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Buchbesprechung: Alyssa Brugman "Zeig dein Gesicht"

Cover BrugmanLesealter 14+(Hanser-Verlag 2004, 189 Seiten)

„Freak“ ist im Deutschen ein eher liebevolles Wort für einen Spinner – entweder, weil jemand sich in einer Sache verliert (ein Computerfreak z.B.) oder weil jemand einfach etwas anders ist als die anderen. In Australien scheint das anders zu sein – da scheint ein Freak ein nicht gerade freundlich gemeintes Schimpfwort für jemanden zu sein, der aus Sicht anderer nicht normal ist und von ihnen verachtet wird. Warum diese Vorrede? Das wird verständlich, wenn ihr weiterlest…

Inhalt:

Megan, die den seltsamen Nachnamen Tuw hat, geht noch zur Schule, wird aber bald ihren Abschluss machen. Mit ihrer Freundin Chandice ist sie der Kopf einer Clique von Mädchen, die alle fest zusammenhalten und in die man nur schwer als neues Mitglied hineinkommt. Die Clique von Mädchen hält sich für etwas ganz Besonderes und übt auf ihre Mitglieder großen Druck aus, wenn sie von den Regeln abweichen.
Perdita dagegen ist das meist verachtete und gehasste Mädchen an der ganzen Schule, eine Außenseiterin, die keine Freundin hat, sich überhaupt nicht um ihr Aussehen kümmert und deswegen von Megans Clique nicht nur geschnitten, sondern auch immer wieder mit dem Schimpfwort „Freak“ beleidigt wird.
Als Megan eine ganze Woche lang am Nachmittag – das erste Mal in ihrer Schullaufbahn – nachsitzen muss, weil sie einer Lehrerin gegenüber aufsässig war, stellt sie entsetzt fest, dass Perdita, der Freak, mit ihr und einem Lehrer beim Nachsitzen allein im gleichen Raum sitzt. Für Megan ist ganz klar, dass sie mit Perdita kein Wort wechseln will, doch als am zweiten Nachmittag der Lehrer mit ihnen witzige Wortspielereien macht und Gedichte liest, kommt Megan doch mit Perdita in Kontakt.
Noch in der gleichen Woche winkt Perdita Megan während einer Pause zu sich – Megan weiß nicht so recht, was sie machen soll. Die anderen Schüler, vor allem aber die Mitglieder ihrer Clique dürfen nicht mitbekommen, dass sie mit Perdita spricht. Dennoch folgt sie Perdita – sogar, als diese Megan auffordert, mit ihr unerlaubterweise das Schulgelände zu verlassen und den Unterricht zu schwänzen – für die angepasste Megan eigentlich eine Zumutung.
Doch der Kontakt zu Perdita ist alles andere als leicht – nicht nur wegen Megans Clique, in der es in letzter Zeit auch wegen anderer Dinge Spannungen gibt. Perdita verhält sich oft sonderbar, kümmert sich nicht um die Meinung anderer, liest Erwachsenen-Gedichte – und ihre Familie scheint alles andere als einfach und glücklich zu sein.
Als Megans Clique von dem Kontakt zu Perdita etwas mitbekommt, spitzt sich alles zu…

Bewertung:

„Zeig dein Gesicht“ beginnt eher harmlos und heiter – zwischendrin musste ich beim Lesen immer wieder auch lachen (z.B. als bei dem Nachsitzen der Lehrer mit Perita und Megan komische Wortspiele macht). Doch je weiter man beim Lesen kommt, desto klarer wird, dass es in dem Buch vor allem um Gruppendruck und Mobbing geht – und da wird man relativ weit hinten ziemlich heftig als Leser erwischt. Ich saß auf einmal „lesetot gemacht“ im Abteil eines ICEs, als ich an diese Stelle gekommen war, legte das Buch zur Seite und war erst mal etwas geschockt. Letztendlich – und das muss man Alyssa Brugman zugute halten – ist das dem Thema jedoch angemessen; denn man wird dadurch gezwungen, innezuhalten, sich Gedanken zu machen, nachzudenken… Mobbing ist eine heftige Sache und das verträgt sich nicht mit einem leicht verdaulichen Buch.
Besonders gut gelungen ist Alyssa Brugman, der jungen australischen Autorin, auch die Schilderung der inneren Konflikte von Megan, die zwischen so vielen Stühlen steht: dem Gruppendruck ihrer Clique, der Meinung ihrer Eltern sowie der verhaltenen Sympathien für Perdita einerseits, der gleichzeitigen Ablehnung dieses rätselhaften Mädchens andererseits.

Fazit:

5 von 5 Punkten. „Zeig dein Gesicht“ ist keine leichte Lesekost, auch wenn es auf den ersten Seiten anders scheint. Doch es ist ein brillantes Buch über Mobbing und Gruppendruck, das diesen Themen mehr als gerecht wird: kurz, präzise, psychologisch fundiert und letztendlich auch gnadenlos. Mich erinnert es ein wenig an Kirsten Boies „Nicht Chicago, nicht hier“, das das Thema Mobbing ähnlich schonungslos aufgreift, wobei Alyssa Brugmans Buch für ältere Leser gedacht ist als Kirsten Boies Erzählung. 14 oder 15 Jahre sollte man für diesen Jugendroman schon alt sein – und da die Hauptfiguren eigentlich alle Mädchen sind, wird das Buch sicherlich auch eher weibliche Leserinnen finden. Es wäre jedoch schade, wenn sich nicht auch Jungen an dieses Buch wagen würden…

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(Ulf Cronenberg, 16.10.2004)

Weiterführende englische Informationen über die Autorin und das Buch gibt es übrigens hier auf Alyssa Brugmans Website.

Weitere Meinungen

Das Buch ist sehr vielschichtig und enthält eine Fülle von Einzelthemen: Es geht um In-Sein, Dazugehören, Gruppenzwang, Macht, Zivilcourage, Mut, Freundschaft, Verantwortung, Schuld, verpasste Gelegenheiten und Tod. Es wird gezeigt, dass Mobbing nicht nur ein Thema der Berufswelt Erwachsener ist, sondern dass Mobbing auch in der Schule ein Problem darstellen kann. Am Ende des Buches sind Kontaktadressen von Beratungsstellen (allgemein, Mobbing, Selbstmord) angegeben, um Lesern Hilfe in Aussicht zu stellen oder sie mit weiterführenden Informationen zu versorgen.
Das Buch ist nicht „spannend“ im eigentlichen Sinne (in der Mitte hat es auch einen leichten Durchhänger), doch es zieht den Leser durch die aufgeworfene Problematik in seinen Bann und bietet einen sehr hohen Identifikationsfaktor. Dem Leser wird viel Raum zum eigenen Nachdenken gelassen. Trotz der Vielzahl an Einzelthemen wirkt es nicht vollgestopft, sondern bildet ein abgerundetes Ganzes. Die dargestellte Geschichte ist einfach facettenreich und dazu absolut realistisch.
Das Buch ist auch sehr gut als Klassenlektüre geeignet. Obwohl die Mädchen im Buch bereits 16 sind, würde ich es aber eher ab Klasse 7 empfehlen, da für 16-Jährige andere Lektüren auf dem Lehrplan steht.

(Iris Henninger)

Lektüretipp für Lehrer!

Ein Mädchen, das „in“ ist und in der eigenen Clique den Ton angibt, freundet sich zögerlich mit einer Außenseiterin an. Das Buch thematisiert einfühlsam und zugleich schonungslos die Themen Gruppendruck und Mobbing. Da die Hauptpersonen alle Mädchen sind eher für Mädchenklassen geeignet (normalerweise ab der 9. Klasse, u.U. aber auch für sehr interessierte und offene 8. Klassen).

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