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Buchbesprechung: Anne C. Voorhoeve "Einundzwanzigster Juli"

Cover VoorhoeveLesealter 12+(Ravensburger-Verlag 2008, 343 Seiten)

Gut 60 Jahre nach dem Ende ist der Zweite Weltkrieg noch immer eines der wichtigsten Themen in der Literatur – das gilt auch für Jugendbücher. Anne C. Voorhoeve, die in Berlin lebt, hat sich in den letzten Jahren mit historischen Themen einen Namen gemacht. Nach „Lilly unter den Linden„, einem Buch über die letzten Jahre der DDR, und „Liverpool Street“, das am Anfang des Zweiten Weltkriegs spielt, hat sich die Autorin nun einem Stoff genähert, der mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zu tun hat. Jedoch geht es nicht um das Attentat selbst, sondern darum, was die Familien der Attentäter danach zu erleiden hatten.

Inhalt:

Die 13-jährige Fritzi kehrt nach zwei Jahren in Oschgau in Ostpreußen wieder nach Berlin zu ihrer Mutter zurück. Ihr Bruder Fabian ist inzwischen im Krieg gefallen, und Fritzis Vater ist Offizier der Wehrmacht. Die Gründe für ihre Rückkehr nach Berlin sind der Mutter nicht so ganz klar – Fritzi selbst macht ein Geheimnis daraus. Es hat u. a. etwas damit zu tun, dass sie in Oschgau einen polnischen Fremdarbeiter, der Lebensmittel gestohlen hatte, verraten hat und sich nun für dessen Tod verantwortlich fühlt.

Fritzi ist entsetzt über die Anti-Hitler-Haltung ihrer Mutter, hat sie selbst in Oschgau doch gelernt, für das deutsche Vaterland einzutreten. Ihre Mutter ist in ein Netzwerk eingebunden, in dem man Flüchtlinge versteckt und sie versorgt. Die Zeit in Berlin ist nicht gerade angenehm: Ständig gibt es in der Stadt Fliegerangriffe – doch bald spitzt sich die Situation für die Familie Fritzis weiter zu. Als die Familie von Lautlitz, von der Fritzis Vater abstammt, als Hauptbeteiligte das Attentat auf Hitler, das jedoch misslingt, verübt, wird die Großfamilie verfolgt.

Für die gesamte Familie von Lautlitz beginnt eine Odyssee durch ganz Deutschland – und zwar von der Großmutter bis hin zu den Kleinkindern. Zunächst werden die einzelnen Familienmitglieder in verschiedene Gefängnisse und Heime gesteckt, doch schon bald geht es weiter … – am Ende sogar in Konzentrationslager. Nur Fritzis Tante Lexi ist als Ingenieurin, Entwicklerin und Fliegerin nach kurzer Zeit wieder auf freiem Fuß, weil sie für die Luftwaffe unabkömmlich ist. Lexi versucht, soweit es geht, ihrer Familie zu helfen – doch das ist alles andere als einfach.

Bewertung:

Anne C. Voorhoeves historischer Roman beruht auf wahren Tatsachen, auch wenn der Name der Familie von Stauffenberg auf Wunsch der Adelsfamilie in den Namen von Lautlitz umgewandelt wurde. Doch wie im Nachwort der Autorin erläutert wird, entsprechen die Personen im Buch alle, mit einer Ausnahme, bestimmten historischen Figuren. Bei der Ausnahme handelt es sich um die Hauptfigur Fritzi selbst, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird.

Diese Konstruktion ist ein wenig ungewöhnlich, doch macht sie insofern Sinn, als die Autorin dadurch eine größere schriftstellerische Freiheit gewinnt. Anne C. Voorhoeve hat sich dennoch bemüht, vieles in dem Buch historisch korrekt nachzuzeichnen und wurde dabei von Otto-Philipp Graf Stauffenberg (im Roman Julius) und seiner Schwester Marie-Gabriele (Nanni) unterstützt. Beide stellten Anne C. Voorhoeve ihre Unterlagen zur Verfügung und lasen das Manuskript Korrektur.

Mich hat „Einundzwanzigster Juli“ (auch der Titel ist verfremdet, denn das wirkliche Hitler-Attentat wurde am 20. Juli verübt) ziemlich schnell gepackt. Anne C. Voorhoeve hat einen sehr einfühlsamen Schreibstil, der an den richtigen Stellen mit ungewöhnlichen sprachlichen Bildern die Stimmungen sowie die Gefühle der Personen sehr gut abbildet. Nicht nur Fritzi, sondern viele andere Personen – darunter vor allem Tante Lexi –, werden sehr lebensnah und mit all ihren Zwiespälten und Widersprüchen dargestellt. Ein bisschen verwirrend fand ich ab und zu die Größe der von-Lautlitz-Familie und ihre Verwandschaftsbezüge – doch kann man hier auf den Innenseiten des Buchrückens den fiktiven und den realen Stammbaum der Familie von Lautlitz bzw. von Stauffenberg zu Rate ziehen.

Sehr eindrücklich wird in dem Buch nachgezeichnet, wie Fritzi als naives Mädchen, das von den Nationalsozialisten lange indoktriniert wurde, nach und nach mitbekommt, für welche Gräueltaten das Hitler-Regime verantwortlich ist. Aus der unbedachten, aber anfangs vehementen Anhängerin des Dritten Reiches wird so im Laufe des Buches eine Gegnerin des Nazi-Regimes. Dieser Wandel im Denken wird sehr gut beschrieben. Nachvollziehbar wird er auch, weil viele der schlimmen Taten im Dritten Reich Eingang in das Buch gefunden haben, und auch hier zeigt sich Anne C. Voorhoeve sehr einfühlsam. Die Gratwanderung zwischen schonungsloser Offenheit (zu der auch die Darstellung von Brutalität gehört) und sensibler Schreibweise gelingt der Autorin sehr gut. Es sind eher die stillen Momente, die einem beim Lesen zusammenzucken lassen und dem Leser bewusst machen, was für eine extrem schlimme Zeit das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg waren.

Fazit:

5 von 5 Punkten. Es mag Leute geben, die das Buch aufgrund seiner Schein-Historizität (also weil es nur vordergründig die geschichtliche Wirklichkeit erzählt) nicht mögen werden, aber ich gehöre sicher nicht dazu. „Einundzwanzigster Juli“ ist ein großes Werk, das sehr genau Furcht und Schrecken des Zweiten Weltkrieges festhält. Die Autorin hat die besondere Rolle der Familie von Stauffenberg genutzt, um die Verwandlung eines Mädchens von der naiven Hitler-Anhängerin zu einer Gegnerin nachzuzeichnen. Die Gründe dafür, dass Fritzi eine erfundene Figur ist, kann man nachvollziehen – ebenso wie, dass die Autorin auf Wunsch der Familie von Stauffenberg auf die Verwendung des Familiennamens verzichtet hat.

Die Spannung zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und Fiktion ist meiner Meinung nach gut gelungen – dieser Spagat hat der Autorin Freiheiten eingeräumt, die es bei einem geschichtlich „wasserdichten“ Roman nicht gegeben hätte. Und ich nehme an, dass ohne diesen Spagat ein weniger eindrückliches Buch entstanden wäre. Anne C. Voorhoeve hat ein wichtiges und großes Jugendbuch geschrieben, das auch von literarischer Seite als gelungen bezeichnet werden kann.

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(Ulf Cronenberg, 21.10.2008)

Kommentare (0)

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  2. Julie

    Ich habe das Buch selbst gelesen und ich finde es ein sehr gutes Buch, weil es Jugendlichen vor Augen führt, wie die Menschen zur Zeit des Dritten Reiches gelebt, gefühlt und gehandelt haben.
    (Julie, 12 Jahre)

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  3. Olga

    Wirklich ein sehr gutes Buch.
    Mir sind zwei Sachen bei der Buchbesprechung aufgefallen: Fritzi ist über ihre Mutter mit der Familie von Lautlitz verwandt (diese ist auch keine Gräfin mehr, weil Fritzis Vater ein Buergerlicher ist). Und Fritzis Cousin heißt Julius, nicht Julian.

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    1. Ulf Cronenberg

      Das mit „Julius“ hab ich mal geändert, ohne dass ich es noch mal nachgeschaut habe – ich vertraue mal darauf, dass es stimmt. Danke für den Hinweis!

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  4. Mira

    Fritzi ist übrigens 14 Jahre alt 🙂

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