem Gefühl aus der Hand gelegt, dass da ein Autor eine Chance verspielt hat.

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(Ulf Cronenberg, 16.06.2009)


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