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Buchbesprechung: Markus Zusak “Die Bücherdiebin”

Cover ZusakLesealter 14+(cbj-Verlag 2008, 586 Seiten)

Über dieses Buch bin ich nicht über die Verlagsvorschauen gestolpert (komisch, dass es mir da nicht aufgefallen war), sondern es war ein glücklicher Zufall, dass ich auf „Die Bücherdiebin“ aufmerksam wurde. In einem Mailwechsel mit Holly-Jane Rahlens (die im September übrigens ihr neues Buch „Mein kleines großes Leben“ vorstellen wird) hat die Autorin geschrieben, dass sie gerade Markus Zusaks Buch liest. Und da Holly-Jane Rahlens von dem Buch recht angetan schien, habe ich mich gleich informiert und das Buch bestellt.

„Die Bücherdiebin“ ist übrigens ein Buch, das in zwei Ausgaben vorliegt: für Erwachsene bei Blanvalet (mit anderem Cover), aber auch als Jugendbuch bei cbj. Doch jetzt Vorhang auf für das Werk des jungen australischen Autors mit deutsch-österreichischen Eltern…

Inhalt:

Deutschland kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Die 9-jährige Liesel wird von ihrer Mutter zu ihren neuen Pflegeeltern in Molching bei München gebracht. Auf der Zugfahrt stirbt ihr Bruder, der eigentlich auch bei den Pflegeeltern unterkommen sollte – und auf der Beerdigung stiehlt Liesel das erste Mal ein Buch (obwohl sie noch gar nicht lesen kann), das auf dem Friedhof herumliegt: das „Handbuch für Totengräber“.

Liesel will überhaupt nicht zu ihren neuen Pflegeeltern, die Rosa und Hans Hubermann heißen – und so klammert sie sich, als sie dort abgegeben wird, an der Eingangspforte vor dem Haus fest. Dabei macht sie gleich mit dem derben Ton ihrer neuen Pflegemutter Bekanntschaft, die die Nachbarn, die zusehen, mit den Wort anblafft: „Was glotzt ihr denn so, ihr Arschlöcher?“

Doch nach und nach erfährt Liesel, dass ihre Pflegeeltern eigentlich rechtschaffene und gute Menschen sind, obwohl vor allem Rosa mit den vielen Schimpfwörtern, die sie benutzt, es einem nicht leicht macht, das zu erkennen. Hans Hubermann kümmert sich dagegen von Anfang an sehr rührend um Liesel: Er ist jedes Mal bei ihr, wenn sie nachts Albträume plagen, und er ist es auch, der Liesel schließlich das Lesen beibringt.

Dann tritt eines Tages eine neue Person in das Leben von Liesel: Max, ein Jude auf der Flucht vor den Nazis, den Hans und Rosa in ihrem Keller verstecken. Liesel freundet sich mit Max an und verbringt viel Zeit mit ihm – doch die Bedrohung, dass Max entdeckt wird, wird immer größer. Vor Liesel, ihren Pflegeeltern und Max liegen schlimme Zeiten: die ersten Bombardements durch die Alliierten, die Schikanen durch Nazis, schließlich die Einberufung von Hans Hubermann in den Krieg… – und immer wieder sind es Bücher, die Liesel die Hoffnung nicht verlieren lassen – Bücher, für die sie zur Diebin wird.

Bewertung:

Markus Zusaks Buch ist ein dicker Schmöker, der sich in seiner Tiefe gar nicht in ein paar Absätzen zusammenfassen lässt – bei fast 600 Seiten kein Wunder. Die Grundidee des Buches, den Tod als Erzähler auftreten zu lassen, ist schon mal eine geniale Idee, die das Buch auszeichnet. Dass der Tod als Chronist dabei zwischendrin ein bisschen aus den Augen verloren wird und das Buch stellenweise fast wie ein normaler Roman erzählt wird, ist ein bisschen schade – ändert sich auf den letzten 100 bis 200 Seiten glücklicherweise jedoch wieder.

Der besondere Ton, der diesem Buch zugrundeliegt, hat vielerlei Quellen. Zum einen schreibt Markus Zusak sehr sprachgewandt und bildreich – vieler der Adjektive und Bilder, die der Autor verwendet, sind eher ungewöhnlich. An manchen Stellen trägt der Schriftsteller dabei schon fast etwas dick auf… Doch mindestens ebenso gekonnt inszeniert sind zum anderen die Figuren des Buches. Liesel ist eine kleine große Heldin, mit der man als Leser ständig mitfiebert, die einen nicht loslässt. Was hat das junge Mädchen in den Kriegsjahren doch alles zu erleiden… – und trotzdem hält sie den Kopf aufrecht und schlägt sich durch. Das gilt ebenso für viele andere Personen, die in dem Buch vorkommen: Hans Hubermann, Liesels Pflegevater, ist vordergründig keine bewundernswerte Person – aber er strahlt eine sanfte Liebe aus, der man sich nicht entziehen kann. Wie er Max, dem verfolgten Juden, hilft, Liesel durch ihre Albträume begleitet, einem Juden in der Öffentlichkeit (eine Begebenheit mit schlimmen Folgen) ein Stück Brot zukommen lässt… – das alles lässt auch Hans als unerwarteten Helden erscheinen. Und selbst Rosa Hubermann, die andere meist nur wüst mit den unbändigsten Ausdrücken beschimpft, entpuppt sich schließlich als Mensch mit einem großen Herz.

„Die Bücherdiebin“ lässt den Leser einen etwas anderen Blick auf das Dritte Reich und seine schlimmen Folgen werfen. Es geht um das Leiden der armen Menschen, die mit der Unterdrückung und der Hetze der Nazis nicht einverstanden sind, sich aber nicht im Großen, sondern nur im Kleinen dagegen stemmen können.

Am Ende übrigens legt man das Buch aus der Hand und findet, dass der Tod, der Liesels Geschichte so einfühlsam erzählt, eigentlich fast einen sympathischer „Genosse“ ist…

Fazit:

5 von 5 Punkten. Auch wenn bereits von kleineren Schwächen in dem Buch die Sprache war (z.B. die manchmal etwas zu schwulstige Sprache – Markus Zusak lässt den Tod als rührseliges und sentimetales „Wesen“ auftreten) – die Kritikpunkte ändern nichts daran, dass Markus Zusak mit „Die Bücherdiebin“ ein geniales Buch über Furcht und Elend des Dritten Reiches geschrieben hat: Wortgewandt und meisterhaft in Szene gesetzt erfährt man einiges, was in den Geschichtsbücher so nicht steht. Man kann sich dem tragischen Schicksal der Figuren einfach nicht entziehen, leidet mit ihnen und legt am Ende das Buch etwas schockiert und zugleich bereichert aus der Hand.
Dass „Die Bücherdiebin“ in Deutschland wie in den USA (auch) als Buch für Erwachsene herausgegeben wurde, hat seinen Grund. Auch wenn die Hauptperson ein junges Mädchen ist, dessen Leben man im Alter zwischen 9 und 15 Jahren folgt, so fordert die Geschichte seine Leser und ist deswegen sicher nichts für Kinder und jüngere Jugendliche. (ab 14 Jahren – für anspruchsvolle Leserinnen und Leser)

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(Ulf Cronenberg, 15.06.2008)


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Kommentare (0)

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  2. Stella

    Ich lese zwar jeden tag in Büchern, aber nur wenige berühren mich tief. Dieses Buch brachte mich am Ende sogar hemmungslos zum Weinen. Man leidet förmlich mit Liesel mit. Gleichzeitig wird aber auch ein Stück Alltag in einer Diktatur dargestellt, manchmal auch lustig.

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  3. Mimi

    Also ich bin von diesem Buch restlos begeistert, und ich finde das erste Mal etwas in Ihren Rezensionen, wo ich Ihnen widersprechen will (sonst bin ich immer mit Ihnen einer Meinung und finde ihre Seite wirklich gut … =)). Der Tod ist in dem Buch doch kein rührseliges Wesen! Ich finde, er ist eher distanziert und an manchen Stellen fast schon unangenehm unberührt. „Und dann begann das Jahr 1942. Vergessen sie die Sense, ich hätte einen Wischmopp gebraucht.“ Und selbst wenn der Tod sagt, er habe Gefühle, beschreibt er diese noch immer eher unbeteiligt. „Ich hatte tatsächlich Mitleid mit ihnen, aber nicht so sehr, wie mit den tausenden Seelen, die ich zu dieser Zeit aus den Konzentrationslagern holte.“ Auch finde ich die Sprache überhaupt nicht dick aufgetragen. Ich finde sie etwas Besonderes, alles wird quasi vermenschlicht, Gefühle, Dinge usw. Und Markus Zusak erfindet Wörter, die es so noch nicht gab und die dadurch ihren ganz eigenen Reiz haben. In dieser Sprache liegt der besondere Reiz des Buches.
    Für mich ist das Buch ein Meisterwerk, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht, obwohl ich es schon einige Zeit durch habe. Nun aber genug der Kritik. Weiter so, Herr Cronenberg!

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    1. Ulf Cronenberg

      Und ich finde es toll, dass du dich so genau mit dem Buch und mit meiner Buchbesprechung auseinander gesetzt hast. Ob du recht hast, kann ich im Nachhinein jetzt nicht mehr sagen – dafür ist es zu lange her, dass ich das Buch gelesen habe.

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