(Rowohlt-Verlag 2008, 378 Seiten)
Schauen wir mal ein bisschen über den Tellerrand – denn Joe Dunthornes „Ich, Oliver Tate“ handelt zwar von einem am Endes des Buches 16-jährigen Jugendlichen, ist aber nicht in der Jugendbuchsparte des Rowohlt-Verlages erschienen, sondern gilt wohl eher als Buch für Erwachsene.
Das verspielte Cover passt jedenfalls zu Joe Dunthornes Buch, denn der Roman strotz nur so vor Einfällen (aber dazu später mehr). Joe Dunthorne, der im walisischen Swansea, wo auch das Buch spielt, geboren wurde, hat seinen Roman als Kurzgeschichte in einem Kurs über kreatives Schreiben begonnen – und nach sehr positiven Reaktionen beschlossen, ein ganzes Buch daraus zu machen.
Oliver, der am Anfang des Buches noch 15 Jahre alt ist, ist kein so ganz typischer Jugendlicher. Zwar hat er einige Kumpels, mit denen er Blödsinn macht, andere ärgert, über Sex redet, als wäre das das einzig Wichtige im Leben – aber dennoch lebt er in einer eigenen Welt aus widersprüchlichen Gefühlen, die er meist nicht äußern und mitteilen kann, und ziemlich ausgefallenen, teilweise etwas abstrusen Gedanken.
Als er mit Jordana seine erste richtige Beziehung beginnt, stolpern die beiden schon bald über ihre Unfähigkeit, wirklich miteinander zu reden. Was für beide aufregend beginnt, wird zunehmend langweiliger, und die Schwierigkeiten nehmen zu. Als Jordanas Mutter wegen eines Hirntumors eine schwere Operation vor sich hat, zieht sich Oliver zurück, anstatt sich um seine Freundin zu kümmern.
Gleichzeitig bemerkt Oliver, dass die Ehe seiner Eltern auf der Kippe steht. Seine Mutter besucht Meditations-Workshops bei einem früheren Freund von ihr, und Oliver malt sich aus, dass sie mit dem Meditations-Lehrer eine Affäre hat. Um die Ehe seiner Eltern zu retten, verfolgt er seine Mutter, als diese auf ein Meditations-Camp fährt, und beobachtet sie.
Ob mir „Ich, Oliver Tate“ gefallen hat, darüber war ich mir beim Lesen lange unschlüssig. Ganz klar ist zumindest, dass das wirklich kein typisches Jugendbuch ist, sondern eher ein Adoleszenz-Roman für junge Erwachsene. Meine Altersempfehlung „ab 16 Jahren“ fußt auf dieser Einschätzung.
Was mich für Joe Dunthornes Buch eingenommen hat, war zum einen der teils witzige und jugendliche Sprachstil, der die Geschichte am Laufen hält (Übersetzung: Mayela Gerhardt). Zum anderen ist die Welt dieses ungewöhnlichen Jungen sehr genau festgehalten. Wie man so nach und nach mitkommt, dass Oliver oft neben sich steht, weil er nicht authentisch sein kann, wie er einerseits genau beobachtet, was um ihn herum vorgeht, andererseits aber nicht so recht weiß, wie er sich in Situationen verhalten soll, wie Oliver schließlich genau analysiert, was andere Menschen (vor allem die Erwachsenen) von ihm erwarten, und er manchmal aus Trotz beschließt, sich dem zu widersetzen, dann aber auch wieder dem planvoll Genüge tut – all diese Finessen sind wirklich gut beschrieben.
„Ich, Oliver Tate“ ist ein Buch, das man mit etwas Ruhe und Muße lesen sollte, das man auf sich wirken lassen muss und das dann einen ganzen Kosmos an Gedanken und Gefühlen öffnet. Denn auf der Handlungsebene – das ist mein einzig kleiner Kritikpunkt – tut sich manchmal eher wenig, ab und zu passieren zudem etwas seltsame Dinge, die aber wiederum oft eine gewissen Komik entfalten. Es lag wohl am ehesten an der eher untergeordneten Handlung, warum Joe Dunthornes Buch nicht so einen richtigen Sog auf mich ausgeübt hat.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. „Ich, Oliver Tate“ war kein Buch, das ich regelrecht verschlungen habe, aber es ist ein Buch, das ich jetzt nach dem Lesen und Drüber-Nachdenken recht gut finde. Ein Buch, das man sogar ein zweites Mal – vielleicht sogar mit größerem Genuss – lesen könnte.
Leseunerfahrene Jugendliche ab 16 Jahren kann man mit diesem Buch sicherlich nicht locken. Joe Dunthornes Buch ist eher ein Buch für junge Erwachsene und kommt nur für erfahrene jugendliche Leser in Frage. Doch diesen könnte „Ich, Oliver Tate“ gut gefallen …
(Ulf Cronenberg, 30.10.2008)
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