(Carlsen-Verlag 2009, 237 Seiten)
Vor einem halben Jahr hat Meg Rosoff für „Was wäre wenn“ den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 verliehen bekommen. Die britische Autorin schreibt sperrige Bücher, die von der Literaturkritik immer begeistert aufgenommen werden (das gilt auch, wie es scheint, für „Damals, das Meer“) – aber ich selbst bin bisher mit ihren Geschichten nie so richtig warm geworden. Sie waren mir zu konstruiert, zu weltentrückt und sind mir innerlich einfach immer fremd geblieben. Nichtsdestotrotz habe ich mit Meg Rosoffs drittem ins Deutsche übersetzten Buch einen neuen Anlauf unternommen …
Inhalt:
Hilary (seinen Namen erfährt man erst ganz am Ende des Buches) ist bereits von zwei Schulen geflogen, und in ihrer Verzweiflung stecken seine Eltern ihn in das Internat St Oswald, das direkt an der Meeresküste liegt. Doch was nach Ferien klingt (die Geschichte spielt im Jahr 1962), ist weit davon entfernt: Das Internat scheint ein Sammelbecken schwieriger Schüler, aber auch desillusionierter und unpädagogischer Lehrer zu sein – vom verkochten Essen und den zugigen Räumen ohne Heizung ganz zu schweigen …
Nur bei Ebbe über einen begehbaren Damm mit dem Festland verbunden liegt an der Küste eine kleine Insel. Dort lernt Hilary einen etwa gleichaltrigen Jungen kennen, der dort ganz alleine in einer Hütte lebt: Finn. Seine Großmutter ist vor ein paar Jahren gestorben, die Mutter schon viel früher abgehauen – und deswegen schlägt sich der Junge ganz alleine durchs Leben.
Hilary ist fasziniert von Finn, weil er ein Leben so abseits der anderen führt und unabhängig von anderen Menschen zu sein scheint. Auf seltsame Art und Weise fühlt sich Hilary von Finn angezogen, denkt Tag und Nacht an den Jungen, sucht dessen Nähe, obwohl Finn ihm das mit seiner unabhängigen und wenig verbindlichen Art nicht gerade leicht macht. Und Ärger mit dem Internat ist vorprogrammiert, weil die Schüler nur ab und zu Freigang haben – doch Hilary macht sich trotzdem immer wieder auf, um Finn, von dem niemand weiß, zu besuchen …
Bewertung:
Auch Meg Rosoffs drittes Buch (Übersetzung: Brigitte Jakobeit) ist nicht unbedingt zugänglich. Das geht schon mit den ersten Sätzen los: „Ich bin hundert Jahre alt, ein unmögliches Alter, und meine Gedanken sind nicht in der Gegenwart verankert. So driften sie dahin und landen fast immer am gleichen Ufer. Heute wie an den meisten anderen Tagen, ist es das Jahr 1962. Das Jahr, in dem ich die Liebe entdeckte. Ich bin wieder sechzehn.“ Da beginnt ein alter Mann aus der Zukunft (im Jahr 2046) rückblickend eine Geschichte zu erzählen, die sein Leben verändert hat. Seltsam ist das, wenn man irgendwie so gar nichts über die Gegenwart des Erzählers erfährt, der außer den zitierten Sätzen eigentlich nur am Ende des Buches noch einmal auftaucht und das Geschehene und dessen Bedeutung für ihn reflektiert.
Dazwischen wird eine ganz „normale“ Geschichte erzählt: Hilary, der in dem abweisenden Internat unterkommt, sich dort durchschlägt, mit Finn dann jedoch so etwas wie ein anderes Leben kennen lernt, das seinen Reiz auf verschiedenen Ebenen hat: durch die Gegensätzlichkeit zu Hilarys Leben und Welt, aber auch durch die Faszination, die Finn auf Hilary ausübt.
Dass diese homoerotischen Elemente am Ende eine ganz andere Wendung bekommen, ist eine der Finessen des Buches, das ansonsten stimmungsvoll erzählt wird. Meg Rosoff ist eine Vertreterin der leisen Töne: Da passiert auf der Handlungsebene oft nicht unbedingt übermäßig viel, die Umgebung des Meeres sowie die Verhaltensweisen und Beweggründe der Menschen werden stimmungsvoll und genau, aber eher zurückhaltend beschrieben.
Fazit:
4 von 5 Punkten. „Damals, das Meer“ ist ein Buch, das ich anfangs nicht unbedingt ins Herz geschlossen hatte, das jedoch am Ende, je länger ich mich damit beschäftigt habe, einen umso nachhaltigeren Eindruck bei mir hinterlassen hat. Der Begriff „sperrig“, den ich ja schon für die früheren Bücher von Meg Rosoff verwendet habe, trifft auch hier zu: Das Buch ist sicher nicht für jedermann zugänglich, dürfte eher literaturgewohnte Erwachsene begeistern und kann nicht unbedingt allen Jugendlichen als Lektüre empfohlen werden. Ja, vielleicht sollte man 14-Jährige vor dem Buch eher ein bisschen warnen, es stattdessen reiferen Lesern empfehlen, die in Ruhe Bücher lesen, darüber nachdenken, vielleicht ein zweites Mal in ein Buch hineinschauen, vieles auf sich wirken lassen …
Was mich selbst angeht: Wie schon bei Meg Rosoffs anderen Büchern bin ich auch von „Damals, das Meer“ nicht restlos begeistert. Zwar konnte ich mehr mit dem Buch anfangen als mit „Was wäre wenn“ oder “So lebe ich jetzt” – aber ein gewisses Fremdheitsgefühl zu den Figuren und ihren Gefühlen ist beim Lesen dieser Geschichte immer da geblieben.
(Ulf Cronenberg, 07.04.2009)
P.S.: Eine interessante Fragen zum Schluss: Kann man einen Fisch „ausweiden“ (wie es im Buch steht)? Ich hätte gesagt, dass der Begriff eher im Zusammenhang mit Wild (also z. B. Rehen) als mit Fischen verwendet wird. Aber vielleicht weiß ich da nur nicht Bescheid …
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