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Kurzrezension: Ruth Maier “Das Leben könnte gut sein. Tagebücher 1933 bis 1942”

Cover MaierLesealter 15+(DVA 2008, 531 Seiten)

Ruth Maiers Tagebücher sind eines der Über-den-Tellerrand-gucken-Bücher bei Jugendbuchtipps.de, denn die vom Norweger Jan Erik Vold herausgegebenen Aufzeichnungen der Wiener Jüdin sind eher ein Erwachsenen-Buch als ein Buch für Jugendliche. Das Buch erschien zuerst in Norwegen, da Ruth Maier dort ihre letzten Lebensjahre verbracht hat – die letzten Tagebucheinträge (ebenso wie die Anmerkungen des Herausgebers) sind von daher auch aus dem Norwegischen ins Deutsche übertragen worden, da das Mädchen am Ende oft auf Norwegisch geschrieben hat.

Der Inhalt der Tagebücher ist recht schnell zusammengefasst. Ruth Maier wurde in einer mehrköpfigen jüdischen Familie 1920 in Wien geboren, ihr Vater starb schon recht früh an Wundbrand, und die Tagebuchaufzeichnungen, die 1933 einsetzen, sind von der 12-jährigen Ruth begonnen und mehrere Jahre fortgeschrieben worden. Das Mädchen ist in den ersten Jahren noch eher naiv, beschreibt für eine 12-Jährige jedoch schon ziemlich genau das, was um sie herum passiert. Im Zentrum stehen am Anfang eher Gedanken über die Familie und über Freundinnen.

Als schließlich Österreich an Deutschland angeschlossen wird, beschäftigt sich Ruth zunehmend auch mit politischen Fragen. Sie beschreibt sehr genau, wie die Juden in Wien verfolgt werden, welchen Repressalien sie ausgesetzt sind. Für sie ist all das mehr als unverständlich. Ruths Schwester Judith wird nach England gebracht, wo es eigens Auffanglager für jüdische Mädchen gibt. Ruth selbst dagegen kommt schließlich als 18-jährige Gymnasiastin im Januar 1939 nach Oslo in Norwegen, wo sie von einer Familie aufgenommen wird.

Dort lernt Ruth schließlich auch die junge norwegische Dichterin Gunvor Hofmo kennen, mit der sie die restliche Zeit in Norwegen eine nicht immer ganz einfache, aber intensive Freundschaft, ja Liebe, verbindet. Als schließlich 1940 auch Norwegen von den Deutschen besetzt wird, nehmen auch dort die Übergriffe auf Juden zu, und Ruth Maier wird schließlich im Herbst 1942 mit einem Schiff nach Deutschland gebracht, um dort am 1. Dezember 1942 in Auschwitz in den Gaskammern zu sterben.

Die Tagebücher von Ruth Maier sind ein sehr lebendiges Zeugnis der Judenverfolgung im Dritten Reich. Es wird deutlich, wie ein junges Mädchen zunehmend politisch denkt, und die Unbegreiflichkeit der Judenpogrome werden von Ruth, die sich als Sozialistin sieht, sehr genau festgehalten. Es ist erstaunlich, wie reflektiert das Mädchen in jungen Jahren bereits ist.

Doch die Tagebücher behandeln nicht nur das Thema Judenverfolgung, sondern noch viel mehr. Da ist zu lesen, dass Ruth ein junges Mädchen ist, das in seiner Pubertät Gefühlsschwankungen unterworfen ist: Kaum ist sie in einen Jungen verliebt, schon distanziert sie sich im nächsten Tagebucheintrag wieder von diesem. Auch schwärmt sie immer wieder von anderen Mädchen. Ebenso zu finden ist die Sehnsucht nach ihrem toten Vater, während die Beziehung zu ihrer Mutter als schwierig beschrieben wird.

In den Aufzeichnungen aus Norwegen schließlich gerät vor allem die Beziehung zu Gunvor Hofmo in den Vordergrund. Zwar schweigt sich Ruth in den Tagebüchern darüber aus, dass sie eine Liebesbeziehung zu der Dichterin hatte, doch zwischen den Zeilen kann man dies doch herauslesen. Bei den letzten Tagebucheinträgen, die in Norwegen geschrieben wurden, geht es wieder zunehmend um politische Dinge, und Ruth beschreibt, wie auch die Juden in Norwegen verfolgt wurden, bevor das Tagebuch wegen der Verschleppung nach Auschwitz abbricht.

Fazit:

4 von 5 Punkten. „Das Leben könnte gut sein“, wie die Tagebuchaufzeichnung von Ruth Maier genannt wurden, sind ein eindrückliches Zeugnis davon, wie ein jüdisches Mädchen in der schlimmen Zeit des Dritten Reiches durchzuhalten versucht. Man findet immer wieder Passagen in dem Buch, die bedrückend sind, die die Gräueltaten der Nationalsozialisten beschreiben. Gleichzeitig hat das Buch meiner Meinung nach jedoch auch einige Längen – das ist mein Hauptkritikpunkt. Man braucht doch etwas Durchhaltevermögen, um sich durch die gut 500 Seiten zu arbeiten.

Jan Erik Volds Einführungen zu den einzelnen Tagebüchern sind einerseits behutsam, andererseits jedoch eher für erwachsene Leser geschrieben – das war zumindest mein Eindruck. „Das Leben könnte gut sein“ ist somit eher etwas für reife jugendliche Leser, die an dem Thema Judenverfolgung im Dritten Reich interessiert sind – für andere Leser dürfte das Buch jedoch manchmal etwas zu spröde und langatmig daherkommen. Für jugendliche Leser wäre eine Kürzung der Tagebucheinträge auf die wesentlichen Stellen meiner Ansicht nach sinnvoller gewesen. Aber gut: Ruth Maiers Aufzeichnungen sind ja auch kein explizites Jugendbuch …

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(Ulf Cronenberg, 11.11.2008)

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