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Buchbesprechung: Joyce Carol Oates “Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon”

Cover OatesLesealter 13+(Hanser-Verlag 2008, 268 Seiten)

Das ist eindeutig der bisher längste Titel eines Buches, das ich bei Jugendbuchtipps.de besprochen habe. Noch nie bin ich für Autor und Buchtitel über zwei Zeilen hinausgekommen…
Aber das ist natürlich unwichtig, einen ungewöhnlichen Titel hat sich das Joyce Carol Oates allerdings schon einfallen lassen. Er klingt sehr poetisch.
Bisher habe ich drei Bücher der amerikanischen Autorin gelesen – und zwei davon haben mir sehr gut gefallen. Joyce Carol Oates hat viele Jahrzehnte lang eigentlich nur Bücher für Erwachsene geschrieben – und wie man in der Wikipedia nachlesen kann, sind das sehr viele. Doch seit ein paar Jahren hat die fast 70-jährige Autorin anscheinend Gefallen an Büchern für Jugendliche gefunden. Gut für uns!

Inhalt:

Jenna fährt mit ihrer Mutter über die fünf Kilometer lange Tappan-Zee-Brücke, die Sonne blendet die beiden, und als das Mädchen einen Vogel direkt auf das Auto zukommen sieht, greift sie ins Steuer. Was dann genau passiert, daran kann sich Jenna nicht mehr erinnern, doch später erfährt sie, dass ihr Auto von einem Lastwagen gerammt und am Brückengeländer eingekeilt wurde. Kurz vor dem Absturz.
Jennas Mutter und auch der Lastwagenfahren haben den Unfall nicht überlebt – das bekommt Jenna, die mit einem Schädelbruch und vielen anderen Verletzungen knapp überlebt hat, im Krankenhaus später erzählt. Lange Zeit wird sie auf der Intensivstation mit Opiumderivaten zur Schmerzstillung beruhigt – und in dem Rausch dieser Medikamente erlebt sie immer wieder einen schönen Traum, in dem sie Vögel sieht und selbst ihre Flügel aufspannt, um wegzufliegen. (Daher also der Buchtitel…)
Jennas Vater, der die Familie vor einigen Jahren verlassen hat, möchte das Mädchen nach dem Krankenhausaufenthalt zu sich nehmen. Doch Jenna wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, was ihr schließlich gelingt. Und so kommt sie bei der Familie ihrer Tante Caroline (der Schwester ihrer Mutter) unter, muss dafür jedoch umziehen und die Schule wechseln.
Doch dort läuft es nicht gut – häufig hat Jenna starke Schmerzen und betäubt sich mit Schmerzmitteln, zunächst auf Rezept, dann aber auch mit Tabletten, die sie klaut oder sich illegal besorgt. Ihr ganzes Leben gerät außer Fugen. Sie ist unwirsch zu den Mitgliedern ihrer neuen Familie, fügt sich in der Schule nicht ein und kommt schließlich mit einem berüchtigten Mädchen namens Trina in Kontakt. Lediglich der geheimnisvoll Crow kümmert sich um Jenna und versucht ihr zu helfen…

Bewertung:

Joyce Carol Oates wird von Jugendbuch zu Jugendbuch besser. Mit ihrem neuen Roman kommt sie in Regionen, wo man nur denken kann: Noch besser geht es kaum. Von „Unter Verdacht„, ihrem ersten Jugenbuch, war ich noch nicht so angetan. Doch mit „Mit offenen Augen“ und schließlich mit „Sexy“ hat die amerikanische Autorin bereits tolle Bücher abgeliefert. Und nun schließlich „Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon“…
Das Buch ist einfach packend von der ersten bis zur letzten Seite. Wie kann man nur so einfühlsam das Leben eines Mädchens nach einem schlimmen Unfall, für den sich Jenna verantwortlich fühlt, beschreiben? Das geht los mit den Schmerzmittelträumen von Jenna, die sehr realistisch wirken, mit der Wut auf ihren Vater, bis hin zu der Angst, als Jenna beim Laufen das erste Mal wieder eine Brücke betritt. Es ist fast unheimlich, wie genau Jennas Gedanken und Gefühle dargestellt und ausgelotet werden.
Aber auch die anderen Figuren in dem Buch sind einzigartig beschrieben: seien es Trina, Jennas neue Familie oder Crow, der rätselhafte Junge, der mit seiner Harley Davidson durch die Gegend fährt und von dem Jenna nicht weiß, was sie von ihm halten soll.
Natürlich geht es in dem Buch darum, wie Jenna es am Ende doch noch schafft, das Unglück einigermaßen zu verarbeiten. Dass hierfür nicht die Psychologin mit den zahlreichen Diplomen, die in ihrem Behandlungszimmer hängen, verantwortlich ist, sondern dass die Hilfe von jemand anderem kommt (aber das sei hier nicht verraten), ist ein besonderer Winkelzug in diesem Buch.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon“ ist eindeutig der erste große Höhepunkt unter den Neuerscheinungen dieses Frühjahrs. Ich habe das Buch in drei großen Schwüngen (zwei Bahnfahrten und den Rest dann zu Hause) durchgelesen und konnte es einfach nicht aus der Hand legen.
Joyce Carol Oates‘ Buch ist nicht einfach nur sehr gut geschrieben (ja, es hat große literarische Qualitäten), sondern es hat in mir einen Nerv getroffen. Immer wieder habe ich beim Lesen innegehalten, nachgedacht und nachgefühlt, was gerade passiert ist.
Wegen dieses Buches ziehe ich in Gedanken meinen Hut vor Joyce Carol Oates – und das tue ich nicht so oft… (ab 13 bis 14 Jahren)

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(Ulf Cronenberg, 17.03.2008)

Kommentare (0)

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  2. Katharina

    Heey.
    Ich lese derzeit das Buch auf Englisch und schreibe darüber eine Klausur (Klasse 11). Und es steht definitiv in diesem Buch, dass „Tante“ Caroline nicht die Schwester der Mutter ist! Sie ist nur eine Freundin der Mutter.

    Antworten

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