(Hanser-Verlag 2008, 275 Seiten)
„Eine wie Alaska“ hieß John Greens geniales erstes Jugendbuch, das es gleich auf die Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008 geschafft hat. (Ob es sich am Ende gegen die harte Konkurrenz wie Anthony McCartens „Superhero“ durchsetzt, werden wir am 17. Oktober 2008 bei der Verleihung des Preises erfahren.) Ein so tolles Erstlingswerk treibt natürlich die Erwartungen an das Nachfolgebuch hoch – und so war ich sehr gespannt, wie sich John Greens „Die erste Liebe [nach 19 vergeblichen Versuchen]“ schlägt.
Inhalt:
Colin ist ein so genanntes Wunderkind – seine Eltern und er wissen davon, seit er als Zweijähriger aus der Zeitung, die sein Vater in der Hand hielt, völlig unerwartet eine Überschrift vorgelesen hat. Colins Wissendurst ist kaum zu stillen – und auch als Jugendlicher nimmt er sich vor, täglich 400 Seiten in Büchern zu lesen. Mit Gleichaltrigen hat Colin dagegen seine Probleme: Immer wieder wurde und wird er von Mitschülern gehänselt und ausgegrenzt. Doch inzwischen hat er wenigstens einen guten Freund gefunden: Hassan, der arabischer Abstammung ist.
Was seine Beziehungen zu Mädchen angeht, so hat es Colin nicht leicht. 19 Beziehungsversuche hat er hinter sich – und zwar alle mit Mädchen die Katherine hießen. Und jedes Mal ist er von den Mädchen sitzen gelassen worden – so auch kürzlich von Katherine XIX. Dieser Beziehung trauert er gerade nach, und um Colin aufzuheitern (dieser hat gerade seinen Schulabschluss gemacht), schlägt Hassan vor, dass sie sich beide mit Colins Auto auf und davon machen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Und so landen sie schließlich in Gutshot, einem kleinen Kaff in Tennessee, und besuchen eine Führung beim Grab von Erzherzog Franz Ferdinand, dessen Ermordung den ersten Weltkrieg ausgelöst hat. Wie der Leichnam der österreichisch-ungarischen Thronfolgers, der in Sarajevo ermordet wurde, ausgerechnet nach Gutshot gekommen sein soll, ist Colin ein Rätsel. Hassan und er erhoffen sich jedoch, das bei der Führung zu erfahren, die ein junges Mädchen namens Lindsey durchführt.
Die Führung hat jedoch gänzlich unerwartete Folgen: Denn Hassan und Colin beschließen, in Gutshot zu bleiben und für Lindseys Mutter, die ihnen ein Angebot macht, zu arbeiten. Und so kommen die beiden ganz unverhofft aus ihrer sonstigen Umgebung heraus. Endlich tut sich wieder etwas im Leben der beiden, und alles kommt ganz anders als gedacht …
Bewertung:
John Green macht es einem nicht gerade leicht, in dieses Buch hineinzufinden. Die ersten drei bis vier Kapitel, in denen man in die Grundlagen für die Geschichte (Colin als Wunderkind, das Schlussmachen von Katherine sowie das Losziehen von Hassan und Colin) eingeführt wird, sind seltsam distanziert geschrieben. Ja, das Buch nervt am Anfang einfach ein wenig mit seinen vielen schlauen Kommentaren und Fußnoten. Man mag auf einer anderen Ebene finden, dass damit gut die wundersame Welt eines Hochbegabten, der isoliert ist, beschrieben wird – aber für den Leser ist das schon sehr anstrengend zu lesen.
Erst als Lindsey auftaucht, verändert das Buch seine Richtung – und nach und nach kommen die Stärken zurück, die man von John Green aus „Eine wie Alaska“ kennt: Endlich hat man das Gefühl, die Figuren kommen miteinander in Kontakt, setzen sich auseinander, ringen darum, wie es in ihrem Leben weitergehen soll, und stellen wichtige Fragen. Mag man das Buch-Cover zur Anschauung nehmen, so könnte man sagen: Endlich lassen Colin und Hassan ein wenig die Füße aus dem Autofenster baumeln, anstatt ständig verkrampft den Fuß auf dem Gaspedal zu halten. Und obwohl der Fuß vom Gaspedal ist, gewinnt das Buch endlich an Fahrt.
Das liegt auch daran, weil John Green für seinen Jugendroman wieder interessante Figuren ausgewählt hat: Colin als hochbegabtes Wunderkind, das manchmal in seiner eigenen Welt lebt; Hassan, der eine seltsame Mischung aus muslimischem Glauben und Coolness darstellt; und schließlich Lindsey, ein Mädchen, das von allen geliebt wird, sich aber selbst nicht richtig kennt und sich immer wie ein Chamäleon an ihr Gegenüber anpasst. Die Mischung aus diesen Personen, und was sie miteinander erleben, machen das Besondere dieses Buches aus.
Trotzdem: Die Schwächen im ersten Teil des Buches sind nicht zu übersehen. Natürlich kann man, wenn man das Buch zu Ende gelesen hat, das alles rationalisieren: Dass John Green auf sehr eindrückliche Weise die Veränderungen Colins von einem schrulligen Besserwisser hin zu einem normalen Jugendlichen, der Beziehungen aufbauen kann, auch im Schreibstil seines Buch abbildet. Aber dennoch: „Die erste Liebe“ ist zu Beginn ein etwas nerviges Buch – und man hat eine Durststrecke vor sich, will man zu dem, was das Buch ausmacht, durchdringen.
Fazit:
4 von 5 Punkten. John Greens zweites Jugendbuch ist – bis auf die ersten Kapitel – kein schlechtes Buch. Das kann man nicht sagen. Im Gegenteil: Je weiter man kommt, umso mehr wird man in die Geschichte um Colin, Hassan und Lindsey hineingezogen und kommt dann auf seine Kosten. Aber gemessen an „Eine wie Alaska“ ist „Die erste Liebe“ an einigen Stellen doch langatmig und anstrengend zu lesen. Hierzu gehören auch die Teile des Buches, in denen Colin eine mathematische Formel für den Verlauf einer Beziehung erstellt und die sich durch das gesamte Buch ziehen. Menschen, die mit der Mathematik auf Kriegsfuß stehen (zu denen ich nicht gehöre), werden diese Buchteile als Zumutung empfinden. Da hilft auch das interessante Nachwort über die Mathematik, das ein Freund von John Green geschrieben hat, nicht wirklich.
Schade. „Die erste Liebe“ spielt nicht gekonnt genug die Stärken aus, die in dem Buch vorhanden sind, sondern verzettelt sich etwas. Dennoch war ich am Ende froh, dass ich durchgehalten hatte, denn die zweite Hälfte von John Greens Buch hat mir doch noch richtig gut gefallen.
(Ulf Cronenberg, 03.09.2008)
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