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Buchbesprechung: Shaun Tan “Ein neues Land”

Cover Shaun TanLesealter 13+(Carlsen-Verlag 2008, 128 Seiten)

Der Australier Shaun Tan ist für mich die Entdeckung dieses Jahres. Mit zwei Büchern hat er auch in Deutschland auf sich aufmerksam gemacht: „Geschichten aus der Vorstadt des Universums„, das bei Jugendbuchtipps.de bereits besprochen wurde und von dem ich begeistert war, sowie das hier besprochene „Ein neues Land“. Dass dieses zweite Buch seine Geschichte ganz ohne Text, nur mit Bildern erzählt, ist etwas Besonderes.

Shaun Tan, der 1974 in Australien geboren wurde, hat Kunst und englische Literatur studiert – versteht sich also aufs Zeichnen und auch auf Texte. Das hat er meisterhaft in „Geschichten aus der Vorstadt des Universums“ demonstriert. „Ein neues Land“ berichtet von der Geschichte eines Mannes, der von seiner Familie Abschied nimmt, um in ein anderes Land zu reisen – über die Hintergründe seiner Abreise erfährt man dabei nichts.

(Übrigens: Mit einem Klick auf die Bilder könnt ihr diese vergrößert und mit Untertitel in eurem Browser betrachten!)

Die Ankunft im Hafen des neuen Landes …

Doch schon bald merkt man, dass der Mann in kein gewöhnliches Land kommt. Das beginnt damit, dass am Ankunftshafen, der in vielem der Silhouette New Yorks entspricht, nicht die Freiheitsstatue steht, sondern sich stattdessen zwei seltsam gebuckelte Riesenstatuen mit Tieren auf ihren Körpern die Hand reichen (siehe Bild oben). Dann geht es weiter mit dem Ausfüllen der Einreisedokumente, was wieder eher der Wirklichkeit von Einwanderern in den letzten Jahrhunderten entlehnt ist, um schließlich wieder ins Surreale überzuwechseln: Die Stadt, in die der Auswanderer kommt, hat eine traum-hafte Architektur (u. a. mit zuckerhut-ähnlichen Gebäuden und tierähnlichen Statuen), ist bevölkert von ungewöhnlichen Tieren und Schiffe segeln durch die Luft. Genau das macht die Stimmung in diesem einzigartigen Buch auch aus: dass Shaun Tan nicht nur die Geschichte von Auswanderern erzählt, sondern ihr eine große Portion Fantasie und Wundersames beimengt.

Blick auf die Stadt

Über die Bilder (alle übrigens mit Graphitstift auf Papier gezeichnet und dann am Computer nachkoloriert) kann man indes nur staunen – und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen gelingt es Shaun Tan in seinen Bildern – gerade auch von Menschen –, meisterhaft Gefühle auszudrücken. Man merkt dabei, dass er sich auch mit Fotografie und mit den Ausdrucksmitteln alter Schwarzweißfilme beschäftigt hat. Zum anderen faszinieren die Bilder, weil sie oft einfach nur traumhaft schön und stilvoll sind. Wenn der Himmel z. B. von Hunderten weißer Papiervögel bevölkert ist oder die Wolken in lauter kleinen Vignetten bizarre Figuren bilden, will man mit dem Hingucken gar nicht mehr aufhören.

Doch „Ein neues Land“ lebt nicht nur von den Bildern, sondern auch von der Geschichte, die diese erzählen. Wenn der ausgewanderte Mann im neuen Land andere Menschen und Familien kennen lernt und diese ihm ihre Geschichten berichten, erahnt man, was es heißt, auszuwandern: wovor die Menschen geflohen sind, und was sie in dem neuen Land erwartet hat. Von Sorgen und grausamen Dingen, aber auch von freudigen Moment wird da berichtet.

Bei der Einreisebehörde …

Fazit:

5 von 5 Punkten. Von diesem Bilderbuch für Erwachsene, wie Shaun Tan „Ein neues Land“ nennt (ich meine aber durchaus, dass es auch etwas für jugendliche Leser ist), kann man eigentlich nur begeistert sein. Es ist eine Freude zu sehen, wie es dem australischen Zeichner und Autor gelingt, nur mit Bildern Stimmungen und Gefühlen auszudrücken, wie er mit seinen kunstvollen Bildern eine ganze Geschichte erzählt, die im positiven Sinn auf ganz eigensinnige Art und Weise den Betrachter für Flüchtlingsschicksale sensibilisiert.

Papiersegler …

Dass Shaun Tan für dieses Buch, wie er selbst auf seiner Webseite schreibt, vier bis fünf Jahre gebraucht hat, kann man nachvollziehen. Aber die Ausdauer hat sich gelohnt: Denn entstanden ist dabei so etwas wie ein Meilenstein der Graphic Novel, eine Referenz, an die andere Zeichner und Autoren erst einmal herankommen müssen. Vor Shaun Tan ziehe ich für dieses Buch meinen imaginären Hut (den ich selbst im Winter nicht aufhabe) und bin gespannt, was da noch kommen mag. Hoffentlich veröffentlicht der Carlsen-Verlag noch weitere Bücher des australischen Autors – denn auf Englisch gibt es schon einiges mehr zu entdecken …

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(Ulf Cronenberg, 06.01.2009)

Übrigens: Weitere Infos über Shaun Tan, seine Arbeit und seine Bücher findet ihr auf seiner englischsprachigen Website.

Die Bilder wurden mit freundlicher Genehmigung des Carlsen-Verlags (Frau Jerusalem-Groenewald) in diese Buchbesprechung übernommen. Danke!


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