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Buchbesprechung: Alina Bronsky “Scherbenpark”

Cover BronskyLesealter 16+(Kiepenheuer & Witsch 2008, 287 Seiten)

„Scherbenpark“ ist ein hochgelobtes Buch, mit dem sich eine neue Autorin vorgestellt hat. In eigentlich allen großen Zeitungen gab es fast durchweg positive Besprechungen, die Maschinerie der Öffentlichkeitsarbeit (mit eigener Website) läuft … Das hat letztendlich auch mich neugierig gemacht, auch wenn Alina Bronskys Roman eigentlich nicht als Jugendbuch vermarktet wird, obwohl es eine 17-Jährige Hauptfigur hat.

Auf Alina Bronsky wurde ich erstmals übrigens auf der Buchmesse (siehe dieser Artikel), wo die Autorin auf dem zweitletzten Bild neben Anthony McCarten am rechten Rand zu sehen ist) aufmerksam. Leider musste ich die Veranstaltung, bis es zu ihrer Lesung kam, verlassen – sonst hätte ich „Scherbenpark“ vielleicht schon früher hier vorgestellt.

Inhalt:

„Manchmal denke ich, ich bin die Einzige in unserem Viertel, die noch vernünftige Träume hat. Ich habe zwei, und für keinen brauche ich mich zu schämen. Ich will Vadim töten. Und ich will ein Buch über meine Mutter schreiben. Ich habe auch schon einen Titel: ‚Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge Tochter gehört hätte‘.“ So wird man als Leser in die Geschichte hineingeschubst.

Sascha, die eigentlich Alexandra heißt, aber von niemandem so genannt wird, ist erst als Kind aus Russland mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen. Ihren Vater kennt sie nicht, und ihre Mutter lebte mit Vadim zusammen, mit dem sie zwei weitere Kinder hat: Alissa und Anton. Doch Saschas Mutter wurde von Vadim umgebracht, nachdem diese ihn vor die Tür gesetzt hatte – und zwar aus gutem Grund. Denn Vadim war nicht nur verbal ständig gewalttätig und hat die ganze Familie jahrelang tyrannisiert.

Inzwischen ist Vadim aufgrund des Mordes an Saschas Mutter im Gefängnis, und um Anton, Alissa und Alexandra kümmert sich Maria, eine Verwandte von Vadim. Maria ist sehr gutmütig, aber kann so gut wie kein Wort Deutsch und fühlt sich entsprechend einsam in dem fremden Land. Sascha dagegen hat sich schnell eingelebt, beherrscht die deutsche Sprache perfekt und ist eine Einser-Schülerin, die jedoch kaum Kontakt zu anderen hat.

Als Sascha in einer großen Frankfurter Tageszeitung einen rührseligen Artikel über Vadim liest, der angeblich alles bereut, kochen viele Gefühle in ihr hoch. So fährt sie direkt in die Redaktion, um der Verfasserin des Artikels die Meinung zu sagen, und lernt dabei Volker kennen, den verantwortlichen Redakteur. Dieser beteuert, dass die Volontärin den Artikel ohne seine Zustimmung geschrieben und in die Zeitung gesetzt hat. Er entschuldigt sich vielmals bei ihr und bietet Sascha an, ihr zu helfen – ein Angebot, auf das Sascha bald zurückkommt, als sie es zu Hause nicht mehr aushält. Denn sie bekommt mit, dass Maria eine Beziehung zu einem anderem Mann in dem Wohnblock hat, was ihr gar nicht passt, denn auf Männer ist Sascha aufgrund ihrer Erfahrungen mit Vadim gar nicht gut zu sprechen. So nimmt Volker das 17-jährige Mädchen zu Hause auf …

Bewertung:

Von den vielen positiven Äußerungen zu Alina Bronskys erstem Roman kann einem ganz schwindlig werden – und wirklich, die Autorin greift ein Thema auf, das in der deutschen Literatur eher etwas stiefmütterlich behandelt wird: die Problematik von russlanddeutschen Aussiedlern und ihre Lebenssituation. In eine ganz eigene Kultur taucht man beim Lesen des Buches ab, und vieles davon erscheint einem unverständlich.

Der Einstieg in das Buch – Sascha erzählt alles aus ihrer Perspektive – ist jedenfalls fesselnd und gut gelungen. Sascha berichtet von ihrem momentanen Leben und nach und nach erfährt man durch Rückblenden, was das Mädchen und ihre Familie schon alles mitgemacht haben. Das ist mitunter schockierend, aber alles in allem stilsicher erzählt. Einige Dinge gehen dem Leser dabei ziemlich unter die Haut – allem voran, wenn man die Details über die Ermordung von Saschas Mutter liest, bei der die drei Kinder alles genau mitbekommen haben. Die Traumatisierung, insbesondere von Saschas Bruder Anton, wird ebenso eindrücklich dargestellt wie das ganze Milieu der Russlanddeutschen.

Doch es gibt auch Dinge, die ich etwas überzeichnet und überhöht finde. Vor allem als Sascha einen 24-jährigen Studenten, der interessanterweise auch Volker heißt, kennen lernt, übertreibt Alina Bronsky manches und driftet für meinen Geschmack zu sehr ins Klischeehafte ab, wenn sich Volker schließlich als Rassist und Neonazi entpuppt. Der studierende Volker ist einfach keine stimmige Figur.

Ansonsten ist „Scherbenpark“ jedoch über weite Teile ein mitreißendes Buch, das sehr genau die Entwicklung und Selbstfindung eines 17-jährigen Mädchens nachzeichnet. Vieles steckt dabei im Detail: Interessant ist z. B., dass die Namen aller Geschwister mit „A“ beginnen, die der wichtigsten Frauenfiguren mit „M“, die der Männer mit „V“ – das ist wohl kein Zufall. Lediglich Volkers Sohn Felix trägt einen Namen mit anderem Anfangsbuchstaben.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Insgesamt habe ich „Scherbenpark“ etwas zwiespältig aus der Hand gelegt. Vieles hat mir gefallen, das Buch ist gut geschrieben, bei einigen Dingen habe ich jedoch auch Bedenken. Ein typisches Jugendbuch ist „Scherbenpark“ jedoch nicht – von daher ist es folgerichtig, dass Alina Bronskys Buch (die Autorin stammt übrigens selbst aus Russland ab und schreibt unter einem Pseudonym) als Erwachsenenbuch erschienen ist.

Dass die Situation und Lebensweise von Russlanddeutschen literarisch beachtet wird, allein das muss man der jungen Autorin zugutehalten. Und dass Alina Bronsky sicherlich eine literarische Neuentdeckung ist, dass man gespannt sein darf, was von der Autorin noch folgt, kann man ohne Zweifel festhalten. Raum nach oben ist jedoch noch vorhanden. Seien wir gespannt, ob Alina Bronsky die ersten Lorbeeren nutzt, um noch Besseres zu schreiben …

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(Ulf Cronenberg, 22.01.2009)

Kommentare (9)

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  3. Rebecca

    Eine gute Bewertung hast Du da geschrieben. Allerdings hast Du da etwas durcheinander gebracht! Volker ist nicht der 24-jährige Student, der sich als Neonazi entpuppt. Volker ist der Redakteur der lokalen Zeitung. Das sind zwei völlig unterschiedliche Personen.
    Liebe Grüße
    Rebecca

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    1. Ulf Cronenberg

      Rebecca, der Neonazi heißt aber auch Volker – ich habe das noch mal überprüft. Von daher stimmt es, es gibt zwei Personen, die Volker heißen.
      Gruß, Ulf

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  6. anna

    Hm … Ich finde es beeindruckend, dass Klischees über die Russlanddeutschen, Sie in keinster Weise gestört haben und sie es als „Problematik“ der Russlanddeutschen bezeichnen, aber in dem kleinen Teil, in dem auch mal das Klischee der Deutschen aufgegriffen wird, es direkt als überzogen bezeichnet wird. Also ist es in Ordnung wenn man über das „Problem“ berichtet, mit all den Klischees, die vorherrschen, aber sobald mal ein Deutscher in einer kurzen Szene als Rassist bezeichnet ist, ist es fehl am Platz?

    Ich finde das Buch durchaus gelungen. Mit all den Klischees die dort durchgekaut werden. Seien es Deutsche, Russen, Chinesen oder sonst wem. Wer es in Ordnung findet, dass mit Klischees anderer gespielt wird, der sollte an seiner Moral festhalten und es nicht als überzogen empfinden, wenn auf einmal die Eigenen trifft.

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    1. Ulf Cronenberg (Beitrag Autor)

      Hm … Du hast wahrscheinlich in manchem Recht. Ich glaube, für mich war das einfach auch eine fremde Welt, die da beschrieben wurde. Allerdings habe ich nicht geschrieben, dass Volker fehl am Platz ist, sondern dass ich ihn nicht stimmig fand. Aber es mag sein, dass das auch für viele andere Personen in dem Roman gilt: dass sie nicht stimmig sind und ich das bloß nicht beurteilen kann.

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