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Buchbesprechung: Faïza Guène "Träume für Verrückte"

Cover GuèneLesealter 14+(Carlsen-Verlag 2008, 175 Seiten)

„Ich vermute, dass man über den Daumen gepeilt mindestens die Hälfte seiner geistigen Fähigkeiten einbüßt, vielleicht sogar mehr.“ Wovon ist wohl die Rede? Vom Verliebtsein… Und diese Zeilen findet man auf Seite 65 von „Träume für Verrückte“ – Faïza Guènes zweitem auf Deutsch erschienenen Buch.

Faïza Guène hatte mit ihrem Erstlingswerk „Paradiesische Aussichten“ schon großen Erfolg. Das Buch schaffte es sogar auf die Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2007. Die französische Autorin stammt selbst von algerischen Eltern ab – und um die Probleme von Immigrantenkindern und -familien geht es auch in ihrem neuen Buch.

Inhalt:

Ahlème ist eine junge Erwachsene, die mit ihrem Vater und ihrem 15-jährigen Bruder Foued in einem Pariser Vorort, wo vor allem Immigranten leben, wohnt. Ihr Vater ist vor vielen Jahren aus Algerien nach Paris gegangen, um dort Arbeit zu finden, aber auch um die schlimmen Ereignisse in seinem Dorf, bei denen auch seine Frau getötet wurde (mehr sei hier nicht verraten), hinter sich zu lassen.
Ahlème hat bereits die Schule verlassen und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben, während ihr Bruder noch zur Schule geht, dort jedoch immer nur negativ auffällt. Er tut nichts für die Schule und eckt ständig bei den Lehrern an. Ahlème, die sich wie eine Ersatzmutter für Foued verantwortlich fühlt, ist schockiert, als sie mitbekommt, dass Foued nicht nur der Verweis von der Schule droht, sondern dass er in seiner Freizeit auch noch nicht ganz legalen Dingen nachgeht.

Mit ihrem Vater hat es Ahlème auch nicht leicht, denn dieser hatte einen schweren Betriebsunfall auf einer Baustelle und ist seitdem in Frührente. Der „Chef“, wie ihn seine Kinder nennen, ist seitdem nicht mehr der alte. Er sitzt fast den ganzen Tag nur vor dem Fernseher, und irgendwie kriegt er nichts mehr so richtig auf die Reihe. Seine Denk- und Erinnerungsfähigkeit hat durch den Unfall gelitten.

Angesichts all dieser schwierigen Dinge, die Ahlème einerseits als Ausländerin, die sich einmal im Vierteljahr eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis holen muss, andererseits wegen ihrer Familie erleben muss, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich wenigstens durch ihre Träume zu retten. Doch sie weiß zugleich, dass diese Träume nur etwas für Verrückte sind und sieht sie zugleich mit innerer Distanz…

Bewertung:

In „Träume für Verrückte“ steht das Leben von Ausländern in Frankreich im Vordergrund – und sehr genau schildert Faïza Guène wie man sich dort fühlt: Nicht so richtig heimisch, sondern eher als Fremdkörper in einem Land, wo ständig die Abschiebung droht und einem viele Menschen mit Vorbehalten begegnen. Zugleich verliert man aber auch die Beziehung zu seinem Herkunftsland – denn Algerien hat Ahlème seit über 10 Jahren nicht mehr gesehen.

„Träume für Verrückte“ hat mir auf den ersten Seiten sehr gut gefallen, und ich habe ständig versucht, wieder ein Kapitel weiterzulesen, obwohl ich eigentlich keine Zeit dafür hatte. Es war die Sprache in dem Buch, die mich fasziniert hat, weil sie so eindrücklich die Stimmungen und Gefühle von Ahlème rüberbringt: dieses Gefühl des Lebens-als-ob und des Trotzdems.

Meine Begeisterung hat sich relativ lange gehalten – doch dann gab es kurz nach der Hälfte des Buches einen Knick. Zu lange schilderte die Autorin nur das Innenleben von Ahlème, während äußerlich zu wenig passiert und die Geschichte etwas auf der Strecke bleibt. Auf den letzten 30 bis 40 Seiten hat sich das immerhin wieder geändert, und die inzwischen lang ersehnte Handlung hat ihren Weg zurück ins Buch gefunden.

Fazit:

4 von 5 Punkten. Faïza Guène ist eine Schriftstellerin, die sehr gut beobachtet und Inneres wie Äußeres sehr gekonnt zu beschreiben weiß. Der Schreibstil des Buches hat mich jedenfalls gefangen genommen. Schade, dass die Dramaturgie des Buches damit nicht ganz Schritt hält – es fehlt auf der Handlungsebene das i-Tüpfelchen, das „Träume für Verrückte“ zu einem wirklich rundum gelungen Buch gemacht hätte.

Faïza Guènes Buch ist insgesamt kein reißerisches Buch, sondern ein Roman für Jugendliche, der auf leisen Sohlen daher kommt und eher Mädchen als Jungen interessieren dürfte. Trotz der Kritikpunkte: Ich habe jedenfalls den Namen einer neuen Autorin kennen gelernt, deren weiteren Weg ich verfolgen werde.

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(Ulf Cronenberg, 22.06.2008)

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