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Buchbesprechung: Anja Tuckermann „Mano. Der Junge, der nicht wusste, wo er war“

Cover TuckermannLesealter 14+(Hanser-Verlag 2008, 298 Seiten)

Für ihr Buch „Denk nicht, wir bleiben hier. Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner“ hat Anja Tuckermann 2006 den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Sachbuch verliehen bekommen. Ich habe das Buch nicht gelesen – dafür jetzt aber Anja Tuckermanns neues Buch „Mano“, das das Schicksal eines Jungen aus der gleichen Sinti-Großfamilie im Dritten Reich aufgreift.

„Mano“ ist ein Zwischending aus Sachbuch und Roman. Das Buch erzählt eine wahre Begebenheit, enthält viele authentische Dokumente, füllt aber die Lücken dazwischen literarisch auf.

Inhalt:

Der 11-jährige Mano hat Schlimmes hinter sich – am Ende des Krieges flieht er mit seinem Cousin Manfred und anderen Kindern aus dem Konzentrationslager (dem dritten, in dem er war und wo er von seinen Eltern getrennt wurde), um nach München zurückzukehren. Doch Mano ist gesundheitlich stark angeschlagen und kommt auf der Flucht nicht hinterher. Und so wird er schließlich von einem französischen Lastwagen mitgenommen und gelangt so auf diesem Weg nach Frankreich, obwohl er kein Wort der Sprache versteht.

Über mehrere Stationen kommt er in der Familie Fouquet unter: Tante Fifine, Onkel Félix (wie er die beiden meist nennt) und ihr Sohn Paul kümmern sich um den traumatisierten Jungen, der ständig Angstattacken hat, nach seiner Mutter ruft, nicht alleine sein kann und keine Nacht ohne Albträume, aus denen er schreiend erwacht, verbringt. Erst sehr langsam wird Mano etwas ruhiger. Doch bei Tante Fifine und Onkel Félix kann er nicht dauerhaft bleiben, da sie zu wenig Geld haben, sich nicht rund um die Uhr, wie Mano es benötigt, um ihn kümmern können und auch der Platz in ihrer Wohnung nicht ausreicht.

So kommt Mano zunächst bei Madame Marcheix-Thoumyre unter, die sich um viele Kriegsflüchtlinge kümmert, bevor er schließlich nach Le Havre zu einer kinderlosen Lehrerfamilie kommt. Dort soll er, obwohl er sich herumgereicht und heimatlos fühlt, unterrichtet und dauerhaft untergebracht werden.

Selbst viele Monate später leidet Mano noch immer unter seinen Erlebnissen in den Konzentrationslagern und vermisst seine Eltern. Madame Marcheix-Thoumyre startet über die Behörden viele Suchaufträge – doch es nicht klar, ob Manos Eltern noch leben. Die Suche nach den Eltern wird dadurch erschwert, dass Mano nicht den richtigen Namen seiner Eltern preisgibt – aus Angst davor, dass er als Deutscher erkannt werden könnte und dann darunter zu leiden hat.

Bewertung:

Was Anja Tuckermann in ihrem neuen Buch geleistet hat, ist bewundernswert. Es dauert nur einige Seiten, bis man in das schlimme Schicksal Manos so hineingezogen wird, dass man mit dem Lesen gar nicht mehr aufhören kann. Viel Schlimmes bekommt man da zu lesen – Mano hat grausame Dinge erlebt, an die er sich im Laufe des Buches nach und nach erinnert. Das ist mitunter ziemlich schockierend und geht einem als Leser unter die Haut.

Mich hat das Schicksal Manos an das von Ernst Lossa in Robert Domes‘ „Nebel im August“ erinnert, das auch auf einer wahren Begebenheit beruht. Robert Domes‘ Buch ist allerdings in meinen Augen noch etwas heftiger, denn im Gegensatz zu Mano, um den sich viele Leute in Frankreich rührend kümmern, wurde Ernst Lossa allein gelassen.

Wenn man die beiden Bücher ansonsten miteinander vergleicht, so gefällt mir Anja Tuckermanns Buch von literarischer Seite her deutlich besser. „Mano“ ist sehr einfühlsam geschrieben, und besonders beeindruckt hat mich, wie in einer Art Bewusstseinsstrom immer wieder die Gedanken, Erinnerungen und Gefühle von Mano festgehalten werden. Das ist einfach gut gemacht … Auch sonst ist das Buch sehr abwechslungsreich erzählt. Die Geschichte wird des Öfteren an passenden Momenten durch kurze Erfahrungsberichte der Menschen, mit denen Mano zu tun hat, aber auch durch amtliche Schreiben unterbrochen. Die Mischung aus fiktiven Elementen (die jedoch den Anspruch haben, durch die umfangreichen Recherchen der Autorin der Wirklichkeit nahe zu kommen) und historischen Quellen ist einfach sehr gut gelungen.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Mano. Der Junge, der nicht wusste, wo er war“ ist ein beeindruckendes Buch, das einfühlsam und authentisch das Schicksal eines Jungen, der die Konzentrationslager überlebt hat, erzählt. Das Buch ist an vielen Stellen erschreckend – wenn man liest, was deutsche SS-Soldaten Flüchtlingen angetan haben –, jedoch unterm Strich trotzdem nicht verstörend. Denn was Mano in Frankreich an Unterstützung und liebevoller Fürsorge von mehreren Menschen erfährt, lässt den Leser nicht verzweifeln. Das Buch beschönigt nichts, lässt aber trotzdem auch Raum dafür, dass es auch das Gute im Menschen gibt.

Mano ist eine Figur (in authentischen Bildern ist er am Anfang und Ende des Buches übrigens als Junge wie auch als älterer Mann zu sehen), die man auch lange nach dem Lesen des Buches nicht vergessen kann. Anschaulicher als mit diesem Buch kann man historische Fakten zum Zweiten Weltkrieg und über die Schicksale von Menschen, die die Konzentrationslager überlebt haben, jedenfalls nicht ergänzen. Danke, Anja Tuckermann, dass Sie uns mit diesem Buch beschenkt haben!

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(Ulf Cronenberg, 09.10.2008)

Lektüretipp für Lehrer!

„Mano“ ist ein Buch, das sich für die 9. und 10. Klasse vor allem anbietet, wenn man fächerübergreifend das Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust behandelt. Das Buch macht die historischen Fakten, die man in Geschichtsbüchern findet, durch die Beschreibung eines einzelnen persönlichen Schicksals erfahrbar.
Den Schülern wird dabei einiges abverlangt: Zum einen in Bezug auf die Grausamkeiten, die in Anja Tuckermanns Buch geschildert werden und einfühlsam besprochen werden sollten, zum anderen aber auch bezüglich des literarischen Anspruches. „Mano“ ist sicher kein Buch, zu dem alle 14- bis 16-Jährigen einen einfachen Zugang haben werden – aber es lohnt sich, dieses Buch mit ihnen zu lesen.

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