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Buchbesprechung: Paula Fox “Ein Dorf am Meer”

Cover FoxLesealter 10+(Boje-Verlag 2008, 127 Seiten)

Paula Fox hat für ihr Buch „Ein Bild von Ivan“ den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 in der Sparte Kinderbuch verliehen bekommen – eine Entscheidung, mit der ich nicht so ganz glücklich war, fand ich das Buch doch eher langatmig. Da hilft es auch nicht, dass das Kinderbuch zweifellos gut und einfühlsam erzählt ist.

Der Boje-Verlag hat nun ein weiteres Buch der amerikanischen Autorin herausgebracht: „Ein Dorf am Meer“, das – ebenso wie „Ein Bild von Ivan“ – schon vor längerer Zeit im Original erschienen ist: nämlich vor 20 Jahren. Ansonsten ähneln sich beide Bücher recht stark. Sie sind dünne Bändchen mit etwas mehr als 100 Seiten und haben – dazu weiter unten mehr – ein recht ähnliches Thema.

Inhalt:

Emmas Vater ist schwer krank und muss im Krankenhaus am Herzen operiert werden. Ihm soll dort ein Bypass gelegt werden. Da Emmas Mutter während des Krankenhausaufenthalts viel bei ihrem Mann sein wird, hat die Familie beschlossen, das Mädchen zu dessen Tante Bea und ihrem Mann Crispin, die in der Nähe von New York am Meer wohnen, zu verschicken. Richtig begeistert ist Emma davon nicht, denn ihre Tante ist ein missmutiger Mensch, der ständig Streit sucht. Aber sie fügt sich in das Unvermeidliche, und so wird sie am Tag vor der Operation von ihrem Onkel abgeholt.

Und wirklich: Emma findet sich nur schwer in der neuen Umgebung zurecht. Onkel Crispin ist zwar sehr nett zu ihr, auch wenn er von Kindern nicht allzu viel zu verstehen scheint, aber Tante Bea verhält sich äußerst merkwürdig und muss an allem herummäkeln. Emma versucht ihr, wann immer möglich, aus dem Weg zu gehen. Die Sorgen, die Emma sich um ihren Vater macht – sie fürchtet, er könnte die Operation nicht überleben –, lasten außerdem schwer auf ihr.

Doch dann lernt Emma am Strand Bertie kennen – ein ein Jahr älteres Mädchen, das die Sommerferien bei den Großeltern am Meer verlebt. Zusammen verbringen die beiden bald jeden Tag am Strand und bauen dort mit Fundsachen auf dem Sand ein Dorf nach. Die Tage bei Onkel und Tante werden durch die neue Freundin erträglicher, fast vergisst Emma dabei die Sorgen um ihren Vater.

Bewertung:

Paula Fox zeigt sich auch in „Ein Dorf am Meer“ (Übersetzung: Brigitte Jakobeit) als einfühlsame und sprachgewandte Autorin. Es gelingt ihr, die Stimmungen und Gefühle Emmas, aber auch der anderen Personen meisterhaft einzufangen. Die Sprache, die die amerikanische Schriftstellerin verwendet, kommt leise daher. Am auffälligsten sind dabei die treffenden und ungewöhnlichen Vergleiche und Metaphern, die Paula Fox einstreut, um die Figuren im Buch – z. B. Tante Bea – zu beschreiben: „Nach einiger Zeit strich sie über die Hand und zupfte an ihrem Daumen herum, wobei sich ihre Finger wie kleine Zahnräder in einer komplizierten Maschine bewegten. Ihr Kopf war leicht zur Seite geneigt. Wie ein Papagei, dachte Emma, der Samenkerne aufknackt.“ (S. 24) Solche feinsinnigen Beobachtungen ziehen sich durch das ganze Buch.

Im Vergleich zu „Ein Bild von Ivan“, das eigentlich erst im letzten Drittel etwas interessanter geworden ist, hat mich die Geschichte von „Ein Dorf am Meer“ auch deutlich mehr gefesselt. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass Emma sowie die anderen Personen in dem Buch deutlich lebendiger scheinen. Das gilt insbesondere für Tante Bea, diese seltsame Frau, die andere Menschen zu verachten scheint und die am Ende doch besser als gedacht wegkommt. Erst am Ende scheint Emma zu begreifen, warum sich ihre Tante so unmöglich verhält.

Ein bisschen seltsam fand ich an „Ein Dorf im Meer“ jedoch, dass dieses Buch von der Komposition her fast identisch zu „Ein Bild von Ivan“ ist. Wieder reist ein Kind in die Ferne, wird mit einer fremden Welt konfrontiert und lernt jemand Gleichaltrigen kennen. Und hat Ivans Vater seinem Sohn aufgetragen, seine Erlebnisse mit einem Foto festzuhalten, so geben Emmas Eltern ihrer Tochter ein Tagebuch mit, um darin ihre Tage bei Onkel und Tante aufzuzeichnen. Doch weder Ivan noch Emma kommen der Aufforderung nach. Für solche Parallelen ließen sich durchaus noch weitere Beispiele anfügen – und etwas seltsam ist es schon, wenn man eine ähnlich angelegte Geschichte, diesmal in anderen Rahmen gebettet noch einmal liest.

Was mich an an „Ein Dorf am Meer“ wie schon bei „Ein Bild von Ivan“ ein bisschen gestört hat, ist, dass dies meiner Meinung nach kein richtiges Kinderbuch, sondern eher ein Buch für feinsinnige und literarisch interessierte Erwachsene ist. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob Kinder dieses Buch mögen werden.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Sollte ich Lesern eines der beiden Bücher von Paula Fox empfehlen müssen, so würde ich ganz klar „Ein Dorf am Meer“ auswählen. Meiner Ansicht nach ist es von der Geschichte her packender als „Ein Bild von Ivan“.

Doch welchen Kindern kann man dieses Buch uneingeschränkt empfehlen? Am ehesten wohl eher stillen Mädchen im Alter zwischen 10 und 12 Jahre. Zum Vorlesen lässt sich dieses Buch wohl auch schon früher verwenden …

Paula Fox ist in jedem Fall eine außergewöhnliche Erzählerin. Ihre Geschichten sind leise und einfühlsam, sie versuchen, auf anspruchsvolle Art und Weise die Zeit der Kindheit, in der man die Welt noch nicht so richtig versteht, zu fassen. Aber dennoch – oder gerade deswegen: In meinen Augen ist „Ein Dorf am Meer“ kein Kinderbuch, sondern gehört eher in die Bücherregale von erwachsenen Lesern, die literarisch Anspruchsvolles mögen.

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(Ulf Cronenberg, 10.01.2008)


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