(Carlsen-Verlag 2008, 333 Seiten)
Åke Edwardson schreibt eigentlich Krimis für Erwachsene – aber wie einige seiner schwedischen Kollegen (darunter Håkan Nesser und Henning Mankell) hat er sich vor ein paar Jahren auch dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern zugewandt. „Drachenmonat“ setzt die Geschichte von „Samuraisommer“ fort, die mir damals sehr gut gefallen hat und die auch auf der Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2007 stand. Im Nachfolgeband wird erzählt, wie die Geschichte um Kenny und Kerstin nach dem Brand im Jugendcamp weitergeht.
Inhalt:
Der Brand im verhassten Jugendcamp ist noch nicht allzu lange her, und Kenny – der eigentlich Tommy heißt, sich aber in Anlehnung an das japanische Wort „Ken“ für Schwert einen neuen Namen gegeben hat – sowie Kerstin sind wieder zu Hause bei ihren Müttern. Beide leben in schwierigen Familienverhältnissen: Kennys Vater ist gestorben, während Kerstins Vater eines Tage einfach abgehaut ist. Kerstins Mutter trinkt seitdem viel zu viel und kümmert sich kaum um ihre Tochter. Und auch Kenny hat nichts zu lachen, denn seine Mutter ist depressiv, liegt fast den ganzen nur im Bett und erledigt so gut wie gar nichts.
Als Kennys Mutter in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wird, spitzt sich die Situation zu. Der Junge befürchtet, dass er vom Jugendamt in eine Pflegefamilie oder in ein Kinderheim gesteckt wird, was er unbedingt vermeiden will – allein schon, um Kerstin nicht aus den Augen zu verlieren. Und auch Kerstin droht eine Pflegefamilie, weil ihre alkoholkranke Mutter ihren Pflichten kaum noch nachkommt. Kerstins Bruder wohnt inzwischen schon bei seiner Großmutter, wo das Mädchen aber nicht hin will. Und so beschließen Kenny und Kerstin, Hals über Kopf abzuhauen, um dem Jugendamt zu entgehen.
So gut wie ohne Geld machen sie sich in der Nacht auf und versuchen die Stadt, in der sie wohnen, hinter sich zu lassen. Doch eine Reihe von Problemen warten auf sie. Zum einen werden die Nächte im Herbst immer kälter – draußen zu übernachten ist fast nicht mehr möglich. Zum anderen bekommen sie mit, dass über das Radio eine Fahndung nach ihnen ausgegeben wurde. Für Kerstin und Kenny wird es immer schwieriger, weiterzukommen, da sie überall entdeckt werden könnten… Mehrmals gelingt es ihnen nur mit Mühe, nicht gestellt zu werden. Ein paar Menschen helfen ihnen gottseidank dabei…
Bewertung:
Auch in „Drachenmonat“ trifft Åke Edwardson wieder diesen typischen Ton schwedischer Jugendbücher, in dem die Stimmungen und Gefühle von Personen so eindrucksvoll beschrieben werden. Schon nach kurzer Zeit hatte mich das Buch gefangen genommen – es ist die Art, wie Åke Edwardson Situationen beschreibt, die ich so toll finde: „Er hielt die Tür fest, die langsam zuglitt. Das musste daher kommen, dass sich die ganze Schule neigte.“ (S. 41) So wird beschrieben, wie Kenny die Situation erlebt, als er vom Direktor seiner Schule zu einem Gespräch vorgeladen wird. Oder wenn Kenny seine Lebensverhältnisse zu Hause in folgende Worten zu fassen versucht: „Die Wohnung, in der wir lebten, schien sich langsam in ein Gefängnis verwandelt zu haben. Die Schlüsser hingen nicht an den Türen, sie waren in unseren Köpfen festgeschraubt.“ (S. 53) Solche Perlen finden sich immer wieder in dem Buch – leider hat Åke Edwardson im Laufe des Buches darin ein bisschen nachgelassen.
Beeindruckend sind auch die vielen Personen beschrieben, denen Kenny und Kerstin auf ihrer Flucht begegnen. Sie alle scheinen irgendein Geheimnis vor den Kindern zu haben, das sie ihnen (und damit auch dem Leser) nicht preisgeben. Sei es Krister, ein junger Mann, der angeblich Lexika verkauft und die beiden in seinem „amerikanischen Schlitten“ mitnimmt, oder Mister Swing, ein Schwertschlucker und Feuerspucker auf einem Jahrmarkt, der den beiden zu helfen versucht. Bei aller Gefahr, entdeckt zu werden, scheint es eben doch noch Erwachsene zu geben, die den beiden vor ihrem Leben Flüchtenden zur Seite stehen.
Wie die Geschichte am Ende ausgeht, sei natürlich nicht verraten – aber zumindest wartet ein schlüssiges Ende auf den Leser.
Fazit:
4-einhalb von 5 Punkten. „Drachenmonat“ setzt die Geschichte aus „Samuraisommer“ nahtlos fort und hat letztendlich die gleichen Stärken. Das Buch ist psychologisch raffiniert erzählt, es lässt den Leser in das Innere vieler Personen blicken, ohne dass man das Gefühl hat, sie vollständig ergründet zu haben. Nein, es bleibt immer ein Rest an Geheimnis übrig – und das ist auch gut so, denn diese Leerstellen geben dem Buch seine besondere Atmosphäre. Während „Samuraisommer“ im Vergleich zu „Drachenmonat“ erst langsam in Fahrt kam, ging es mir bei Åke Edwardsons neuem Buch so, dass es mich von Anfang an gepackt hat, aber irgendwann in der Mitte ein klein wenig seiner Raffinesse verloren hatte. Deswegen hat es bei „Drachenmonat“ auch nicht ganz für die Höchstpunktzahl gereicht…
Nichtsdestotrotz ist „Drachenmonat“ ein tolles Buch, das es sich lohnt zu lesen. Kerstin und Kenny wachsen einem ans Herz – und ich würde mir wünschen, dass wir noch ein oder mehrere weitere Abenteuer aus ihrem Leben erzählt bekommen.
(Ulf Cronenberg, 02.06.2008)
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