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Buchbesprechung: Ralf Isau "Minik – An den Quellen der Nacht"

Cover IsauLesealter 13+(Thienemann-Verlag 2008, 527 Seiten plus Nachwort)

Von Ralf Isau habe ich bisher kein Buch gelesen – irgendwie hat mich bisher keines seiner fantastischen Bücher gereizt, und das, obwohl ich einige Kinder und Jugendliche kenne, die einen dicken Schmöker nach dem anderen von ihm verschlingen. Mit „Minik“ hat der Autor jedoch an etwas ganz anderem als sonst geschrieben: an der Lebensgeschichte eines Eskimo-Jungen, der wirklich gelebt hat. Minik (es gibt sogar einen Wikipedia-Artikel über ihn), wurde als siebenjähriger Junge mit einem amerikanischen Forschungsschiff aus Grönland nach Amerika gebracht und lebte von da an hin- und hergerissen zwischen zwei ganz unterschiedlichen Welten.

Über Minik Wallace, wie er schließlich, nachdem der Eskimo-Junge von Amerikanern adoptiert wurde, vollständig genannt wurde, gibt es inzwischen auch wissenschaftliche Abhandlungen – und diese bildeten auch die Grundlage für Ralf Isaus Buch, wenngleich manches im Leben des Jungen nicht mehr vollständig zu rekonstruieren ist.

Inhalt:

Das Buch beginnt damit, dass der amerikanische Entdecker Robert E. Peary (auch über ihn gibt es einen Wikipedia-Artikel) nach Grönland ins Dorf Miniks kommt, um von dort aus Expeditionen in Richtung Nordpol zu unternehmen. Peary will der erste Mensch sein, der den Nordpol errreicht (ob ihm dies gelungen ist, wie er selbst für sich proklamierte, ist übrigens bis heute nicht klar). Mit den Eskimos treibt Peary Handel, besonders interessiert ist er dabei an den Metallen von Meteoriten, die in Grönland zu finden sind.

Peary beschließt, Minik, dessen Vater Qisuk sowie vier weitere Eskimos mit nach New York zu nehmen. Für Minik beginnt ein neues Leben, das jedoch alles andere als einfach ist. Die Eskimos werden in New York fast wie wilde Tiere vorgeführt, viel schlimmer ist jedoch, dass einer nach dem anderen in New York stirbt – auch Miniks Vater Qisuk. Die neue Umgebung tut den Eskimos nicht gut, sie sind krankheitsanfällig und überleben die Erkrankung an Lungenentzündung oder Tuberkulose nicht. Auch Minik erkrankt mehrmals, wird jedoch immer wieder gesund.

Als Minik alleine in New York zurückbleibt, bekommt er Pflegeeltern – doch ansonsten läuft fast alles schief. Er fühlt sich in der amerikanischen Metropole entwurzelt, wird hin- und hergeschubst, lernt zwar schnell Englisch, fasst allerdings nie richtig Fuß. Das New Yorker Naturkundemuseum, das für die Eskimos zuständig ist, weigert sich auch, für den Unterhalt von Minik aufzukommen. Minik kämpft lange – unterstützt von einigen Freunden – darum, jedoch erfolglos. Und so ist es schließlich Miniks Wunsch, wieder in seine Heimat zurückzukehren – doch auch das ist schwer zu bewerkstelligen. Als es ihm schließlich doch gelingt, merkt er jedoch, wie wenig er noch an das Leben als Eskimo gewöhnt ist und fühlt sich nach wie vor heimatlos…

Bewertung:

In seinem Nachwort erläutert Ralf Isau sehr genau, was in dem Buch der Faktenlage entspricht, wo der Autor jedoch seiner künstlerischen Freiheit Lauf gelassen hat. Angesichts der eher spärlichen gesicherten Erkenntnisse über den Eskimo-Jungen ist es auch nicht ganz einfach, einen historisch gesicherten Roman zu schreiben. Mir gefällt es jedenfalls gut, wie am Ende im Nachwort genau beschreiben wird, was Fiktion und was geschichtliche Wahrheit ist.

Eine Stärke des Buches ist es, dass sehr genau die Zerrissenheit von Minik dargestellt ist: Er, der weder in Amerika noch später wieder in Grönland zu Hause ist und sich nach so etwas wie einer Heimat sehnt. Wie in früheren Zeiten teilweise recht unbedarft mit Menschen anderer Völker umgegangen wurde, kommt in dem Buch ebenfalls sehr gut heraus.

Das Buch beginnt zunächst mit zwei verschiedenen Erzählsträngen, die abwechselnd in Kapiteln erzählt werden: Der eine Erzählstrang berichtet davon, wie Robert E. Peary Miniks Dorf aufsucht, während der andere Erzählstrang knapp 10 Jahre später einsetzt, als Minik vaterlos in New York bei einer Pflegefamilie lebt. Kurz vor der Mitte des Buches endet der erste Erzählstrang, und fortan wird der Rest von Miniks Leben chronologisch beschrieben. Die Idee, die Geschichte so anzulegen, ist gut, weil sie das Buch auflockert.

Was die Besonderheit von „Minik“ ausmacht ist neben der Geschichte die Erzählweise. Das Buch wirkt nicht überfrachtet oder affektiert, sondern erzählt einfühlsam und sprachlich gewandt das Leben des Eskimo-Jungen. Sehr gut kann man sich dabei in das Leben des Jungen einfühlen – und erfährt ganz nebenbei auch noch so einiges über das Leben der Eskimos in der Polarregion sowie über die Kehrseite von naturkundlichen Forschungsreisen wie der von Robert E. Peary.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Minik – An den Quellen der Nacht“ ist ein gelungenes Buch, das einen schon nach einigen Seiten nicht mehr loslässt. Der meist sympathische Eskimo-Junge, der so viel mitmachen musste, dabei jedoch durchaus auch – allerdings ist diese Reaktion auf die Umstände mehr als verständlich – ein wenig pathetisch und öffentlichkeitsheischend geschildert wird, ist jedenfalls eine spannende Figur für ein interessantes Buch. Die Mischung aus geschichtlichem Hintergrund und dichterischer Freiheit hat Ralf Isau jedenfalls gekonnt genutzt, um eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen.

Miniks Lebensgeschichte vergisst man jedenfalls nicht so schnell, und was man am Ende nebenbei auch noch an neuem Wissen vermittelt bekommen hat, ist beeindruckend.

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(Ulf Cronenberg, 19.08.2008)


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