(Carlsen-Verlag 2009, 697 Seiten)
Hups, da war ich noch mitten im Lesen und dachte, dass ich noch 50 Seiten vor mir hätte, als Lian Hearns „Die Weite des Himmels“ plötzlich zu Ende war. Der Grund dafür war, dass sich auf den letzten 50 Seiten zunächst ein Personenregister und dann ein Auszug aus „Das Schwert in der Stille“ (Band 1 der Otori-Saga) befinden.
Mit „Die Weite des Himmels“, der als Band 0 gezählt wird, hat Lian Hearn wohl endgültig ihre Otori-Reihe, die in einem erfundenen feudalen Japan spielt und aus drei Hauptbänden sowie Band 4 (“Der Ruf des Reihers”) besteht, abgeschlossen. Im vorliegenden Band wird nun die Vorgeschichte um Takeos Vater Lord Otori Shigeru erzählt.
Inhalt:
Shigeru ist der älteste Sohn von Lord Otori Shigemori, dem Clanführer der Otori, und damit dessen legitimer Nachfolger. Doch Shigerus Vater hat einige Führungsschwächen: Statt den verfeindeten Clans die Stirn zu bieten, ist er oft zu nachsichtig und unentschlossen. Er hört in Staatsdingen vor allem auf seine beiden Brüder Shoichi und Masahiro, die ihm jedoch viele sinnvolle Dinge auszureden versuchen. Shigeru wird trotz seiner jugendlichen Jahre den Eindruck nicht los, dass die Brüder seines Vaters eigene Interessen verfolgen und darauf spekulieren, diesem als Führer des Clans nachzufolgen.
Um seine Ausbildung zu vervollkommnen, wird Shigeru in ein Kloster geschickt, wo ihn der ehemalige erfahrende Kämpfer Matsuda Shingen, der inzwischen Mönch geworden ist, aufnimmt. Shigeru wird nicht nur in der Kampfeskunst weiter ausgebildet, sondern lernt bei Matsuda Shingen vor allem sein ungestümes Verhalten durch Meditation zu zügeln – was ihm nicht leicht fällt.
Durch einen Zufall kommt Shigeru eines Tages dazu, wie Iida Sadayoshi, der Führer des verfeindeten Tohanclans, bei der Jagd in eine Höhle gefallen ist, aus der es keinen Weg heraus zu geben scheint. Mit Hilfe eines Ortskundigen gelingt es Shigeru jedoch, dafür zu sorgen, dass Iida gerettet wird – doch anstatt dankbar zu sein, scheint Shigeru sich Iida, der durch die Rettung seine Ehre verletzt sieht, zum ewigen Feind gemacht zu haben.
Es dauert nicht lange, bis Iida, der die verfeindeten Clans unterwerfen will, zum großen Kampf rüstet. Shigeru ahnt das und bereitet die Otori auf den Krieg gegen die Tohan vor. Doch die Tohan stehen den Otori zahlenmäßig weit überlegen gegenüber – es kommt jedoch noch schlimmer: Als der Kampf beginnt, bemerkt Shigeru, dass ihm ein Verbündeter in den Rücken fällt und zu Iida übergelaufen ist …
Bewertung:
Ja, angesichts der vielen japanischen Namen (die oben aufgeführten sind nur ein Bruchteil der Namen im Buch!) kann einem als Leser ziemlich schwindlig werden, und man muss schon sehr konzentriert lesen, um den Ränken zwischen den Clans folgen zu können. Gut, dass es am Ende des Buches ein Personenregister gibt, wo man nachschlagen kann, wer zu wem gehört.
Die Inhaltszusammenfassung des Buches (Übersetzung: Irmela Brender) klingt sehr danach, als würde auch Band 0 (der als fünfter und letzter Band erschienen ist) hauptsächlich von kriegerischen Auseinandersetzungen handeln – etwas, das mich bei einigen der Otori-Büchern etwas gestört hat. Doch das stimmt so nicht. „Die Weite des Himmels“ besinnt sich wieder eher auf die Stärken von Band 1 „Das Schwert in der Stille“, der meiner Meinung nach noch immer der beste Band der Otori-Saga ist. Lian Hearns neues Buch handelt nämlich auf seinen fast 700 Seiten von wesentlich mehr – was bloß in der Kürze der Zusammenfassung keinen Platz hat.
Letztendlich dient der allen anderen Teilen zeitlich vorgelagerte Band nämlich dazu, die Zusammenhänge und die Vorgeschichte der Folgebände zu erläutern. Es geht darum, die Person Shigerus vorzustellen und dessen Persönlichkeitsentwicklung festzuhalten. Dabei wird man als Leser noch einmal sehr genau in die Gedankenwelt des feudalen Japans eingeführt – einer Welt, die westlichen Lesern mit ihrem Ehrbegriff ziemlich fremd ist.
Außerdem geht es immer wieder auch um das Thema Liebe. Heiraten wurde auch im feudalen Japan als Mittel der Politik angesehen – aus der Spannung zwischen Liebe und Heirat (geliebt wird nämlich selten die Ehefrau) bezieht „Die Weite des Himmels“ einen anderen Moment der Spannung, wenn Shigeru zwar politisch motiviert verheiratet wird, aber eigentlich eine andere Frau liebt. Und um Religion sowie politische Winkelzüge geht es außerdem auch noch …
Fazit:
5 von 5 Punkten. Lian Hearn gelingt es auch im letzen Band der Otori-Saga, ihre Leser wieder in eine wundersame Welt zu versetzen, und man kann beim Lesen von Band 0 wieder herrlich in andere Gefilde abtauchen. Die australische Autorin ist eine behutsame und eher stille Erzählerin, die dem Leser eine völlig andere Gesellschaftsordnung nahebringt. Dass in „Die Weite des Himmels“ wieder eher das Psychologische als die Kriegshandlung im Vordergrund steht, tut dem Buch jedenfalls gut – vor allem in Band 3 der Otori-Reihe (“Der Glanz des Mondes”) war es der Kampfes- und Kriegshandlungen nämlich oft zu viel des Guten.
Die Otori-Bücher sind sicherlich nicht jedermanns Sache, denn harmlos geht es darin nicht zu. Die Schilderung von Krieg und Intrigen gehört zu den Büchern und wird schonungslos beschrieben. Jedoch sollte man dankbar dafür sein, dass es auch noch andere breit angelegt Epen als Fantasy-Trilogien gibt, die Leser in eine andere Welt entführen. Zwar ist die Welt aus den Otori-Büchern auch erfunden und hat leichte Fantasy-Elemente, jedoch ist sie in vielem stark an die Welt des feudalen Japans angelehnt. Und das ist eben doch mal was anderes als der Kampf gegen Drachen oder andere schreckenerregende Fantasy-Wesen …
(Ulf Cronenberg, 04.06.2009)
Link: Übersicht zu allen Otori-Buchbesprechungen bei Jugendbuchtipps.de
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